Ein 600-Euro- statt 450-Euro-Job? Etwas mehr Geld könnte das Leben für Millionen Minijobber in Deutschland erleichtern – vor allem für Rentner, die sich noch etwas hinzuverdienen. Deren Zahl steigt.
Pizzafahrer, Kellner, Putzfrauen oder Zeitungsausträger: Zu Beginn der Corona-Pandemie traf es die Minijobber oft als Erstes: Studierende, Rentner, Menschen, die sich etwas hinzuverdienen wollen. 837.000 Minijobs gingen verloren, wie die Linken-Abgeordnete Susanne Zimmermann nach Angaben der Minijobzentrale herausfand – mehr als zwölf Prozent der Minijobs. Nun debattiert die Große Koalition darüber, die fixe Verdienstgrenze für jene geringfügig Beschäftigten anzuheben. Aus Sicht der gegenwärtigen und künftigen Minijobber eine gute Nachricht. Aber ist dem auch wirklich so? Die Lage ist komplex.
Bislang liegt die Verdienstgrenze bei 450 Euro. Die CDU hatte einer koalitionsinternen Arbeitsgruppe „Bürokratieabbau" eine Reihe von Vorschlägen gemacht, wie ein Sprecher der SPD-Fraktion bestätigt hatte. Diese würden nun geprüft. Zu den Vorschlägen der Union zählt auch die Anhebung der Grenze für sozialversicherungsfreie Minijobs auf 600 Euro. Der Grund: die Erhöhung des Mindestlohnes. Der Mindestlohn liegt derzeit bei 9,35 Euro pro Stunde und soll bis Mitte 2022 schrittweise auf 10,45 Euro pro Stunde steigen. Wegen der festen 450-Euro-Grenze bei Minijobs reduzieren sich also bei jeder Mindestlohnerhöhung die Stunden, die ein Beschäftigter im Rahmen eines Minijobs arbeiten darf.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) lehnt eine Anhebung der Verdienstgrenze bei Minijobs ab. Das machte ein Sprecher des Ministeriums klar. Die Forderung nach einer Anhebung der Entgeltgrenze für geringfügig entlohnte Beschäftigung sei nicht neu. Das Arbeitsministerium lehne eine solche Anhebung jedoch weiter ab. Für das Ministerium stehe der soziale Schutz von Geringverdienenden im Vordergrund. In „den vergangenen Monaten mussten viele geringfügig Beschäftigte schmerzhaft erfahren, dass sie keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben und bei Jobverlust kein Arbeitslosengeld erhalten." Eine Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze halte das Ministerium daher weiterhin für den falschen Weg. Rückendeckung erhält die SPD hierbei vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), die Linke will die Minijobs ganz abschaffen.
SPD gegen erhöhten Minijob-Verdienst
Der sozialpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Pascal Kober, dagegen nannte eine Anhebung der Lohngrenze längst überfällig, denn seit 2013 sei die Grenze bei 450 Euro einzementiert. Es müsse eine Koppelung an den Mindestlohn geben, damit die Erhöhung des Mindestlohns nicht mit einer zwangsweisen Reduzierung von Arbeitszeit bei Minijobs einhergehe.
Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer hatte vor wenigen Wochen eine Anhebung der Minijob-Gehaltsgrenze von 450 auf 600 Euro gefordert. „Die 450-Euro-Minijob-Grenze gibt es schon über Jahre, während der Mindestlohn immer weiter steigt", hatte Wollseifer der „Rheinischen Post" gesagt. Minijobber an der 450-Euro-Grenze profitierten nicht finanziell von all diesen Steigerungen, für sie verkürze sich nur mit jeder Anhebung die Arbeitszeit. Für die Arbeitgeber werde es dabei immer schwieriger, die wegfallenden Arbeitsstunden aufzufangen. Viele Minijobber wollten auf keinen Fall diese Grenze überschreiten. Das führe dazu, dass vielfach nicht mehr genügend Minijobber zu finden seien, etwa Verkäufer bei Bäckern und Metzgern. Auch der deutsche Handelsverband (HDE) unterstützt den Vorschlag.
Im Falle einer Novellierung der Minijobs müssten Midijobs neu definiert werden, diese liegen üblicherweise zwischen 450,01 Euro und 1.300 Euro Verdienst. Von ihnen gibt es laut Bundesagentur für Arbeit etwa drei Millionen in Deutschland. Sie sind sozialversicherungspflichtig, müssen aber nicht die vollen Beiträge bezahlen. Für die spätere Rente aber wird der volle Verdienst berücksichtigt.
Die Zahl der Minijobber bleibt seit Einführung 2004 stabil: Trotz Ereignissen wie beispielsweise der Finanzkrise 2008 liegt sie jährlich in Deutschland ziemlich beständig zwischen sechs und sieben Millionen. Steigt nun die Verdienstgrenze auf 600 Euro, steigen auch die Abgaben, bedeutet: Es fließt etwas mehr Geld in die Rentenversicherung. Die Linke fordert aber schon seit Jahren die Abschaffung von Minijobs – sie würden nicht vor Altersarmut schützen, vor allem nicht jene Menschen, die lange in solchen Arbeitsverhältnissen arbeiten. Wer sich dann auch noch vom Eigenbeitrag in die Rentenversicherung befreien lässt, um 17 Euro mehr Netto vom schmalen Brutto zu haben, erhält noch weniger Rentenansprüche.
Ältere Rentner von Armut gefährdet
Nun sind laut dem Statistischen Bundesamt ältere Menschen ohnehin stärker von Armut gefährdet, die Gefährdung steige im Alter ab 65 Jahren an. Etwa 15 Prozent dieser Alterskohorte gelten demnach als arm, weil sie nur knapp 1.000 Euro im Monat und weniger zum Leben haben. Gleichzeitig steigt die Zahl derjenigen Rentner, die sich noch etwas hinzuverdienen. 2019 waren laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit rund 1,29 Millionen Menschen, die die Regelaltersgrenze erreicht hatten, weiter erwerbstätig. Das waren rund 400.000 oder 45 Prozent mehr als 2010, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD hervorgeht. Gegenüber 2005 seien es sogar 547.000 oder 73 Prozent mehr Rentner gewesen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen.
Ursächlich dafür, dass Rentner weiter arbeiten gehen, sind vor allem soziale und materielle Gründe. Dies ist das Ergebnis einer Langzeitstudie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung. Mehr als 5.000 zufällig ausgewählte Personen zwischen 55 und 70 Jahren wurden im Abstand von einigen Jahren seit 2013 immer wieder interviewt. Das Ergebnis: „Spaß an der Arbeit" wurde sowohl bei Männern, als auch bei befragten Frauen sehr häufig genannt, danach folgt der Wunsch, „weiter Geld verdienen" zu wollen. Dies scheint womöglich auch für viele Befragte nötig zu sein, denn die Zahl von Männern und Frauen, die dies im Jahr 2019 als Grund nennen, ist gegenüber einer vergleichenden Befragung von 2016 gestiegen: bei Männern nur geringfügig von 21 auf 22 Prozent, bei Frauen jedoch von 16 auf 20 Prozent. Das Institut spekuliert, dass womöglich die vielfach unterbrochenen Erwerbsbiografien, beispielsweise durch Kinderbetreuung oder Betreuung der Eltern im Alter, Ursache des Wunsches vieler verrenteten Frauen sind, auch weiterhin arbeiten zu gehen. Die allermeisten der Befragten, 69 Prozent der Männer und 93 Prozent der Frauen, waren in einem 450-Euro-Job beschäftigt.
Hier schließt sich der Kreis: Denn ohne ihr zusätzliches Erwerbseinkommen betrug die Zahl der armutsgefährdeten Männer 30 Prozent, die Zahl der Frauen 28 Prozent. Die Tendenz zur Armutsgefährdung steige mit zusätzlichem Alter, mutmaßen die Autoren der Studie. Zumindest für einen Teil der Rentner wären also 525 statt nur 450 Euro für den Minijob pro Monat eine echte Erleichterung. Denn die Hinzuverdienstgrenze in der Regelaltersrente erlaubt derzeit nicht mehr.