Die Deutsche Eishockey Liga hat ihren Saisonstart wegen der Corona-Beschränkungen schon zum zweiten Mal verschieben müssen. Nun soll der erste Bully kurz vor Weihnachten stattfinden – notfalls mit staatlichem Geld.
Die Cracks aus der Deutschen Eishockey Liga (DEL) kratzen mit den Kufen. Die abermalige Verschiebung ihres Saisonstarts aufgrund der ungünstigen Rahmenbedingungen durch die Anti-Corona-Vorschriften lässt die harten Kerle immer unruhiger werden. Für Nationalmannschafts-Kapitän Moritz Müller und seine Kollegen soll nun aber schon wenige Tage vor Heiligabend beinah buchstäblich Weihnachten sein. Denn Stand Mitte Oktober streben die DEL und ihre 14 Vereine im dritten Anlauf und endgültig für den 18. Dezember – statt zuvor den 18. September und 13. November – den ersten Bully nach dann rund neun Monaten erzwungener Eis-Pause an.
Weil dieser Plan allerdings noch längst nicht perfekt ist und angesichts der sich ständig verändernden Corona-Situation auch noch nicht sein kann, macht sich besonders unter den Spielern zunehmend Unsicherheit breit. Die monatelange Ungewissheit zehrt so sehr an den Nerven, dass Müller seinem Frust kurz nach der Absage des zweiten Starttermins einfach einmal freien Lauf ließ. „Ich spüre schon jetzt einen großen Imageverlust", sagte der Star der Kölner Haie mit Blick auf den zunehmend verpuffenden Olympia-Effekt nach Deutschlands Sensations-Silber bei den Winterspielen 2018 in Pyeongchang und warf dem Liga-Verband sowie den Clubmanagern mangelnden Ideenreichtum zur Überwindung der Pandemie und ihrer Folgen vor. „Ich hätte mir schon Alternativkonzepte gewünscht, auch mehr Innovation."
Der Unmut der Profis ist durchaus nachvollziehbar. Müller und Co müssen seit Wochen tatenlos mitansehen, wie ihre Kollegen im Fußball, Handball, Tischtennis und ab November auch Basketball trotz Zuschauerbeschränkungen wieder auf Punktejagd gehen und ihr Geld verdienen können. Die Kufen-Cracks hingegen befinden sich seit dem Frühjahr in Kurzarbeit und wurden obendrein von der Liga im Sommer mehr oder weniger gezwungen, auch grundsätzlich auf 25 Prozent ihrer ursprünglichen Gehälter zu verzichten.
80 Prozent ihrer Etats erwirtschaften die Vereine an Spieltagen
Doch Müllers Bestandsaufnahme hat auch eine Kehrseite. Denn anders als in allen anderen Konkurrenzsportarten sind die Clubs beim Eishockey extrem auf Zuschauereinnahmen angewiesen. Bis zu 80 Prozent ihrer Etats erwirtschaften die Vereine an Spieltagen, zudem haben sie größere Kader sowie höhere Hallenmieten als Teams in anderen Sportarten zu finanzieren. Die behördlich vorgeschriebene Obergrenze von nur 20 Prozent Auslastung des normalen Fassungsvermögens einer Arena bei Sportveranstaltungen trifft die DEL-Clubs deswegen mit ungeheurer Wucht. Hinter Fußball lockte das Eishockey-Oberhaus vor Corona mit durchschnittlich über 13.000 Fans die meisten Besucher in die Hallen. Angesichts eines Lochs von insgesamt 60 Millionen Euro jedoch bezeichnete DEL-Geschäftsführer Gernot Tripcke die erneute Verschiebung des Saisonstarts als „alternativlos". Bei allem Verständnis für Müller und alle anderen Profis, die zwischenzeitlich auch eine eigene Gewerkschaft gründeten, halten Tripcke und die Vereinschefs eine über das Knie gebrochene Rückkehr aufs Eis für nicht verantwortbar: „Natürlich habe ich auch Angst und mache mir Sorgen. Es ist im Moment alles schlecht für den Eishockey-Sport. Aber wir werden keinen wirtschaftlichen Selbstmord begehen. Denn noch schlimmer wäre, wenn wir irgendeinen Wahnsinn machen und dadurch eine Masseninsolvenz oder einen Massenexitus hätten", machte der frühere Weltklasse-Schiedsrichter den Standpunkt von Liga und Clubs mit drastischen Worten klar. „Es ist für einen ordentlichen Kaufmann nicht zumutbar, blindlings ins Verderben zu laufen. Unsere Stadioneinnahmen sind das A und O. Davon leben die Clubs, davon leben aber auch die Spieler. Aber wir können halt nicht nur zum Spaß spielen. Wir alle haben keinen Spaß daran, die Saison immer wieder verschieben zu müssen. Aber Vernunft kommt vor Spaß."
Rückendeckung für diese Position kommt von den Clubs. Vereinsboss David Hopp (Adler Mannheim) rechnet mit Blick auf die Kalkulationen bei den Clubs vor, dass wirtschaftlich „20 Prozent Zuschauer sogar noch schlechter als Geisterspiele" seien: „Wir werden nicht sehenden Auges an die Wand fahren." Kölns Geschäftsführer Philipp Walter schlug in die gleiche Kerbe: „So ist kein Überleben möglich. Man muss kein Mathe-Genie sein, um zu merken, dass es nicht hinhaut." Sein Kollege Christoph Sandner ergänzte: „Ohne finanziell ausreichende Absicherung in die Saison zu starten, wäre plan- und vor allem verantwortungslos."
„Nur unsere Ausfälle sollen vom Staat übernommen werden"
Selbst mit einer Freigabe für die Hälfte der Hallenkapazität wären für Geschäftsführer Wolfgang Gastner von den Nürnberg Ice Tigers die Probleme nur auf dem Papier gelöst: „Wir bräuchten in Nürnberg mindestens 3.000 Zuschauer, um einigermaßen kostendeckend arbeiten zu können. Ob diese dann auch kommen, steht auf einem ganz anderen Blatt, wie schon im Fußball zu sehen war, wo die genehmigten Zuschauer-Kapazitäten oftmals nicht erreicht werden. Genau deshalb bringt es auch nichts, sich auf eine Auslastung von 50 Prozent einzulassen, wenn dann trotzdem keine Zuschauer kommen, weil sie Angst oder aufgrund der Beschränkungen wie etwa dem Mundschutz keinen Spaß haben." Auch deshalb scheint für alle klar: Ohne Hilfe von außen wird auch ein Saisonstart im Dezember nicht mehr als ein frommer Wunsch bleiben. Deswegen zielte Tripcke auch schon Ende Oktober auf Unterstützung durch die Politik. Dass sein öffentlicher Notruf nach 60 Millionen Euro aus öffentlichen Geldern als ein Ultimatum für die Politik oder gar Versuch der Erpressung des Bundes gewertet worden war, hält der DEL-Boss für ungerechtfertigt: „Es ist kein Ultimatum, sondern ein deutlicher Hinweis an die Politik, wie unsere Situation ist. Es ist nichts anderes als das, was auch in anderen Wirtschaftszweigen passiert. Wir weisen darauf hin, dass unser Geschäftsmodell, durch das wir jährlich zwischen 120 und 130 Millionen Euro umsetzen, durch Corona nicht möglich ist."
Tripcke und die Clubs setzen alle ihr Hoffnungen nunmehr auf die Aufweichung von Regeln im eigens für den Profisport neben dem Fußball geschnürten 200-Millionen-Euro-Hilfspaket des Bundes. Denn die derzeitige Subventionspraxis hat für die DEL-Vereine zwei Haken: Einerseits bedeutet die Deckelung von Förderbeträgen als Ersatz für entgangene Zuschauereinnahmen auf 800.000 Euro pro Verein für die Clubs nur einen unzureichenden Ausgleich für den zusammengebrochenen Ticketverkauf, und zum anderen sind die Auszahlungen von Hilfsgeldern an gesunde Kassenlagen vor dem Ausbruch der Pandemie geknüpft. Allerdings sind in der DEL Saison für Saison auf Naht kalkulierte Jahresetats eher die Regel als eine Ausnahme, sodass die Clubs ganz grundsätzlich noch gar nicht sicher mit den Bundesmitteln rechnen können. Das wollte Tigers-Geschäftsführer Gastner nach der zweiten Saisonstart-Verschiebung mit einem gewagten Vorstoß ändern. „Meine konkrete Forderung ist, die Deckelung aufzuheben, damit alle durch Covid-19 bedingten Einnahmeausfälle erstattet werden können – wie bei einer Vollkasko-Versicherung", umriss Gastner seinen Plan. Sein Kalkül: „Es geht nicht darum Schulden auf Staatskosten abzubauen. Jeder DEL-Club hat im Frühjahr einen Haushaltsplan eingereicht, der bewilligt wurde. Daran ist abzulesen, welche Ausfälle es bei welchem Verein gibt. Keiner kann sich an Zuschüssen bereichern. Es soll vom Staat nur übernommen werden, was wir an Ausfällen haben. Sollten später wieder mehr Zuschauer erlaubt sein, würde weniger von diesem Budget abgerufen werden." Einen Totalausfall aller Besucher beziffert Gastner auf 3,8 Millionen Euro: „Das wäre die Worst-Case-Deckelung." Aus seiner Sicht liegt der Schlüssel deshalb bei der Politik: „Ein breiter bewilligtes Budget würde reichen: Mit diesen 200 Millionen Euro könnte man den kompletten Profisport neben dem Fußball wunderbar retten." Doch bis zu einem entsprechenden Beschluss bewegt sich die DEL weiterhin nur auf dünnem Eis.