Ausgerechnet in Michael Schumachers Wohnzimmer, dem Nürburgring, hat Lewis Hamilton die Rekordmarke der Formel-1-Ikone von 91 Grand-Prix-Erfolgen eingestellt. Auf dem Weg zu seinem siebten WM-Titel kann der Mercedes-Pilot in Portugal mit einem erneuten Triumph alleiniger Rekordsieger werden.
Dieser 41. Grand Prix auf dem Nürburgring, dank der Corona-Pandemie nach einer Abstinenz von sechs Jahren wieder in den Formel-1-Kalender gerutscht, hat als „Großer Preis der Eifel" mit einigen verrückten Geschichten, interessanten Statistiken, manchen Überraschungen und wahren Meilensteinen die Historie des „Rings" bereichert. So ist die Mercedes-Wunderwaffe Lewis Hamilton in seinem 261. Grand Prix endgültig in den Formel-1-Olymp gerast. 14 Jahre und zehn Tage nach dem 91. Sieg von Michael Schumacher zieht Hamilton mit der lebenden Legende gleich. Schumis Bestmarke, aufgestellt in seinem 247. Grand Prix, bestand seit dem 1. Oktober 2006 beim China-Grand-Prix. Um mit dem Allzeit-Rekord von Schumacher in dessen Wohnzimmer gleichzuziehen, musste Hamilton auch vom Ausfall seines Teamgefährten Valtteri Bottas profitieren. Der Finne kam als Sotschi-/Russlandsieger mit viel Rückenwind in die Eifel und schnappte sich bei der Zeitenjagd für die Startaufstellung die Pole Position – vor Hamilton. Es war seine dritte in dieser Saison und die 14. in seiner Karriere. Bottas führte diesen elften Saisonlauf in der Anfangsphase an. Seinen Verbremser in Runde 13 nutzte Hamilton eiskalt zum Überholmanöver aus und behielt die Führung bis ins Ziel. Wenige Runden nach seinem Fehler war Bottas’ 150. Grand Prix beendet. Der Mercedes-Pilot musste seinen Dienstwagen wegen fehlender Power und eines Motorproblems an der Box abstellen. Ein herber Rückschlag im Titelkampf für den WM-Zweiten. Sein Rückstand auf den führenden Hamilton (230 WM-Punkte) beträgt sechs Rennen vor Saisonende 69 Zähler.
Hamilton wurde sein ungefährdeter siebter Saisonsieg, sein zweiter nach 2011 (McLaren) in der Eifel, auf dem Silbertablett serviert. Max Verstappen konnte im Red Bull das Tempo des 35-jährigen Briten nicht mitgehen und wurde Zweiter. „Letztendlich bin ich mein eigenes Rennen gefahren. Es ist mir immerhin noch gelungen, die schnellste Runde zu fahren und den Zusatzpunkt zu holen", freute sich der „fliegende Holländer". Als Dritter komplettierte das Podium überraschend Daniel Ricciardo. Der Australier bescherte Renault das erste Podest seit der Rückkehr der Franzosen als Werksteam 2016.
Bottas 69 Zähler hinter Hamilton
Zurück zu Sieger Hamilton. Eine Art Gänsehaut war im Parc Fermé zu spüren, als Mick Schumacher den Sieger mit einer besonderen Geste überraschte. Der 21-jährige Sohn des siebenmaligen Weltmeisters und fünfmaligen Nürburgring-Siegers, überreichte dem unersättlichen Rekordjäger Lewis Hamilton einen ikonischen feuerroten Helm seines Vaters. Hamilton war baff. „Ich weiß nicht, was ich zu dieser Geste sagen soll. Ich hätte nie gedacht, dass jemand Michaels Rekorde bricht. Und nun bin ich es. Ich werde eine Weile brauchen, das zu verarbeiten. Wenn man aufwächst, jemandem beim Computerspiel zuschaut, dann war Michael immer ganz dominant", so Hamilton rückblickend. „Trotz aller Rekorde, mit Michael kann sich keiner vergleichen, mich eingeschlossen. Ein ganz großes Dankeschön", sagte der sichtlich gerührte Nürburgring-Sieger zu Helm-Überbringer Mick. Die 60 „Ring"-Runden hatten zuvor in dem mehr oder weniger dahinplätschernden Rennen noch andere Höhe- und Tiefpunkte.
Mann des Wochenendes war zweifelsohne Niko Hülkenberg. Unverhofft kommt halt oft. Und so wurde der Rennrentner am Samstagvormittag kurzerhand von Racing-Point-Teamchef Otmar Szafnauer angerufen. Stammpilot Lance Stroll klagte über eine Magen-Darm-Verstimmung und verzichtete auf den Start. Ersatz musste her. Als Aushilfspilot ist Nico Hülkenberg bei Racing Point kein Unbekannter. In Silverstone sprang er für den Corona positiv getesteten Mexikaner Sergio Perez ein. Als sensationell Dritter im Qualifying raste „Hulk" im Rennen auf einen viel beachteten Platz sieben. Am Nürburgring war es wieder eine Nacht- und-Nebelaktion. Drei Stunden nach Szafnauers Anruf saß der lange Blonde von Köln kommend in Strolls Cockpit und ging aus „kalter Hose", ohne Vorbereitung, auf Zeitenjagd. Es reichte aber nur zum 20. und letzten Platz. Umso sensationeller seine Aufholjagd im Rennen. Hülkenberg geigte groß auf, überrumpelte Vierfach-Champion Sebastian Vettel, wühlte sich durch das Feld bis auf Platz acht. Eine bravouröse Leistung. Der Edelreservist war nach seinem 178. Grand-Prix-Einsatz mit der Leistung mehr als zufrieden. „Im Moment bin ich einfach stolz auf mich selbst, dass ich das so gemeistert habe. Vom letzten auf den achten Platz, wer hatte das schon erwartet? Ich glaube, das kann sich sehen lassen", analysierte der Premium-Ersatzmann. „Ich bin eigentlich nur gefahren, habe mich angepasst und versucht, meinen Rhythmus zu finden. Ich habe mich darauf konzentriert, jede Runde an meinem persönlichen Limit zu sein, und mich mit dem Auto immer weiter heranzutasten", schildert Hulk die Vorgehensweise seiner Arbeit im pinkfarbenen Boliden. Fazit des Superjokers: „Eine verrückte Story nach diesem Kaltstart, ich bin megahappy." Und Hulk weiß, dass er mit diesem Rennen wieder Werbung in eigener Sache für ein Cockpit in 2021 gemacht hat.
Hülkenberg mit sensationeller Aufholjagd
Alles andere als megahappy war wieder einmal Sebastian Vettel. Sein Heimrennen beendete der Ferrari-Pilot ohne Punkte auf Platz elf. Auch von Platz elf gestartet, lief es von Anfang an nicht nach Plan. Zehn Runden lang hing Vettel hinter Antonio Giovinazzi im Alfa Romeo fest. „Ich habe mich schwergetan zu überholen, obwohl ich schneller war", schilderte Vettel seine Situation. Er versuchte es trotzdem. Durch einen Dreher im Zweikampf mit dem Italiener flog er aber ab, streifte das Kiesbett und verlor einige Positionen. „Ein klarer Fahrfehler", urteilte Ex-Pilot Alexander Wurz. „Ich musste viel Risiko gehen, wahrscheinlich zu viel. Das ging in die Hose", stellte Vettel frustriert fest und gibt zu: „Wir hatten nicht viel erwartet. Im Moment ist ein bisschen der Wurm drin." Zum siebten Mal in elf Saisonrennen blieb Vettel außerhalb der Top Ten und somit im Niemandsland. In der Fahrerwertung liegt er mit nur 17 Zählern auf Platz 13.
Vettels Ferrari-Teamkollege Charles Leclerc fuhr dem Altmeister in der Qualifikation und im Rennen wieder einmal um die Ohren. Bei der Zeitenjagd stellte der Monegasse seinen Boliden nach bärenstarker Leistung hinter den beiden Schwarzpfeilen und Verstappens Red Bull auf Platz vier. Im Rennen wurde das „rote Juwel" dann mit Rang sieben wieder auf den Boden der Tatsachen geholt. Mit 63 Punkten ist Leclerc WM-Achter.
Wetter verhinderte Mick Schumachers Trainingsdebüt
Was für Hülkenberg eine unerwartete Chance war, war für Mick Schumacher eine unerwartete Enttäuschung. Das im Vorfeld des Eifel-Grand-Prix mit viel Bohei angekündigte Formel-1-Trainingsdebüt ist den Wetterkapriolen zum Opfer gefallen. Weil zu dichter Nebel den Rettungshubschrauber behinderte, durfte kein Fahrer auf die Strecke. Auch für die zweite freie Freitags-Trainingssitzung wurde der Fahrbetrieb wetterbedingt eingestellt. Schumacher sollte die erste Trainingseinheit mit dem Alfa Romeo von Antonio Giovinazzi unter Wettkampfbedingungen bestreiten. Warum gerade in einem Alfa Romeo? Antwort: Ferrari ist Motorenlieferant für das frühere Schweizer Sauber-Team, und Mick Schumacher ist Mitglied im Ausbildungsrennstall von Ferrari. Trotz der ins Wasser gefallenen Premiere erhält der Führende in der Formel-2-Meisterschaft seine nächste Debüt-Chance im Freitagstraining beim Finale in Abu Dhabi (13. Dezember).
Nach dem kühlen Ritt am „Ring" reist der rastlos rasende Wanderzirkus nach Portugal. Erstmals nach 24 Jahren Abwesenheit hat die Formel 1 an diesem Sonntag, 25. Oktober, wieder einen Gastauftritt in dem südeuropäischen Land. Und erstmals werden die Piloten nicht wie von 1984 bis 1996 auf dem Circuito do Estoril starten, sondern auf dem Algarve International Circuit. Gelegen ist diese zwölf Jahre alte Rennstrecke an der südlichen Atlantikküste, 18 Kilometer nordwestlich der Hafenstadt Portimao, 40 Kilometer vom Flughafen Faro entfernt und 20 Kilometer nördlich des bekannten Badeortes Lagos an der portugiesischen Algarveküste. Anfang November 2008 wurde die Rennstrecke von Portimao nach einer nur sieben Monate dauernder Bauzeit und Gesamtkosten von 195 Millionen Euro eröffnet. Im März 2020 hat der Automobil-Weltverband die 4,692 Kilometer kurze Berg- und Talfahrt mit der Höchstnote eins ausgezeichnet, um Motorsportwettbewerbe auf höchstem Niveau wie F1-Rennen auszutragen. Für die Fahrer und die 5.000 zugelassenen Zuschauer ein willkommener Kalender-Neuzugang.