Bei ihm ist der Begriff „Hollywoodlegende" tatsächlich angebracht: Richard Dreyfuss (72) ist seit fast 60 Jahren im Filmbusiness tätig. Sein neuer Film „Astronaut" ist zurzeit in den Kinos.
Mr. Dreyfuss, Ihr größter Traum ist, eines Tages ins Weltall zu fliegen. Für diesen Flug haben Sie bereits ein Shuttle-Ticket mit der Nummer 86. Was fasziniert Sie so sehr am Kosmos?
Ich bin ein sehr wissbegieriger Mensch. Und es hat mich schon immer brennend interessiert, wie es sich anfühlt, wenn man in einer Raumkapsel die Erde umkreist. Wie es aussieht, kann dieser Traum tatsächlich bald wahr werden. Ich glaube auch, dass diese Abenteuerlust darauf, fremde Welten zu entdecken, uns Menschen schon seit vielen Tausend Jahren im Blut liegt. Wir wollen unbe-kanntes Terrain erobern. Seit der ersten Mondlandung im Jahr 1969, die in meinem Leben ein prägendes Ereignis war, habe ich davon geträumt, irgendwann auch einmal selbst ins All fliegen zu können. Auch deshalb kann ich mich mit dem Mann, den ich im Film „Astronaut" spiele, zu hundert Prozent identifizieren.
Wenn Sie ein Drehbuch lesen, was hoffen Sie da zu finden?
Eine Rolle, die brillant geschrieben ist. Sie muss interessant sein und vielschichtig. Wenn möglich auch humorvoll und gleichzeitig tragisch (lacht). Und natürlich hoffe ich, damit wieder für den Oscar nominiert zu werden – den ich dann auch gewinne. Ich schaue mir eine Rolle immer im Kontext des ganzen Films an. Ich nehme mir auch die Freiheit, Vorschläge zu meiner Rolle und zur Struktur des Films zu machen. Unsere Regisseurin Shelagh McLeod war dafür glücklicherweise sehr offen. Außerdem will ich beim Drehen natürlich auch jede Menge Spaß haben.
Sie haben mit der Crème de la Crème in Hollywood gearbeitet. Wer war denn der allerbeste Regisseur?
Steven Spielberg! Als ich Steven zum ersten Mal begegnet bin, war er noch der ungekrönte König von Hollywood. Er hatte noch keinen einzigen Kinofilm gedreht, aber schon den Ruf, in seinem Job genial zu sein. Ich benutze dieses Wort nicht leichtfertig. Aber Steven Spielberg ist für mich das einzige Genie Hollywoods. Ich hatte das Glück, drei Filme mit ihm zu drehen: „Der weiße Hai", „Unheimliche Begegnung der dritten Art" und „Always – Der Feuerengel von Montana". Und Roy Neary, der in „Unheimliche Begegnung" schließlich mit den Außerirdischen die Erde verlässt, gehört noch immer zu meinen absoluten Lieblingsrollen. Steven verriet mir später, dass wenn er damals schon eine Familie gehabt hätte, er das Ende des Films ganz anders gestaltet hätte. Ich sagte zu ihm: „Nein Steven, das war genau richtig: Roy musste gehen!"
Wenn Sie sich den Sternenhimmel ansehen – was fühlen Sie da? Sie sind wohl Agnostiker, aber würden Sie – nach Ihrem Tod – nicht gerne eine zweite Chance bekommen? Und wollen Sie dann Gott immer noch ohrfeigen?
(lacht) Ich hätte gerne eine zweite Chance – und ich würde Gott sehr gerne ins Gesicht schlagen. Und wenn Gott, wie ich vermute, einen sehr makabren Humor hat, gewährt er mir sicher beides. Aber noch bin ich ja am Leben, wofür ich immens dankbar bin. Ehrlich gesagt habe ich so ziemlich alles erreicht, was ich mir je erträumt habe. Nichts sehnlicher habe ich mir gewünscht, als Schau-spieler zu sein. Und zum Glück hatte ich genügend Talent für die Schauspielerei. Es gelang mir sogar, daraus eine Karriere zu machen, die schon mehr als 60 Jahre dauert. Und selbst als mir der Erfolg dann derart zu Kopf gestiegen ist, dass ich mich wie ein furchtbares Ekel verhalten habe – ich nenne diese Zeit meine „Dark Ages" –, habe ich zu meiner ersten Frau gesagt: „Die werden mich nie aus Hollywood hinauswerfen. Wenn es je so weit kommen sollte, gehe ich von selbst – mit erhobenem Haupt!"
Genau das ist dann ja auch passiert.
Als man mir sagte, ich sei „Kassengift", und ich kaum noch Rollenangebote bekam, habe ich eben Schauspielunterricht gegeben. Das habe ich genauso geliebt wie die Schauspielerei.
Man könnte diese „dunkle Zeit" auch Ihre hedonistische Phase nennen. Was spricht eigentlich da-gegen, das Leben in vollen Zügen zu genießen?
Damals habe ich Menschen verletzt, die ich niemals hätte verletzen müssen. Ich schlief mit Frauen, mit denen ich nie hätte schlafen sollen. Ich habe vielen meiner Freunde tiefe Wunden zugefügt. Und ich habe Frauen, die ich wirklich liebte, fürchterlich schlecht behandelt. Sie ausgenutzt. Ihnen das Herz gebrochen und dabei zugesehen, wie es ausblutet. Ich habe mich aufgeführt wie ein geiler Hengst. Ich habe null Verantwortung übernommen. Für nichts und niemanden. Darauf bin ich alles andere als stolz. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich hätte mich anders verhalten sollen. Das ist mir heute schmerzlich bewusst.
diese späte Einsicht konkrete Folgen?
Ich habe mich zum Beispiel bei einem berühmten Regisseur, mit dem ich über 20 Jahre lang kein Wort mehr gewechselt hatte, entschuldigt und ihn gefragt, was denn der Grund für unseren Streit damals gewesen war. Er sagte: „Du warst völlig durchgeknallt. Völlig verrückt." Ich sagte: „Das warst du auch. Weil du mir geglaubt hast, ich wüsste, wie man sich als Movie-Star verhält." Ich war damals total von der Rolle. Und natürlich habe ich mich auch bei anderen Menschen entschuldigt, die ich damals so schrecklich mies behandelt habe.
Sie hatten schon damals, wie sie sagten, Momente von großer Klarheit. Warum haben Sie dann trotzdem nie Ihren Lebensstil geändert?
Um sein Leben wirklich zu ändern, muss man die Fähigkeit besitzen, es nicht nur zu wollen – sondern es auch zu tun. Diese Fähigkeit, diese geistige wie emotionale Beweglichkeit, hatte ich lange Zeit nicht. Das war ein schwieriger Lernprozess. Ich musste mich erst selbst wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Ich kann Ihnen versichern: Wenn man in Hollywood berühmt ist, dann ist das sehr schwer. Die süßen Versuchungen sind einfach da, rund um die Uhr. Man tappt immer wieder in die Ruhmes-Falle – oder man verlässt das Haus überhaupt nicht mehr, aus lauter Paranoia. Ich wollte auch nie – anders als manche meiner Freunde – obszön reich werden. Ich meine, ich bin reich, aber ich brauche keine 800-Millionen-Dollar-Jacht.
Glück und Seelenfrieden kann man nicht kaufen. Sollte sich eigentlich schon herumgesprochen haben.
(lacht) Richtig. Endlich den inneren Frieden zu haben ist heute das Wichtigste für mich. Aber um diese Erkenntnis wirklich zu verinnerlichen, dazu muss man frei sein von Dünkel, Selbstüberschätzung und was weiß ich noch alles. Ich habe mich schließlich dem Reality-Check gestellt. Und ich glaube, ich bin ganz gut daraus hervorgegangen.
Sie sind heute kein Egoist mehr? Schwer zu glauben.
Ein Egoist bin ich ganz sicher noch immer – das geht mit dem Job als Schauspieler einher. Ohne gesundes Ego geht da gar nichts. Aber ich bin – und das ist wichtig – kein Narzisst! Die gibt es in Hollywood ja im Überfluss. Eigentlich war ich nie ein Narzisst. Denn das wäre eine Verblendung, die mich daran hindern würde, ein guter und wahrhafter Schauspieler zu sein. Und ein guter Mensch. Verrückterweise habe ich mich eigentlich immer für einen guten Menschen gehalten. Auch damals in meinen dunklen Jahren. Erst als mein Sohn mir klar machte, wie sehr ich viele Frauen verletzt habe – da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich war kein guter, sondern ein fürchterlicher Mensch! Was für ein Schock! Der sitzt mir bis heute in den Knochen.
Lassen Sie uns über das Spannungsfeld „Intellekt und Libido" sprechen. Anders gefragt: Wie wichtig ist Ihr Sex-Drive für das künstlerische Schaffen?
Lange war mir im Leben nichts wichtiger als mein Sex-Drive! Der hat den größten Teil meiner Persönlichkeit ausgefüllt. Erfolg oder Misserfolg beim Sex hat mein Selbstwertgefühl über viele Jahre entweder befeuert oder vernichtet. Was mir dabei geholfen hat zu überleben, war eine gute Dosis Selbstverleugnung. Ein Nicht-wahrhaben-wollen, das ich übrigens mit einem guten Prozentsatz meiner Mitmenschen teile. Sex war Lebenselixier und Fluch zugleich.
Als Sie elf Jahre alt waren, haben Sie herausgefunden, dass Sie manisch-depressiv sind. Sind Sie das auch noch heute?
Ja, ich bin bipolar. Ich habe Phasen der Niedergeschlagenheit, dann wieder euphorische Momente. Aber das bestimmende Gefühl heutzutage ist Angst. Ich habe Angst, dass wir uns am Anfang vom Ende eines Amerikas befinden – eines Amerikas, wie ich es kenne und liebe. Ich mache mir vor allem Sorgen um die Erziehung unserer Kinder. Das Schulsystem in Amerika liegt völlig am Boden. In kaum einem anderen Land der westlichen Hemisphäre werden Lehrer so schlecht bezahlt und haben einen so niedrigen sozialen Status. Dabei verdanken wir ihnen so viel. Das Aneignen von Wissen, das Verstehen, was die Welt zusammenhält, das verantwortungsvolle Handeln, das ist doch das Rückgrat jeder Kultur. Wir brauchen dringend gut informierte, selbst denkende junge Menschen, die sich nicht scheuen, die Wahrheit zu sagen. Die sich nicht gängeln lassen. Nur so werden wir eine Zukunft haben, die den Namen verdient.
Das systematische Leugnen von Wahrheiten und Fakten, die von Trump und Konsorten als Fake News diffamiert werden, schafft doch gerade ein Klima der Heuchelei, in dem die sogenannte Political Correctness und die Cancel Culture fröhliche Urstände feiern.
Absolut. Und das ist wirklich besorgniserregend. Ich schreibe gerade ein Buch über den Niedergang der amerikanischen Kultur, der meiner Meinung nach schon vor 40 Jahren begonnen hat. Daran ist nicht nur die Reagan-Regierung schuld, sondern auch einige andere Politiker, Wirtschaftsbosse und Kriminelle. Viele von denen sind längst hinter Gittern. In meinem Buch nenne ich einige davon beim Namen. Die USA waren einmal eine funktionierende republikanische Demokratie. Dieses Erbe haben wir längst verspielt. Heute sind in den USA dunkle Mächte am Werk, die noch aus einem Grashalm Profit herauspressen können. Es ist furchtbar.
Will Trump die Demokratie abschaffen?
Er hat sicher eine Agenda. Ich hoffe inständig, dass er abgewählt wird. Dann lasse ich die Champagnerkorken knallen. Sollte er noch einmal für vier Jahre gewählt werden, wird der Schaden, den er jetzt schon angerichtet hat, entsetzlich sein. Ich meine damit eine existenzielle Bedrohung für uns alle. Acht Jahre werden nicht doppelt so schlimm sein wie vier, sondern 40-mal schlimmer!
Das Buch, von dem Sie sprachen, ist Ihre Autobiografie „The Hunt", richtig?
Ja. Warum „The Hunt"? Weil ich schon als Teenager gemerkt habe, dass ich mich viel wohler fühle, während ich auf der Jagd nach etwas bin – und weniger wohl, wenn ich etwas erreicht habe. Denn dann spüre ich, dass ich etwas tun kann. Und nicht zur Passivität verdammt bin.
Fassen Sie doch zum Schluss bitte Ihre Karriere in drei Sätzen zusammen. Geht das?
Nein, aber in fünf Sätzen: „Wer ist Richard Dreyfuss? Gib mir Richard Dreyfuss. Gib mir einen wie Richard Dreyfuss. Gib mir einen jungen Richard Dreyfuss. Wer ist Richard Dreyfuss?"