Zugegeben: Das Anschauen der Spiele der deutschen Fußballnationalmannschaft ist schon seit Jahren kein Fall mehr für die Vergnügungssteuer. Und die Zahl der Kritiker von Bundestrainer Joachim Löw wächst beständig. Man sollte dabei nicht vergessen, dass Löw einer von vier Bundestrainern ist, der den WM-Titel geholt hat. Seine Amtszeit war von 2006 bis 2016 durchweg erfolgreich, bei großen Turnieren war die DFB-Elf immer mindestens im Halbfinale. Im Fußball ist das eine sehr lange Zeit. Zu lange? Das mag sein. Aber Löw alleine ist nicht schuld an dem kritischen Zustand der Mannschaft. Schon längst schlagen die Verantwortlichen im Unterbau Alarm.
Die hochgelobten Nachwuchsleistungszentren haben in den vergangenen zehn Jahren keinen Verteidiger von Weltklasse-Format herausgebracht. Auch in der Zentrale stellt sich alsbald die Frage, wer den auf dem Zenit seiner großen Karriere angekommenen Toni Kroos ersetzen soll. Der Bundestrainer hat sich nach dem WM-Debakel von 2018 für einen Schnitt entschieden. Das war aus seiner Sicht verständlich. Denn es waren auch Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng, die maßgeblich am Scheitern beteiligt waren. Bei Hummels darf sich Löw bestätigt fühlen, dass Müller unter Hansi Flick bei den Bayern noch einmal so aufblühen würde, war nicht absehbar. Über den Fall Boateng lässt sich streiten. Immerhin leistete er im Gegensatz zu dem von Löw bevorzugten Niklas Süle einen entscheidenden Beitrag zum Siegeszug der Münchner. Aber die EM im kommenden Jahr wäre auch für ihn das letzte große Turnier.
Der DFB muss seine Strukturen optimieren, seine Nachwuchsförderung verbessern. Seit dem Abschied von Matthias Sammer gibt es keine Querdenker mehr. Niemand, der unbequeme Wahrheiten ausspricht. Das an Löw festzumachen, ist unfair. Eher wäre da Manager Oliver Bierhoff zu hinterfragen. Gleichwohl: Es dürfte wenig Sinn machen, während eines Rennens die Pferde zu wechseln. Die EM 2021 wird mit Löw über die Bühne gehen. Scheitert er, ist er weg. Und mit ihm wohl auch Bierhoff. Aber die strukturellen Defizite werden bleiben. Löw hin oder her.