55 pferdefreundliche Betriebe, 850 Kilometer Reitwege, Top-Infrastruktur: Die Mühlviertler Alm in Oberösterreich ist für Reiturlauber ein Traum. Selbst Anfänger kommen da bei einem mehrtägigen Reittrek in die Gänge – und ins Schwärmen. So wie unser Autor Christian Haas.
Ja, ich gebe es zu: Ich bin ein Reit-Greenhorn. Saß hier und da mal auf einem Touri-Gaul, mehr nicht. Ob es da eine gute Idee war, ohne große Kenntnisse einen mehrtägigen Wanderritt mit der Familie zu buchen? Auf dem Programm stehen nämlich pro Tag mehrere Stunden im Sattel, in der Spitze bis zu 30 Kilometer, die meisten davon zwar im Schritt, aber durchaus mit Trab- und Galopp-Passagen. Kurz: Mich treibt die Sorge um, beim Thema Wanderreiten aufs falsche Pferd gesetzt zu haben. Doch Markus Danninger, der uns in den nächsten Tagen als Guide begleitet, beruhigt mich vorab am Telefon: „Wir haben schon viele Menschen zum Reiten gebracht."
Die vertiefenden Grundlagen dazu darf vor Ort seine Kollegin Jacqui legen. Der 47-jährige Co-Chef über die bei Königswiesen gelegene „Moser Alm" ist am Probereittag nämlich anderweitig in seinem erhaben gelegenen Wirtshaus samt Sonnenterrasse, Ferienwohnungen und einem ein gutes Dutzend Pferde umfassenden Gestüt beschäftigt. Aber die Mittzwanzigerin kennt sich mit den Reittieren ebenfalls bestens aus und weist allen „passende Gefährten" zu: meiner Frau den stattlichen Gaetan, den beiden Teenie-Mädels die munteren, aber sanften Sam und Tokay und mir Sir John, „einen Lipizzaner, der zwar ein paar Jahre auf dem Buckel, aber auch viel Gefühl hat und einiges verzeiht". Beim Kennenlernbürsten und Hufeauskratzen wecke ich offenbar sogleich sein Gefühl. „Deine Pflege scheint ihn zu entspannen", bemerkt Jacqui und deutet dabei auf Sir Johns ausgefahrenen Penis.
Erst mal bürsten und Hufe säubern
Das legt sich bald wieder und ich ihm eine Decke, den Sattel sowie Zaumzeug und Zügel an, was ich ohne Jacquis Hilfe nicht schaffen würde (einige Versuche und Tage später dann schon). Als alle Reiter per Aufstiegshilfe im Sattel sitzen und nach anfänglichen Ausbüchsversuchen der Pferde – die neuen Reiter werden erst mal getestet, ob sie die Zügel auch im übertragenen Sinn in der Hand haben! – einigermaßen bereit sind, zieht unser 20-beiniger Tross los Richtung Ruine Ruttenstein. Deren verfallener Burgturm erhebt sich majestätisch aus der hügeligen Landschaft, die sich zwischen Linz, Ybbs an der Donau und der tschechischen Grenze ausbreitet. Die vergleichsweise dünn besiedelte Region, die zu den wirtschaftlich schwächsten Österreichs zählt und statt industrielle vor allem landwirtschaftliche Betriebe beheimatet, ist wie gemacht für sanften Tourismus: Wandern und Radfahren stehen hier hoch im Kurs – und eben Wanderreiten. Vor allem, da kaum eine andere Region Mitteleuropas ein derart großes Wegenetz aufweisen kann. Das sind mal Forst-, mal Feldwege, mal geteerte Nebenstraßen, mal Wald- oder Wiesenpfade. Nach abwechslungsreichen eineinhalb Stunden erreichen wir die Schutzhütte unterhalb der Ruine.
Ah, so sieht also eine reiterfreundliche Raststätte aus! Wie vor einem Saloon befinden sich etwas abseits hölzerne Anbindeplätze für Pferde, Tränke inklusive. Während sich die von ihrer menschlichen Fracht befreiten Tiere entspannen können, kehren wir ein und lernen erst die famosen Süßspeisen, für die Österreich so bekannt ist, kennen und dann die jahrhundertealte Ruine. Unsere Pferde lernen wir auch immer besser kennen, auf dem Rückweg sitzen wir schon deutlich fester im Sattel. „Sir John, ich mag dich", flüster’ ich ihm irgendwann zu, und ich meine, dass er ein leises „Ich dich auch" zurückwiehert.
Alte Weisheit: Je näher der heimatliche Stall rückt, desto schneller laufen die Pferde. Zu Hause angekommen wandern Sattel, Zaumzeug, Leihhelm und die hilfreiche Reitwanderkarte der Region (demnächst soll es auch eine Reitwege-App geben samt Reiter-Navi!) über Nacht in die Stallschränke. Dann begleiten wir unsere neuen Freunde in die modernen, mit Stroh und wasserabführenden Matten ausgestatteten Boxen, wo sie sich auf ihr verdientes Heu stürzen. Unser Essen fällt fleischlastiger aus: Auf der Terrasse der „Moser Alm" bekommen wir Kistenbrat’l serviert, eine Spezialität der Region (Markus verrät: „Oberhitze ist das Geheimnis!"). Zum Glück sind es nur ein paar Schritte zu unserer großzügig angelegten, erst vor Kurzem eröffneten Ferienwohnung. Bei der alles andere als altbackenen Ausstattung bleibt man dank Pferdebildern und alten Wagenrädern übrigens voll „im Thema" – erst recht, wenn am Fenster die Pferde auf der Koppel vorbeilaufen. Und ehrlich: Schöner als mit einem sanften Schnauben in Hörweite kann man abends nicht einschlafen. Und aufwachen.
Pferde laufen am Fenster vorbei
So wie auch an Tag drei. Noch schnell das köstliche Frühstück aus selbergemachten Zutaten genießen und dann geht es auf zum Drei-Tage-Ritt. Der Plan: Jacqui fährt das Übernachtungsgepäck per Auto zum jeweiligen Etappenziel, wir fünf reiten nur mit dem Nötigsten bepackt gemütlich hinterher. Geplant, getan. Schon deutlich entschiedener als tags zuvor lenken wir die Pferde zur wenig befahrenen Bundesstraße, die wir jedoch nur kurz streifen und rasch auf einen romantischen Waldtrail abbiegen. Der ist wie alle Wege, die wir gehen, top in Schuss. „Ein wichtiger Erfolgsgarant", weiß Markus, der als Obmann des Reitverbands Mühlviertler Alm vor Jahren sämtliche 850 Kilometer abgeritten ist. Was er auch weiß: „Nur zusammen sind wir stark. Und deshalb ist jedes der 55 im Verband angeschlossenen Gestüte und reiterfreundlichen Raststätten für einen bestimmten Wegeabschnitt zuständig, den es zu pflegen hat." Das betrifft insbesondere die Pfosten mit den Pferdekopf-Wegweisern, die regelmäßig von Wildwuchs befreit werden müssen, damit sie Reitern den Weg weisen. Und das klappt hier generell hervorragend: Während andernorts Wegeverbote zu Tourunterbrechungen führen, dürfen hier viele Wege offiziell von Reitern genutzt werden. Markus: „Da haben meine Vorgänger gute Überzeugungsarbeit bei Grundstücksbesitzern geleistet."
Dass „Pferdereich" mehr als ein Marketingname für die Mühlviertler Alm darstellt, bestätigen überall wiehernde Pferde. Und Jacqui. Mit ihrem heutigen Mann ritt sie vor Jahren einmal monatelang durchs Land und entschied sich bewusst für einen Umzug auf die Mühlviertler Alm. „In ganz Österreich haben wir nirgends Leute getroffen, die Pferden und Reitern gegenüber derart aufgeschlossen waren wie hier." Das schließt auch Wanderreiter ein. Viele reisen mit eigenem Pferd an, das dann in der Gästebox einer Unterkunft stehen darf. Andere leihen sich gut eingerittene Pferde und gehen mit Guide auf Tour. So wie wir. „Wanderreiten", sagt Markus nach einer Weile, „ist das Gegenteil von Dressurreiten – ideal für alle, die neben dem Reiten eigentlich was anderes tun wollen." Etwa die Natur genießen. Im Fall des Mühlviertels sind das dichte Wälder, herrliche Blumenwiesen, teilweise moosbewachsene Granitfelsen und plätschernde Bäche, die manchmal auch zu überqueren sind – spannend. Vor allem mit Gaetan, dem Sensibelchen, der nicht durchs flache Wasser watet, sondern nach einigem Zögern plötzlich drüberhopst! Ebene Strecken gibt es übrigens kaum. Und je mehr wir physisch hochkommen, desto mehr kommen wir psychisch runter. Das Wackeln hat etwas Meditatives, ein Zustand, der sich in den kommenden Tagen noch verstärkt.
Ein passendes Ross für jeden
An einem leichten Hang eröffnet uns Markus: „Lust auf Traben?" Die Teenager nicken, Markus an der Spitze unseres Trosses hebt die Hand zum Bereitmachen. Und als die Vorderpferde starten, schaltet auch Sir John einen Gang hoch. Alles noch recht wacklig, aber: Läuft! Später folgt eine weitere Trab-Session, bevor es heißt: „Jetzt Galopp!" Ehe ich mich versehe, zieht Sir John an. Eben noch die Ruhe in Person, hängt er sich an die Fersen von Sam, der ausnahmsweise mal nicht ans Fressen denkt. Die etwa 500 Meter lange Strecke vergeht wie im Flug, allerdings einem recht turbulenten. Kurz rutsche ich aus den Steigbügeln, erwische sie aber wieder. Außerdem schmerzt der „kritische Bereich" (von Entspannung keine Spur), doch ich sitze fest im Sattel. Und will mehr. Bevor es so weit ist, müssen wir uns aber dem Wettergott beugen. Der hat sich für uns plötzlich auftretenden Starkregen und Gewitter überlegt. Gut, dass wir beim nahen „Reitpark Gstöttner" Asyl bekommen. Eine willkommene Gelegenheit, das aus mehreren Ställen, einer Reithalle, weiten Außenanlagen, einer Gaststätte sowie zahlreichen Zimmern bestehende „Reich" der Familie Kriechbaumer zu entdecken. Die gilt neben der Familie Kern in der Region und in der Branche als Vorreiterbetrieb. Egal, ob Gruppen, Kinder, Familien, Einsteiger oder Profis: Hier findet jeder das passende Pferd – und Bett. Wir finden eine köstliche Brettljause, einen Trockenraum und Gastboxen für unsere Pferde. Anhaltende Gewitter – kein Spaß beim Reiten – zwingen uns, unsere Pläne über den Haufen werfen. Die sehen nun so aus: Sir John und Co bleiben über Nacht hier und werden morgen zur Fortführung der Tour wieder abgeholt. Per Autoshuttle kommen wir derweil zur „Taverne Prandegg", wo wir in den neu eröffneten Pilgerkojen eine ebenso ungewöhnliche wie witzige Unterkunft vorfinden. Die in einem Gruppenraum befindlichen, acht Doppelbetten samt persönlichem Vorhang sind vor allem bei den Fans des Johannesweges beliebt. Und Fans hat der spirituelle Weitwanderweg, der direkt an der Ruine vorbeiführt, viele.
Seit 2018 gibt es auch eine viertägige Reitvariante. In den neuen Tavernen-Pferdeboxen kommen unsere Vierbeiner dann die darauffolgende Nacht unter, nachdem wir sie hergeritten haben.
Insbesondere am Finaltag merkt man: Unsere „Putzarbeiten" werden routinierter, die Reitbewegungen geschmeidiger, die Muskelpartien trainierter (es gibt kaum Beschwerden!) und die Aufmerksamkeit für die Umgebung größer. Die besticht vor allem durch viel Stille, Weite, Grün. Und freundliche Mitmenschen: Kommt uns doch mal, selten genug, ein Auto oder Traktor entgegen, wird fast immer abgebremst. Nur einmal wird es etwas aufregend, als wir durch den Ort Schönau reiten. Ein in ein Schlagloch tuckernder Bierlaster erschreckt den ohnehin sehr feinfühligen Gaetan derart, dass er einen Satz zur Seite macht – eine Situation, die meine Frau gut meistert. Und ein Beweis, dass man stets wachsam sein muss. Denn ein Pferd, das wird immer deutlicher, ist eben kein Auto, sondern ein Lebewesen mit Charakter. Und viel Gefühl.