Als Kapitän und Lenker führte Fritz Walter die deutsche Nationalmannschaft 1954 zum ersten Weltmeistertitel. Für den 1. FC Kaiserslautern spielte er 31 Jahre lang und wurde zweimal Deutscher Meister. Doch er war nicht nur ein großer Kicker, sondern auch ein besonderer Mensch. Am 31. Oktober wäre er 100 Jahre alt geworden.
Für Fritz Walter bedeutete der Fußball sein Leben. Und das darf man in seinem Fall wörtlich nehmen. Im Mai 1945 geriet der Fußballer in Kriegsgefangenschaft. Wenige Wochen später wartete er mit Hunderten anderen Häftlingen im Lager in Marmaroschsiget in Rumänien auf seinen Abtransport in ein sibirisches Gulag. „Die Stunden schlichen dahin. Es wurde Abend. Ich traute meinen Augen nicht, als fünf Mann der Lagerpolizei mit einem Fußball in unmittelbarer Nähe vor uns auftauchten. Sie warfen zwei Mützen auf den Boden und fingen an, auf das improvisierte Tor zu schießen. Fußball! Ich fühlte mich magisch angezogen", so hat Fritz Walter den Moment später in seiner Autobiografie beschrieben. Als er mit dem Ball ein paar Tricks zeigt, sind die Lagerpolizisten begeistert. „Du auch Fußballspieler?", fragt einer von ihnen. Als Walter nickt, meint der Polizist: „Dann spiel mit!"
Das lässt sich Walter nicht zweimal sagen. Er schießt an diesem Tag gleich mehrere Tore und wirbelt derart über den Platz, dass die Zuschauer begeistert sind. Als die Wachleute endlich begreifen, wer da vor ihnen steht, haben sie neue Pläne mit dem Deutschen: „Du nicht weg mit Transport", befiehlt einer von ihnen. „Jetzt komm erst mal essen."
Auch der verantwortliche sowjetische Hauptmann Schukow war Fußballfan und gewährte ihm eine Sonderbehandlung. Fritz Walter, der zu dem Zeitpunkt bereits Nationalspieler war, führte im Gegenzug die Lagerauswahl zu Siegen gegen rumänische Provinzteams. Später traf auch sein Bruder Ludwig im selben Lager ein, ebenfalls Fußballspieler – auch ihm blieb die Reise nach Sibirien erspart. Stattdessen durften beide bereits im Oktober 1945 in die Heimat nach Kaiserslautern reisen. In seinem Buch schreibt Walter: „Weil es über Grenzen, über Krieg und Feindschaft hinweg Menschen gab, die den Sport über alles stellten, wurde uns die Freiheit geschenkt."
Schon vor dem Krieg war Fritz Walter einer der besten deutschen Fußballer seiner Zeit. Zum Idol einer ganzen Generation wurde er aber erst nach dem Kriegsende. In den Jahren 1948 bis 1955 führte er den 1. FC Kaiserslautern gleich fünfmal ins Endspiel um die Deutsche Meisterschaft. 1951 durch ein 2:1 gegen Preußen Münster vor 85.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion sowie 1953 durch ein 4:1 gegen den VfB Stuttgart holten die Pfälzer jeweils den Titel – während nur wenige Kilometer entfernt in Ostberlin der Volksaufstand tobte. Auch seine Brüder Ludwig und Ottmar waren Teil der legendären „Walter-Elf".
FCK-Stadion erhielt seinen Namen
In den 31 Jahren seiner Karriere spielte Fritz Walter ausschließlich für Kaiserslautern und hielt seinem Heimatverein trotz zahlreicher lukrativer Angebote aus dem Ausland stets die Treue. „Dehäm is dehäm", sagte er – da konnten Racing Paris oder Atletico Madrid noch so viel Geld bieten. Zum Dank wurde später das Stadion in Kaiserslautern am Betzenberg nach ihm benannt. In der Region wird Walter bis heute verehrt. Zu seinem 100. Geburtstag in diesem Jahr sendete der Südwestrundfunk (SWR) über 100 Tage lang je eine Geschichte aus seinem Leben.
Fritz Walter wurde am 31. Oktober 1920 geboren. Sein Vater war Wirt in der Vereinsgaststätte des FCK. Walter machte im Club schnell Karriere. Schon mit 16 sollte er an den Meisterschaftsturnieren teilnehmen, wofür es bei Minderjährigen allerdings einer ärztlichen Ausnahmegenehmigung bedurfte. Der Doktor verweigerte diese jedoch zunächst: Walter sei „schmal wie ein Handtuch" und „ein Strich in der Landschaft".
Mit 17 feierte er aber schließlich doch sein Debüt in der Ersten Mannschaft und wurde bald zum Stammspieler. Einer seiner Trainer, Richard Schneider, erinnerte sich im SWR: „Der sportliche Lebensweg Fritz Walters hat sich schon sehr früh herauskristallisiert. In der Zeit seiner Schüler- und Jugendtätigkeit gab es schon sehr viele Zuschauer, die früh seine Perfektion am Ball erkannten und nur wegen ihm diese Spiele besucht haben." In seinem ersten Länderspiel 1940 gelangen ihm als 19-Jährigem auf Anhieb drei Treffer.
Gegner waren damals die Ungarn. Gegen die Magyaren feierte Fritz Walter später auch seinen größten Erfolg: Als Kapitän und Kopf der deutschen Nationalmannschaft führte er die Elf von Sepp Herberger 1954 zum ersten Weltmeistertitel. Ungarn hatte zuvor 32 Spiele hintereinander gewonnen, darunter auch das Vorrundenduell gegen die Deutschen deutlich mit 8:3. Doch beim Endspiel im Berner Wankdorfstadion drehte das DFB-Team den Spieß um und bezwang den großen Favoriten mit 3:2.
Mit Fritz Walter, seinem Bruder Ottmar, Horst Eckel, Werner Liebrich und Werner Kohlmeyer stellte der 1. FC Kaiserslautern dabei gleich fünf Spieler des Weltmeisterteams. Dass es zum Finale regnete, kam Fritz Walter sogar entgegen. Immer machte ihm große Hitze zu schaffen, seit er sich während des Krieges auf Sardinien mit Malaria angesteckt hatte. Bei Regenwetter blühte er dagegen regelrecht auf und konnte zudem bei schwierigen Bodenverhältnissen seine glänzende Technik umso mehr ausspielen. Als am Tag des Endspiels bei der Abfahrt ins Stadion die ersten Regentropfen fielen, meinte Bundestrainer Sepp Herberger deshalb zu seinem Kapitän: „Fritz, Ihr Wetter." Dieser erwiderte: „Chef, ich hab nix dagegen." Bis heute hat sich der Ausdruck „Fritz-Walter-Wetter" erhalten.
Sogar Wetter wurde nach ihm benannt
Der Triumph gegen Ungarn war ein prägender Moment für die gesamte, noch junge Nation. Das „Wunder von Bern" erzeugte ein kollektives Wir-Gefühl – der Historiker Joachim Fest bezeichnet das Ereignis sogar als die eigentliche Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland. Für Fest hatte das Land drei Gründungsväter: politisch war es Konrad Adenauer, wirtschaftlich war es Ludwig Erhard und mental Fritz Walter.
Vier Jahre später, bei der Weltmeisterschaft 1958 in Schweden, führte Walter die DFB-Auswahl mit inzwischen 37 Jahren erneut bis ins Halbfinale. In einem extrem brutal geführten Duell mit den Gastgebern verletzte er sich allerdings so schwer, dass er vom Platz getragen werden musste. Es war sein letzter internationaler Auftritt. Ein Jahr später, am 20. Juni 1959, absolvierte Fritz Walter mit dem 1. FC Kaiserslautern sein Abschiedsspiel gegen Racing Paris. Insgesamt lief er 384-mal für den FCK auf und erzielte dabei 327 Tore. Für Deutschland gelangen ihm in 61 Länderspielen 33 Treffer.
Diese ohne Frage beeindruckenden sportlichen Kennzahlen waren jedoch nicht der einzige Grund für seine enorme Popularität. Fritz Walter war nicht nur ein großer Fußballer, sondern auch ein besonderer Mensch. Mit seiner freundlichen und offenen Art war er auch charakterlich ein Vorbild für die Jugend und ein Botschafter des „neuen" Deutschland nach Ende des Nationalsozialismus. Auch deshalb wurde er schon zu Lebzeiten mit Auszeichnungen überschüttet. Walter ist unter anderem Ehrenspielführer der deutschen Nationalelf, erhielt 1970 das Große Bundesverdienstkreuz sowie 1995 den Verdienstorden des Fußball-Weltverbandes Fifa. Er ist zudem der einzige Ehrenbürger des Landes Rheinland-Pfalz.
Nach dem Fußball führte er ein Kino und eine Wäscherei
Mit dem ungarischen Stürmer Ferenc Puskás, einst sein Rivale im WM-Finale 1954, verband ihn eine langjährige Freundschaft. Bescheidenheit, Fairness und Zurückhaltung zeichneten Walter aus, was bisweilen aber auch zu Selbstzweifeln und enormem Lampenfieber führte. „Jahrelang war ich vor jedem Spiel so aufgeregt, dass mir schlecht wurde. Ich saß dann oft bis kurz vor Anpfiff auf dem Klo", gab er offen zu. „Bei ihm", meinte denn auch sein langjähriger Weggefährte Sepp Herberger, „war ich mehr Psychologe als Trainer."
Nach Ablauf seiner aktiven Karriere führte Fritz Walter ein Kino und eine Wäscherei und war lange Zeit Repräsentant für Adidas. Dem Fußball blieb er als Kommentator verbunden. Trainer wurde er dagegen nie langfristig, auch wenn er zunächst als logischer Nachfolger von Sepp Herberger im Amt des Bundestrainers gehandelt wurde. Walter engagierte sich auch sozial in der Sepp-Herberger-Stiftung für die Resozialisierung junger Strafgefangener.
1999 gründeten das Land Rheinland-Pfalz, der Deutsche Fußball-Bund und der 1. FC Kaiserslautern gemeinsam die Fritz-Walter-Stiftung, die talentierte Jugendliche fördert und zur gesellschaftlichen Integration junger Menschen beiträgt. Am 17. Juni 2002 starb Fritz Walter im Alter von 81 Jahren. Die Gedenkfeier fand im Stadion von Kaiserslautern statt. Ganz so, wie es sich für einen Mann gehört, für den Fußball sein Leben bedeutete.