Obwohl das Automobilzulieferer-Land Saarland von der Pandemie und den daraus resultierenden Maßnahmen hart getroffen wurde, ist von Firmenpleiten noch nichts zu sehen, sagt Walter Hüther, stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland der Bundesagentur für Arbeit (BA).
Herr Hüther, die Bundesagentur für Arbeit stellt sich personell auf eine Insolvenzwelle ein, obwohl BA-Chef Scheele nicht davon überzeugt ist. Sehen Sie das ebenfalls so?
Die Einschätzung ist schwierig. Es ist abhängig vom Infektionsgeschehen und den entsprechenden Konsequenzen, vom Verhalten der Menschen, der Nachfrage nach Gütern und dem Außenhandel. Derzeit erkennen wir keine Insolvenzwelle. Wir erwarten schon noch Steigerungen gegen Ende des Jahres. Derzeit sind viele Betriebe in Kurzarbeit. Dies ist das Hauptmittel gegen Insolvenzen. Nun geht es darum, die Betriebe so lange am Laufen zu halten, bis die Konjunktur wieder anspringt. Die Befürchtungen über eine Pleitewelle, die wir noch im Frühjahr hatten, bestätigen sich also bislang nicht. Wir schulen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein.
Die Arbeitsmarktzahlen bundesweit zeigen keine großen Ausschläge in der Krise, im September gingen die Arbeitslosenzahlen sogar leicht zurück. Wie sind die Aussichten im Oktober?
Der Oktober wird nicht gravierend schlechter sein, eher eine Fortsetzung der Septemberzahlen: mehr Stellen, aber auch weniger Arbeitslosigkeit. Im Vergleich zum Vormonat also eine leichte Verbesserung, im Vergleich zum Vorjahr natürlich immer noch eine erhebliche Abweichung. Aber man muss sagen: Der Arbeitsmarkt scheint robust zu sein. Auch in Europa insgesamt ist eine leichte Verbesserung feststellbar, das ist gut so, weil das Saarland stark exportorientiert ist.
Welche Branchen sind im Moment besonders betroffen?
Gastronomie und Einzelhandel waren zu Beginn am stärksten betroffen und sind es immer noch. Bereits vor der Pandemie hatten wir im Saarland schon Probleme in der Stahl-, Automobil- und -zulieferindustrie, die sich alle in einem Strukturwandel befinden. Hier sorgt die Pandemie für beschleunigte Veränderungsprozesse. Das macht uns Sorge, denn wir sprechen allein in der Automobilbranche von über 44.000 Arbeitsplätzen und 17 Milliarden Euro Umsatz.
Erkennen Sie Steigerungen der Zahlen von Hartz-IV-Empfängern, womöglich ausgelöst durch Solo-Selbstständige, die nun in Not geraten sind?
Rein statistisch lässt sich das nicht eindeutig erfassen. Im September war die Zahl der Leistungsbezieher in der Grundsicherung leicht rückläufig. Wir bekommen jedoch mit, dass Solo-Selbstständige sich nicht scheuen, die Hilfsmittel des Bundes in Anspruch zu nehmen. Doch wenn es um den Hartz-IV-Antrag geht, den wir aufgrund der Pandemie vereinfacht haben, um den Zugang zu dieser Leistung zu beschleunigen, gibt es Bedenken. Sie tun sich damit sehr schwer, und dies stellen wir flächendeckend im gesamten Bundesgebiet fest.
Macht es nun Sinn, das Aussetzen der Insolvenzantragspflicht zu verlängern, um in Not geratene Unternehmen auch weiterhin vor dem Untergang zu retten?
Wenn Firmen schon in der Überschuldungsspirale sind, kommen sie dort kaum ohne Insolvenz heraus. Bis Ende des Jahres hat der Gesetzgeber die Ausnahmen bei der Anzeige von Insolvenzen verlängert, allerdings nur noch für den Insolvenzgrund Überschuldung. Bei tatsächlicher Zahlungsunfähigkeit müssen die Betriebe nach dem 30. September wieder die Insolvenz nach den alten Regeln anzeigen. Ob dies zu einer steigenden Zahl führt, müssen wir abwarten.
Mit Blick auf die Automobilindustrie: Zulieferindustrie und Produzenten streichen derzeit Tausende Stellen in Deutschland – welche Konsequenzen sehen Sie auf den Arbeitsmarkt zukommen?
Es wird große Auswirkungen haben, die größte Herausforderung für Deutschland, auch für das Saarland als Automobil-Land und Exportland, für alle Beschäftigte. Sie müssen sich weiterentwickeln, umorientieren und lebenslang lernen. Aber das Bemühen ist da, diese Veränderungsprozesse, auch im Sinne des Klimawandels, so gut wie möglich über die Bühne zu bringen. Wir stehen mit all unseren Arbeitsmarktpartnern im ständigen Austausch, um diese Veränderungen in Zusammenarbeit mit großen Unternehmen, aber auch mit den kleinen und mittelständischen Betrieben zu schaffen. Manche Tätigkeiten werden digitalisiert, andere weniger. Die Betroffenheit der Arbeitnehmer, vor allem im Saarland, aber ist groß. Angst habe ich keine davor, denn bislang ziehen alle Beteiligten hier an einem Strang. Und die Bundesagentur für Arbeit unterstützt die Transformation auch weiterhin massiv durch ihre Instrumente.