Tim Stützle ist eines der größten Eishockey-Talente Europas. Der Deutsche wurde an dritter Stelle von den Ottawa Senators gedraftet und spielt nun in der besten Eishockey Liga der Welt. So früh schaffte es nur ein anderer Deutscher: Leon Draisaitl – der MVP der vergangenen Saison.
Tim Stützle von den Mannheimer Adlern wurde beim Draft der nordamerikanischen Profiliga NHL nicht als Erstes gezogen. Und auch nicht als Zweites. Bei der Verteilung der weltweiten Nachwuchsspieler zogen ihn die Ottawa Senators an der dritten Position. Auch weil die Los Angeles Kings an zweiter Position lieber den bulligen Kanadier Quinton Bayfield verpflichten wollten. Viele Experten haben mit dem Deutschen eigentlich an erster oder zweiter Stelle gerechnet – im Endeffekt wird es ihm egal sein. „Das ist einfach eine große Ehre. Ottawa ist gerade im Rebuild, das ist das Beste für mich, mit der höchsten Wahrscheinlichkeit, so schnell wie möglich zu spielen", sagte Stützle: „Mein Ziel ist es am Ende, eine lange und erfolgreiche NHL-Karriere zu haben. Was Leon Draisaitl letzte Saison gemacht hat – und er wurde auch als Dritter gedraftet – das ist einfach unglaublich. Das ist auch mein Ziel, so zu sein." Obwohl der absolute Star eigentlich an der ersten Stelle gezogen wird, war Tim Stützle, der aus Viersen am Niederrhein stammt, eine Besonderheit des diesjährig virtuell ausgetragenen Talentebasars. Wenn Vereine ihre Spieler auswählen, teilten das an diesem Abend eigentlich die Manager mit. Als die Senators Stützle an der dritten Stelle auswählten, wurde ein Video eingespielt, in dem Alex Trebek zu sehen war.
Der Kanadier ist seit 1984 in den USA Gastgeber der beliebten Quizshow „Jeopardy", in der Kandidaten auf ihr Wissen getestet werden. Vor allem geht es darum, schnell zu sein und die Antwort in Form einer Frage zu formulieren. Die Kategorie, die an diesem Tag dran war: NHL. „An dritter Stelle des Drafts wählten die Ottawa Senators diesen Spieler aus", las Trebek vor. Da für diese Sonderausgabe nur Trebek verpflichtet wurde und keine Kandidaten oder Zuschauer, gab er auch zugleich die Antwort: „Wer ist Tim Stützel?". Der Nachname wird oft falsch wiedergegeben, das ist keine Seltenheit. Auch im Vorfeld des Drafts wurde viel über den deutschen Stürmer gesprochen – der Nachname wurde dabei selten richtig ausgesprochen. In Nordamerika werden sie nach diesem Draft aber genug Möglichkeiten haben, den Namen richtig auszusprechen. Stützle war an diesem Abend nicht der einzige Deutsche, der gedraftet wurde. Die Chicago Blackhawks, sein „Lieblingsteam in der NHL", zogen Lukas Reichel von den Eisbären Berlin an 17. Stelle. „Es ist ein großartiges Gefühl", sagte Reichel.
Stützle war eine Besonderheit des Talentebasars
Der neue Verein Stützles, die Ottawa Senators, waren seit 2017 nicht mehr in den Play-offs vertreten. Viele Leistungsträger haben den Verein verlassen, das Team steht vor einem Neuaufbau. Ein wichtiges Puzzleteil dafür: Tim Stützle. In Mannheim hat er über die Saison auf dem linken Flügel agiert, in der Junioren-Nationalmannschaft spielt er als Center. Diese Vielseitigkeit werde ihm in der NHL zugutekommen, meint Eishockey-Experte Pierre McGuire vom US-Sender NBCSN. „Mit ihm bekommt Ottawa jemanden, der sofort Angriff erzeugt. Es gibt nie viele Flügelspieler, die auch Playmaker sind. Er kann nicht nur Tore schießen, sondern auch ein Spiel gestalten", so McGuire, der Stützle als „mehrdimensionale Waffe" sieht, die trotz ihrer 18 Jahre „bereit für die NHL", sei.
Der 1,83 Meter große und 85 Kilogramm schwere Angreifer gilt als der beste Europäer seines Jahrgangs. Gegenüber den beiden vor ihm gewählten Spielern Alexis Lafreniere und Byfield hat er einen entscheidenden Vorteil: Die beiden stehen erstmals Männern auf dem Eis gegenüber, da sie direkt vom College kommen. Stützle kennt das aber schon aus seiner vergangenen Saison bei Meister Mannheim. Anstatt ein Jahr früher in die USA zu wechseln, um am College gegen Gleichaltrige zu spielen, blieb Stützle im gewohnten Umfeld mit Freunden und Familie. Geholfen habe ihm das ungemein, erklärt er. In der DEL traf er auf abgezockte Männer, die schon in dieser Liga spielten, als er im Alter von vier Jahren erste Gehversuche auf dem Eis machte. Stützle bezeichnet das als „riesen Vorteil, weil man ja in der NHL auch gegen Männer spielt."
Das Talent spielte in Mannheim zudem nicht nur ein wenig mit und bekam ein paar Einsatzminuten von Trainer Pavel Gross. Er hatte seine feste Rolle inne zwischen Ben Smith, der 2013 den Stanley-Cup gewann und dem finnischen Routinier Tommi Huhtala. In 41 von 51 Hauptrunden-Spielen stand Stützle auf dem Eis, dabei war er an 34 Treffern direkt beteiligt. Er erzielte sieben Tore und bereitete 24-mal vor. Unter den Stürmern bekam er mit einem Schnitt von 16:06 Minuten pro Partie die sechsthäufigste Eiszeit. Mehr hatten dabei nur die Ex-NHL-Profis Ben Smith und Andrew Desjardins oder mit David Wolf und Matthias Plachta zwei Silbermedaillen-Gewinner der Winterspiele 2018.
Er wollte bewusst noch ein Jahr DEL spielen
In der Geschichte der NHL wurde bislang nur ein Deutscher so früh im Draft gezogen: Leon Draisaitl. Die Edmonton Oilers hatten den Deutschen damals ebenfalls an dritter Stelle gezogen. Über den gebürtigen Kölner gab es dieselben Lobeshymnen wie über Stützle. Für viele war auch Draisaitl damals der beste Europäer seines Jahrgangs. Sechs Jahre später, im Jahr 2020, ist Draisaitl NHL-Topscorer, wertvollster Akteur (MVP) und von Mit- und Gegenspielern zum herausragenden Profi der Saison gekürt. Draisaitl hat sich vorm Draft auch bei Stützle gemeldet: „Leon hat sich bei mir gemeldet und mir alles Gute für den Draft gewünscht", sagt Stützle: „Das war sehr cool. Er ist ein tolles Vorbild, hat Deutschland durch die Wahl zum wertvollsten NHL-Spieler stolz gemacht." Von Stützle jetzt ähnliche Heldentaten zu erwarten, wäre nicht fair. Bei einer Karriere in der NHL kommt es nicht nur darauf an, talentiert zu sein und eine gute Arbeitseinstellung zu haben, sondern vor allem von Verletzungen verschont zu bleiben. „Es ist eine sehr große Ehre für mich, mit so einem großartigen Spieler verglichen zu werden. Ich bin aber noch einmal ein etwas anderer Spielertyp. Wir haben auch unterschiedliche Persönlichkeiten. Für mich ist es toll, wenn ich mit ihm in einem Zusammenhang genannt werde, und es motiviert mich zusätzlich. Ich will irgendwann auch einmal auf dieses Level kommen. Leon hat das in der vergangenen Saison super gemacht und auch die Jahre davor sehr gutes Eishockey gezeigt, damit viele junge Spieler motiviert, die alle zu ihm aufschauen. Da bin ich mit Sicherheit nicht der Einzige, denke ich", sagte Stützle auf einer Pressekonferenz vor dem Draft.
Den Vergleich empfindet er als Ehre
Für die Experten in der NHL ist Draisaitl sowieso nicht der Spielertyp, mit dem Stützle zu vergleichen ist, sondern Patrick Kane. Stützle habe eine ähnliche Spielanlage wie der Superstar der Chicago Blackhawks. Leider gab es nach dem Draft eine schlechte Nachricht für den baldigen NHL-Spieler. Im Training verletzte Stützle sich am Arm, fehlt den Adlern Mannheim jetzt für sechs bis acht Wochen. Eine erste kleine Herausforderung, von denen in den kommenden Jahren wohl einige auf ihn warten werden. Nicht unbedingt mit Verletzungen, davon bleibt er hoffentlich verschont. Vielmehr wird die Umstellung auf das nordamerikanische Eishockey eine große Herausforderung. Gegen Männer hat er zwar schon gespielt, in der besten Liga der Welt spielt aber doch ein anderes Kaliber. Genügend Zeit, um sich dort zu akklimatisieren, wird er bekommen, genügend Talent, um auch in der NHL Fuß zu fassen, ist ohne Zweifel vorhanden. Die Eishockey-Fans im Land blicken mit großer Vorfreude nach Nordamerika, wenn dort bald ein neues Talent über das Eis gleiten wird: Tim Stützle.