Die SPD hat es aktuell nicht leicht. Mit Olaf Scholz ist der Kanzlerkandidat zwar klar, aber in Corona-Krisenzeiten bewegt sich beim Meinungsumfrage-Klima wenig. Der Bundesvorsitzende Norbert Walter-Borjans zeigt sich trotzdem optimistisch hinsichtlich des Ziels, die SPD 2021 zur stärksten Kraft zu machen.
Herr Walter-Borjans, Sie sind seit fast einem Jahr SPD-Parteivorsitzender. Damals hatten Sie und Co-Chefin Saskia Esken einige Ziele auf der Agenda. Was konnten Sie umsetzen?
Gemeinsam mit Saskia Esken bin ich angetreten, um das sozialdemokratische Profil unserer Partei zu schärfen und verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Sozialdemokratische Werte, die viele Bürgerinnen und Bürger teilen, zum Beispiel gelebte Solidarität und Gerechtigkeit, müssen wieder glaubhaft mit der SPD verbunden werden. Das geht nicht über Nacht, aber wir sind auf einem guten Weg. Wir haben gezeigt, dass die SPD Krisenmanagement kann und Verantwortung übernimmt, wenn es schwierig wird. Den gewaltigen Herausforderungen der Corona-Pandemie sind wir gemeinsam mit den SPD-Bundesministerinnen und mit spürbaren Entlastungen und Hilfen begegnet. Die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes und die Ausgestaltung des Corona-Konjunkturpakets zum Beispiel tragen deutlich unsere Handschrift. So sichern wir Arbeitsplätze, unterstützen Familien, stärken den Kommunen den Rücken. Das bewerte ich als großen Erfolg.
Mit Olaf Scholz hat die SPD sehr früh einen Spitzenkandidaten präsentiert. Dabei steht er für etwas, wogegen Sie und Frau Esken sich klar ausgesprochen hatten: die große Koalition. Wie sehen Sie das?
Die frühe Nominierung von Olaf Scholz war eine bewusste Entscheidung. In diesem Jahr haben wir eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Olaf Scholz erlebt. Er ist aufgrund seiner Regierungserfahrung der Richtige für die weiter bestehenden riesigen Herausforderungen. Es gibt einen engen Schulterschluss zwischen Parteispitze und Kanzlerkandidat. Es war uns wichtig, früh für Klarheit zu sorgen und diese dann auch nach außen zu tragen. Olaf Scholz steht nicht für eine Wiederauflage der großen Koalition. Diese Regierungszusammensetzung kann nicht die Norm sein, das ist aber keine neue Erkenntnis. Olaf Scholz hat Regierungsverantwortung im Rahmen der großen Koalition übernommen. Jetzt treten wir mit dem klaren Ziel an, einen Regierungswechsel einzuleiten und CDU und CSU in die Opposition zu schicken.
Eine Fortsetzung der Großen Koalition steht also nicht zur Debatte?
Die Gemeinsamkeiten mit CDU und CSU sind schlicht aufgebraucht, das zeigt sich immer deutlicher. Wir brauchen jetzt eine andere Regierung, die bereit ist, die großen Zukunftsaufgaben entschlossen anzugehen. Wir wollen diese Regierung anführen, dazu brauchen wir ein gutes Wahlergebnis, eine starke SPD.
Zum Beispiel in einem rot-rot- grünen Bündnis, das in den vergangenen Wochen immer wieder Thema war?
Unsere Aufgabe für das kommende Jahr ist es, ein starkes Wahlergebnis für die SPD zu erzielen. Danach sprechen wir über Koalitionen. Wir wollen die stärkste Kraft in einem Zukunftsbündnis werden.
Nun sieht es mit der stärksten Kraft bisher noch nicht so vielversprechend aus. In den aktuellen Umfragen sowie auch bei der vergangenen Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen hat Ihre Partei mit einem Stimmverlust zu kämpfen. Sigmar Gabriel hatte einmal gesagt, die SPD sei linker als die Linken und ökologischer als die Grünen. Spielt dieser Links-Ruck in den Stimmverlust mit rein?
Selbstverständlich sind wir nicht zufrieden mit den aktuellen Umfragewerten oder dem Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen insgesamt. Die Kommunalwahl in NRW hat vielerorts aber auch gezeigt, dass die SPD da, wo es um Köpfe geht, um Bürgermeisterkandidaten, eine sehr gute Figur macht. Das lässt sich ein Stück weit auch auf die Bundespolitik übertragen. Dort wird den SPD-Ministerinnen und Ministern zwar eine gute Arbeit bestätigt, aber das zahlt nicht auf die SPD-Umfragewerte ein. Wir müssen daran arbeiten, dass unsere Erfolge auch mit der SPD verknüpft werden und nicht nur mit der Kanzlerin, nur weil sie an der Spitze dieser Regierung steht. Im Übrigen: Wenn es als links gilt, Politik für die große Mehrheit der Menschen zu machen, habe ich wenig Sorge, dass das einem guten Wahlergebnis im Weg steht.
Wie wollen Sie Wähler zurückgewinnen?
Wir müssen Überzeugungsarbeit leisten für unsere Inhalte. Ich bin sicher, dass das Potenzial der SPD bei 30 Prozent und mehr liegt. Um das zu erreichen, müssen wir aus den anerkannt guten Leistungen in der Regierung wieder einen Vertrauensvorschuss für das machen, was vor uns liegt. Eine gerechtere Gesellschaft, in der der Starke den Schwächeren stützt, in der man sich solidarisch miteinander zeigt und zusammensteht, wenn die Lage schwierig ist. Wir wollen aber auch vorangehen in den großen Zukunftsfragen, wie beispielsweise Digitalisierung und wie wir den Wandel dahin für alle chancenreich gestalten können. Dazu erarbeiten wir zurzeit ein Wahlprogramm, das deutlich herausstellen wird, was die Positionen der SPD sind und mit dem wir mit breiter Brust in das Wahljahr 2021 gehen können. So wollen wir ein Bewusstsein dafür schaffen, für welche Werte die SPD nach wie vor steht. Unsere Kandidatinnen und Kandidaten werden um den Vertrauensvorschuss werben. Mit Olaf Scholz als Kanzlerkandidat sind wir auf einem guten Weg.
Bei der letzten Wahl stand das SPD-Wahlprogramm unter dem Schlagwort „Gerechtigkeit“. Mit welchen Themen möchten Sie sich im kommenden Wahljahr präsentieren?
Das Thema Gerechtigkeit ist nicht vergessen, es ist und bleibt ein Kernanliegen der Sozialdemokratie. Allerdings haben wir, besonders in der immer noch anhaltenden Corona-Pandemie, auch erlebt, dass Zusammenhalt und Respekt eine große Rolle spielen. Die Menschen haben erlebt, dass sie mit Solidarität und Respekt viel besser durch die Krise kommen – etwa, wenn sie sich im Alltag verantwortungsvoll verhalten, um ihre Mitmenschen zu schützen. Oder wenn sie Achtung vor der Lebensleistung anderer zeigen, zum Beispiel in den sogenannten systemrelevanten Berufen. Dort muss sich der Respekt dann zum Beispiel durch eine angemessene Vergütung zeigen und durch die Schaffung besserer Arbeitsbedingungen. Das hilft mit Sicherheit mehr, als abendlicher Applaus vom Balkon. Ich denke, dass die Corona-Situation vielerorts Defizite aufgezeigt hat, die es nun zu beheben gilt. Diese Themen werden für das kommende Jahr mit Sicherheit bestimmend sein.