Charles de Gaulle gilt heute für 70 Prozent seiner Landsleute als wichtigste Gestalt der französischen Geschichte. Sein Name ist aber auch für immer eng mit dem von Konrad Adenauer verbunden. Die beiden führten ihre Völker nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zusammen. Vor 50 Jahren ist der General gestorben.
Die gotische Kathedrale zu Reims, im Herzen der Champagne, wo jahrhundertelang die französischen Könige gekrönt wurden, ist eine der schönsten Kirchen Frankreichs. Sie erlebte die Höhe- und Tiefpunkte der französischen und europäischen Geschichte, nicht zuletzt die Wirren der beiden Weltkriege. Mit der Annäherung der Völker beiderseits des Rheins seit den 50er-Jahren wendete sich das Blatt. Reims wurde zu einem der wichtigsten deutsch-französischen Erinnerungsorte. Untrennbar verknüpft mit der Bischofsstadt ist das Andenken an die beiden Staatsmänner, die ihre Völker nach Jahrhunderten der Spannungen und Kriege zusammenführten.
So hat man sie in Erinnerung: zwei alte Herren, Seite an Seite beim Dankgottesdienst in der berühmten Kathedrale. Es war im Juli 1962, als Frankreichs Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer die Aussöhnung ihrer Völker feierten. Ebenso unvergesslich, wie die beiden im Januar 1963 im Pariser Élysée-Palast nach Unterzeichnung des Freundschaftsvertrages den Bruderkuss austauschten. Eine damals durchaus spektakuläre Geste.
De Gaulle und Adenauer waren Staatsmänner von ungewöhnlichem Format, die man schon zu Lebzeiten als die Verkörperung ihrer Länder empfand. Dabei hat es ihnen auch an Kritikern nicht gemangelt. Polarisierer waren beide, wovon Adenauers Widersacher wie Jakob Kaiser (CDU) oder Willy Brandt (SPD) ein Liedchen singen konnten. De Gaulle sah sich von dem linken Schriftsteller Jean-Paul Sartre als „Diktator im demokratischen Gewand" angefeindet, als er sich anschickte, Frankreich innenpolitisch zu stabilisieren.
Werdegang und Stil der beiden Politiker ähnelten sich. Beide kamen aus katholisch-konservativem Elternhaus, geboren in Köln der eine, im nord-französischen Lille der andere. Beide waren klassisch gebildet und landeten trotz unterschiedlicher beruflicher Wege – Adenauer war Rechtsanwalt, de Gaulle Kommandeur eines Panzerregiments – schließlich in der Politik. Als Oberbürgermeister von Köln von 1917 bis 1933 und Präsident des Preußischen Staatsrates gehörte der gerade 40-jährige Adenauer zur Führungselite der Weimarer Republik. Die Nationalsozialisten jagten ihn aus dem Amt, beschimpften ihn als Juden- und Ausländerfreund und verhafteten ihn nach dem fehlgeschlagenen Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944.
De Gaulles größter Auftritt kam, als Frankreich am 18. Juni 1940 vor Hitler-Deutschland kapituliert hatte. Da dröhnte den Franzosen über Radio BBC London das dreifache „Nein" des unbekannten 49-jährigen Brigadegenerals entgegen: Frankreich habe eine Schlacht verloren, aber nicht den Krieg. Der Rebell sagte „Nein" zum Waffenstillstand, „Nein" zur Niederlage, „Nein" zur Resignation. De Gaulle wurde zum Kopf des Widerstandes gegen den deutschen Aggressor. Die Vichy-Regierung verurteilte ihn in Abwesenheit zum Tode. Im Bewusstsein der Franzosen aber verschmolz sein Name mit seinem militärischen Rang. „General de Gaulle" nannten ihn viele bis zuletzt.
Als Hitler dann vor allem dank amerikanischer Waffenhilfe niedergerungen war, zog der General im August 1944 als Sieger in das befreite Paris ein. Meister der Selbstinszenierung und geschliffenen Rhetorik, der er war, kleidete er die historische Bedeutung des Tages in pathetische Worte: Erst gedemütigt, gebrochen und geschunden, sei Paris jetzt befreit. Befreit durch sich selbst und seine Bewohner mit Unterstützung der französischen Armeen. Auch wenn der Führer des „freien Frankreich" die Erwähnung der angloamerikanischen Truppen vergaß, die bei der Befreiung die Hauptrolle gespielt hatten: Die Symbolkraft des Auftritts blieb. Der „Mythos de Gaulle" war geboren, das Image des Kämpfers blieb. Nach Kriegsende 1945 wurden die Karten neu gemischt. Mit von der Partie in ihren Ländern: de Gaulle und Adenauer.
Beharrlicher Karrierewille und Ausdauer führte beide in die höchsten Staatsämter. Nach einem kurzen Intermezzo als Regierungschef 1945/46 nahm de Gaulle den Hut und schrieb in der Abgeschiedenheit seines „Exils" im lothringischen Colombey-les-Deux-Eglises seine Kriegsmemoiren, die auf Anhieb zum Bestseller wurden. Erst der Aufstand der Franzosen im bedrohten Algerien brachte ihn 1958 erneut ans Ruder.
Adenauers Weg führte ohne Bruch nach oben. 1949 wurde er – im Alter von 73 Jahren – erster Bundeskanzler. Dass er 14 Jahre lang, also bis 1963, im Amt bleiben würde, hatte niemand geahnt. Auch die Gegner de Gaulles hatten sich verschätzt. Sie tönten 1958, man habe sich den General nur geholt, um die Algerienfrage zu lösen. Es kam anders. Aus der erhofften Episode wurden elf Jahre de Gaulle von 1958 bis 1969.
„Auserwählte des Schicksals"
Das Selbstbewusstsein des Generals war enorm. Er wollte ein großes Frankreich, das in der Weltpolitik gehört wurde. Der Nationalgedanke zählte für ihn weitaus mehr als die Europa-Idee. Ein supranationales Europa – in der befürchteten Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten – lehnte er entschieden ab. Deshalb hatte de Gaulle in der europabegeisterten Bundesrepublik keine gute Presse, als er am 1. Juni 1958 die Staatsgeschäfte übernahm. Auch Adenauer war skeptisch.
In Bonn kannte man noch nicht de Gaulles intern verkündete Marschrichtung: Wenn es eine Nation gebe, mit der das französische Volk zum Besten Europas kooperieren solle, dann sei es die deutsche. De Gaulle schätzte – im Gespräch mit seinem Vertrauten Alain Peyrefitte – Adenauers „würdiges" Verhalten während der Nazizeit und die „Strenge" seines Regierungsstils: „Niemand kann besser als er meine Hand ergreifen. Aber niemand kann sie ihm besser reichen als ich."
Schon die erste Begegnung mit dem Bundeskanzler im September 1958 in Colombey brachte den Durchbruch. Adenauers Beklemmung löste sich. De Gaulle sei anders, als er befürchtet habe: „Ich gewann den Eindruck, dass die böse Vergangenheit endgültig Vergangenheit war." Auch der General war zufrieden: „Wir beide bleiben von nun an in enger persönlicher Verbindung."
Die deutsch-französische Annäherung intensivierte sich. Hauptstationen waren Adenauers Staatsbesuch in Frankreich im Juli 1962 und de Gaulles bejubelte Reise durch die Bundesrepublik im September 1962. Nicht zuletzt der Élysée-Vertrag im Januar 1963, der als „Freundschaftsvertrag" in die deutsch-französischen Annalen eingegangen ist. Im Schatten dieser glanzvollen Staatsereignisse bestanden dennoch manche Meinungsunterschiede fort. Diese betrafen insbesondere das Verhältnis zu den USA und zur Nato. De Gaulles Ziel einer exklusiven Allianz zwischen Paris und Bonn scheiterte am Bundestag. Dieser fügte dem Élysée-Vertrag eine proatlantische Präambel hinzu. De Gaulle und Adenauer waren tief enttäuscht.
Aus historischer Perspektive entscheidend war jedoch, dass die beiden Staatsmänner als „Auserwählte des Schicksals", wie es der französische Diplomat François Seydoux einmal formulierte, ihre lange verfeindeten Völker politisch und gefühlsmäßig zusammengeführt hatten. Gelegentliche Flauten in den Beziehungen – zuletzt wegen der vorübergehenden Grenzschließungen während der Corona-Pandemie in diesem Jahr – änderten nichts an der Substanz des Freundschaftsvertrages.
Mai-Unruhen 1968 wurden Wendepunkt
Das geringere Format späterer Führungsgarden beiderseits des Rheins lässt die politische Größe der Weichensteller Adenauer und de Gaulle umso deutlicher hervortreten. Der Abschied vom Amt fiel beiden schwer. Am Ende ihres Lebens ließen sie Zeichen zunehmender Resignation erkennen, zweifelten an der Kompetenz ihrer Nachfolger und misstrauten der politischen Reife ihrer Völker. Adenauer verlor den „Erbfolgekrieg" gegen Ludwig Erhard, der ihm als Kanzler folgte.
De Gaulles Stern sank mit den Mai-Unruhen 1968 und dem Ruf nach Reformen. Nach der Niederlage beim Referendum über die Regionalisierung trat er im April 1969 zurück. Zwei Jahre zuvor war Adenauer im Alter von 91 Jahren gestorben. De Gaulle folgte ihm im November 1970, 80-jährig. War es ein Zufall, dass man die beiden in Nachrufen mit mächtigen Eichen verglich, die nun gefällt seien?
De Gaulle hatte Bleibendes für sein Land geleistet, indem er den Widerstand gegen Hitlerdeutschland organisierte, die Verfassung der Fünften Republik durchsetzte, den Algerienkrieg beendete und die Versöhnung mit den Deutschen vorantrieb. Seine Voraussagen vom Fall des Kommunismus und der Wiedervereinigung Deutschlands erwiesen sich als enorm scharfsinnig. 70 Prozent der Franzosen halten ihn bis heute für die wichtigste Gestalt der französischen Geschichte.