Was passierte während des Lockdowns eigentlich mit der deutschen Forschung? Einfache Lösungen waren hier nicht möglich. Die Pharmazie der saarländischen Universität, eingezwängt zwischen Raumproblemen und starrer Approbationsordnung, versuchte es auf dem kleinen Dienstweg.
Was haben Humanmedizin, Lebensmittelchemie, Pharmazie, Jura und Lehramt gemeinsam? Studiengänge wie auch Forschung waren in Zeiten des pandemiebedingten Lockdowns erst einmal lahmgelegt, bis digitale Technik, Onlineseminare und Videotelefonie einspringen konnte. An Laborarbeit war gar nicht zu denken. Die größte Herausforderung dabei: die Organisation praktischer Lehre, also der Laborarbeit, erklärt Dr. Michael Ring, Studienkoordinator der Fachrichtung Pharmazie an der Universität des Saarlandes (UdS). Denn die macht immerhin circa 60 Prozent des Pharmaziestudiums aus. „Die praktische Arbeit im Labor ist allenfalls teilweise oder begleitend durch digitale Formate zu ersetzen. Weder in der Forschung noch in der Lehre kommt man in den Naturwissenschaften voran, wenn man kein Labor zur Verfügung hat", sagt Ring im Gespräch mit FORUM.
Nicht nur für die Studierenden, sondern auch für die Doktoranden ist die Arbeit in einem Labor essenziell. Für die praktische Ausbildung der Pharmazie-Studierenden hat sich die Lage während Corona aufgrund des schlechten Zustandes des Pharmazie-Altbaus und Verzögerungen bei der Inbetriebnahme eines beinahe fertigen Neubaus noch verschärft. Im Frühjahr mussten die pharmazeutischen Labore der Universität als erste Reaktion auf die Pandemie für circa zwei Monate schließen. Prof. Dr. Christian Ducho, geschäftsführender Professor der Pharmazie, hält diese Entscheidung für absolut richtig: „Ich finde, dass die Universität mitziehen muss, wenn es durch die Fachleute epidemiologisch empfohlen wird, Labore zu schließen. Kritik an Dingen ist in einer Demokratie gut und wichtig, aber ich halte das Herumnörgeln an vielen Experten für unangebracht. Unterm Strich bin ich persönlich extrem dankbar, dass wir durch jemanden wie den Kollegen Drosten beraten werden, der auf seinem Gebiet ein absoluter Profi ist."
Trotzdem hat die Schließung der Labore die Doktoranden knapp zweieinhalb Monate praktischer experimenteller Arbeit gekostet, denn auch nach dem kompletten Lockdown konnte der Betrieb im Monat Mai zunächst nur teilweise wiederaufgenommen werden. Bis die Abstandsregelungen geklärt waren, fanden abwechselnde Schichten in den Laboren statt, und die Doktoranden mussten ihre Experimente unter relativ erschwerten Bedingungen nachholen, da sie parallel Lehraufgaben unter Berücksichtigung straffer Zeitpläne zu bewältigen hatten. „Wir kompensieren das dadurch, dass ich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei den Promotionsvorhaben in beiderseitigem Einvernehmen entsprechend Vertragsverlängerungen anbiete. Bei den drittmittelfinanzierten Projekten ist es so, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bereit ist auszuhelfen, wenn Projekte durch die Pandemiesituation einen Schaden genommen haben", erklärt Ducho.
Warum aber nicht einfach den Zeitplan für die Lehraufgaben etwas lockern? Auch hier hat es die Pharmazie nicht so einfach wie viele andere Studiengänge. Da sie an eine sogenannte Approbationsordnung gebunden ist, die Rechtsverordnung – die in Deutschland die Zulassung zu akademischen Heilberufen regelt, muss sie sich an einen genauen Zeitplan halten. Damit dieser Zeitplan überhaupt eingehalten werden konnte, mussten Lehrveranstaltungen en bloc gehalten werden, sodass im Mai durchgehend Vorlesungen stattfanden und dafür ab Juni, ebenfalls in Blöcken, Laborpraktika.
Ein großes Problem während der Pandemie ist nach wie vor die Abhängigkeit von Prüfungsterminen, auf die die Fakultät keinen bis wenig Einfluss hat, denn die Verantwortung für das erste und zweite Staatsexamen trägt die Landesverwaltung. Das erste Staatsexamen findet nach dem vierten Semester statt, das zweite nach dem achten und letzten Semester. Ersteres ist bundesweit einheitlich terminiert, beide werden begleitet von einer gemeinsamen Anmeldefrist sowie einer Frist zum Nachreichen der Unterlagen. Deshalb muss die Pharmazie der Universität zwangsläufig bis zu dieser Frist das Pensum des vierten und achten Semesters durchgearbeitet haben.
Zeitdruck bei den Studienplänen
Dieser Zeitdruck hinter der Organisation von Studienplänen ist nicht nur Grund dafür, dass das Wintersemester 2020/21 bei der Pharmazie der UdS bereits im Oktober und nicht erst im November begann, sondern sorgt auch für erhebliche Mehrbelastung für die Mitarbeiter dieses Faches. Laborpraktika innerhalb dieses strikten Zeitplanes unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen, in Kombination mit weniger Räumen, vorzubereiten und durchzuführen, war für sie eine große Herausforderung. Ab November soll jedoch das neue Praktikumsgebäude nutzbar sein, das bessere Rahmenbedingungen schafft.
„Natürlich wird man mit der Erfahrung des ersten Lockdowns beispielsweise überprüfen können, ob bei steigenden Infektionszahlen in einem Labor mit einer gewissen Quadratmeterzahl eine komplette Schließung unumgänglich ist oder ob es nicht vielleicht doch eine Möglichkeit gibt, mit reduzierter Personenzahl unter gewissen Auflagen weiterzuarbeiten", erklärt Prof. Dr. Ducho. „Dadurch, dass unsere Labore Umluftanlagen besitzen, haben wir durch die Abzüge in einem modernen funktionierenden Labor einen Luftaustausch von circa acht Raumvolumina in der Stunde. Das heißt, das sind sehr stark belüftete Räume mit hohen Luftaustauschraten. Aber das ist eine Entscheidung, die ich den berufenen Experten überlasse. Die Sicherheit der Mitarbeitenden muss ganz klar vor einen Ehrgeiz im Bereich der Forschung gesetzt werden."
Was das vergangene Semester angeht, so sehen der Studienkoordinator und der geschäftsführende Professor im Endergebnis bis auf den enormen Zeitverzug keine erheblichen Nachteile. „Wir können zum Glück sagen, dass bei den Ergebnissen des Corona-Sommersemesters 2020 unserer Studierenden kein Absinken des Leistungsniveaus festzustellen ist", erklärt Ducho. Und Michael Ring fügt hinzu: „Ich würde meine Wertschätzung auch gerne den Studierenden entgegenbringen. Die Tatsache, dass sie die Umstellung auf die Online-Lehre alle so unkompliziert angenommen haben; auch, dass man teilweise von morgens bis abends oder auch samstags im Labor stehen musste. Dass wir trotzdem im ersten Staatsexamen das drittbeste Ergebnis unter 20 beteiligten Standorten erzielt haben, ist schon eine Leistung. Aber gleichzeitig muss ich natürlich auch meine Wertschätzung für die Mitarbeiter zum Ausdruck bringen, die das ermöglicht haben. Denn auch sie standen von morgens bis abends im Praktikumslabor, teilweise auch samstags, und konnten nichts für ihre eigenen Doktorarbeiten und Weiterqualifizierungen machen." Dazu kommt noch, dass die Mitarbeiter der Lehre und Forschung mit den Studierenden unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen in den Praktikumsräumen zusammenarbeiten und somit auch häufigeren Personenkontakt und ein größeres Ansteckungsrisiko haben.
Keine schnellen oder unbürokratischen Corona-Tests
Vonseiten des Landes fühlte sich auch der Studiengang der Pharmazie weitestgehend ausreichend unterstützt. In Sachen Kinderbetreuung konnten während des Lockdowns kreative Lösungen mit sinnvollen Aufgaben für den Heimarbeitsplatz gefunden werden. Allerdings gestaltete sich die Organisation eines Corona-Tests eher schwierig: „Da musste ich mit etwas Befremden feststellen, dass man als Universitätsangehöriger mit Präsenzkontakt zu anderen auf der Onlineplattform nichts anklicken konnte, wenn man sich beim Testzentrum anmelden wollte. Wenn man frisch aus dem Urlaub zurückkam, konnte man das hingegen tun. Ich habe nicht verstanden, warum man, als es epidemiologisch gesehen ruhiger zuging, als Universitätsangehöriger nicht schnell und unbürokratisch an einen Corona-Test kam. Derzeit hat sich das Problem erledigt. Aber falls die Zahlen wieder sinken sollten, würde ich mir wünschen, dass man Universitätsangehörige behandelt wie Lehrerinnen und Lehrer in Schulen, wo Personenkontakt zur Erfüllung der Dienstaufgaben unvermeidlich ist."
Trotz der Tatsache, dass sich Initiativen und Anträge für eine bundesweite Verschiebung des ersten Staatsexamens im Sande verlaufen haben, „haben wir ermöglicht, dass im Herbst jeder, der Staatsexamen machen wollte, dies auch tun konnte", bekräftigt der Studienkoordinator der Pharmazie. Die Landesprüfungsämter haben gemeinsam entschieden, den Termin für das erste Staatsexamen nicht zu verschieben. Allerdings konnte die UdS erreichen, dass der Nachreichtermin für die Unterlagen der Anmeldung zum Staatsexamen um eineinhalb Wochen nach hinten verschoben wurde, sodass immerhin die Klausuren etwas entzerrt werden konnten. Zwar hatte die Pharmazie eingeführt, dass für Studenten die Möglichkeit besteht, die automatische Anmeldung zu bestimmten Veranstaltungen während der Pandemie aufzuheben. Jedoch wurde diese nur von einer Person in Anspruch genommen. Daraus schließt Dr. Michael Ring, dass die Studierenden allgemein gut mit dem Einhalten der Approbationsordnung zurechtgekommen sind. Für Ausnahmeregelungen und Sonderbestimmungen zu Approbationsordnungen ist das Bundesgesundheitsministerium zuständig. Zu Beginn der Pandemie stieß der Studiengang der Medizin dort wesentlich schneller auf offene Ohren, bis auffiel, dass die Pharmazie mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat. „Bis das mal politisch Fahrt aufgenommen hatte, hatten wir längst interne Lösungen gefunden", erklärt Prof. Dr. Ducho.
In der Pharmazie herrscht laut den beiden Wissenschaftlern zwischen Studierenden und Dozenten eine etablierte Kultur mit wenigen Hierarchien, sodass gemeinsam Lösungen für Probleme gefunden werden können. „Ich habe mich auch im Fakultätsrat dafür verwendet, dass Lösungen fachspezifisch unter Berücksichtigung von Fächerkulturen gefunden werden. Ich halte das maßgeschneidert für besser als universitätsübergreifend eine Einheitslösung vorzugeben. Das haben seinerzeit viele Kolleginnen und Kollegen im Fakultätsrat unterstützt, unter Anwesenheit und ohne Widerspruch von Studierenden. Ich hatte bei über 30 Studierenden keine einzige Person, die in Haupt- und Wiederholungsklausur am Ende nicht bestanden hätte, auch ohne pauschale Freischussregelung", betont der geschäftsführende Professor. Und so ist es bei Staatsexamensstudiengängen wie so oft in diesen Zeiten: Bei Problemen stellt nicht das Finden von Lösungen, sondern die Umsetzung die wahre Herausforderung dar.