Nach dem verpatzten Saisonstart werfen sich die Füchse Berlin den Frust von der Seele. Traurig stimmt jedoch der Abschied von Mattias Zachrisson.
So früh in der Saison – und schon so viel Druck auf dem Kessel! Die Füchse Berlin sind schlecht aus den Startlöchern gekommen, die Spielzeit in der Handball-Bundesliga begann mit zwei Niederlagen aus den ersten fünf Partien enttäuschend.
Im Heimspiel gegen die HSG Wetzlar waren die Berliner fast schon zum Siegen verdammt, um ihr Saison-Ziel „Top-3" nicht aus den Augen zu verlieren. „Wetzlar", hatte Sportvorstand Stefan Kretzschmar vor dem Anpfiff unterstrichen, „wird ein maximales Druckspiel!" Zufrieden stellten Kretzschmar und Geschäftsführer Bob Hanning fest, dass das Team dem Druck standhielt. Mit einem 35:28 (17:15)-Sieg fegten die Berliner die Wetzlarer von der Platte, der Lohn waren der zweite Saisonsieg und der vorübergehende Tabellenplatz zehn. Noch immer viel zu schlecht für die Ambitionen des Hauptstadtclubs, aber zumindest ist die Aufholjagd eröffnet. Doch die könnte ein jähes Ende finden, denn nach der Länderspielpause ist am 12. November (19 Uhr) in der Bundesliga kein Geringerer als Rekordmeister THW Kiel der kommenden Gegner. Bei einem Sieg wäre Berlin endgültig in der Spur, bei einer Niederlage kämen wieder jene Zweifel auf, die gegen Minden vorerst beiseitegeschoben wurden. „Da war heute viel Druck im Spiel", sagte Trainer Jaron Siewert nach dem Sieg gegen die HSG: „Wir wussten, dass es wichtig ist, ein gutes Spiel hinzulegen, und die Mannschaft war dementsprechend heiß."
Spitzenspiel gegen den THW Kiel
Die große Motivation habe er seinen Spielern sogar in den Gesichtern vor dem Anpfiff angesehen, verriet der junge Coach. Doch in der ersten Halbzeit schienen die Gastgeber übermotiviert, der Spielaufbau war mit zahlreichen Fehlern behaftet. „Anfang zweite Halbzeit sind wir dann richtig gut reingekommen", lobte Siewert, der vor allem mit dem Tempospiel sehr zufrieden war: „Das hat um einiges besser funktioniert, was man auch an den 35 Toren sieht."
Heiß lief vor allem Milos Vujovic. Der Linksaußen aus Montenegro war mit zehn Treffern der Matchwinner, nach dem Abpfiff ließ er sich von seinen Mitspielern von einer Jubel-Traube begraben. Vujovic hatte im August bei einem Verkehrsunfall Glück im Unglück gehabt. Er war auf dem Fahrrad von einem Lkw erfasst worden. Vom Unfall und dem kurzen Aufenthalt auf der Intensivstation blieben zum Glück keine schweren Folgen.
In den Jubel um den erlösenden Sieg mischte sich aber auch Traurigkeit. Mattias Zachrisson wurde offiziell verabschiedet, seine hartnäckigen Schulterprobleme im linken Wurfarm lassen einen Leistungssport nicht mehr zu. Mit nur 30 Jahren muss der Schwede die Platte verlassen, die Füchse werden seine Torgefährlichkeit (463 Tore in 162 Bundesligapartien) und vor allem seine Einsatzfreude vermissen. Den Rechtsaußen zieht es zunächst zurück in seine Heimat. „Jetzt kommt ein neues Leben", sagte er: „Ohne Handball."
Der erzwungene Abschied nach sieben erfolgreichen Jahren (Titel im DHB-Pokal 2014, EHF-Pokal 2015 und 2018, Club-WM 2015 und 2016) ging auch dem sonst so abgebrühten Hanning nah. „Er ist ein großartiger Mensch und ein großartiger Sportler", sagte der Füchse-Geschäftsführer: „Er wird immer im Herzen der Füchse Berlin ein wesentlicher Bestandteil bleiben." Auch Kretzschmar ging die Trennung an die Nieren: „Das emotionalste Gespräch dieses Jahr hatte ich mit Zacke, als er mir unter Tränen mitteilte, dass er wohl nie wieder Handball spielen könne."
Bei Zachrisson flossen ein paar Tränen, doch zumindest schenkten ihm die Teamkollegen noch mal einen Sieg zum Abschied. Man habe auch für Zachrisson gekämpft, verriet Trainer Siewert – doch auch ohne diesen Extra-Kick war ein Sieg fast schon Pflicht. Vor allem die vorangegangene 26:31-Niederlage beim bis dahin sieglosen Club GWD Minden hatte den Club aufgeschreckt. Die Verantwortlichen erhöhten den Druck.
Siewert: „Stehen Nicht da, wo wir stehen wollen"
„Wir strahlen nicht aus, was wir wirklich wollen und was für Möglichkeiten wir haben", hatte Kretzschmar die Profis kritisiert: „Es ist schade, dass wir uns limitieren, weil wir unsere individuellen Qualitäten nicht auf die Platte bringen." Vor Saisonstart waren die Füchse aufgrund ihrer Top-Verpflichtungen Vujovic, Marian Michalczik, Lasse Andersson und Valter Chrintz von manchen Experten sogar zu einem Anwärter auf den Meistertitel erhoben worden. Doch die Automatismen passen noch nicht, obwohl Trainer Siewert aufgrund der Coronapause die längste Vorbereitungszeit der Clubgeschichte zur Verfügung hatte. „Wir wollten bis zur Länderspielpause ungeschlagen bleiben, das ist uns nicht gelungen", sagte Siewert zerknirscht. Man stehe nach dem Saisonstart „nicht da, wo wir stehen wollen". Das Spiel gegen Wetzlar fand vor 600 Zuschauern statt – es war vorerst das letzte Heimspiel mit Fans im Rücken. Im November sind Geisterspiele vorgeschrieben, nachdem die Bundesregierung aufgrund der gestiegenen Corona-Fallzahlen die Maßnahmen verschärft hatte. Zumindest bis Ende November sind die Max-Schmeling-Halle und die anderen Arenen der Proficlubs für Zuschauer gesperrt. Die HBL entsendete nach dem Beschluss zwar das Zeichen, den Spielbetrieb auf jeden Fall bis Weihnachten fortzusetzen, doch Füchse-Geschäftsführer Hanning stellte klar: Die aktuelle Situation sei „eine Katastrophe".
Ohne Zuschauereinnahmen sind die Füchse und die meisten anderen Proficlubs über kurz oder lang nicht überlebensfähig. „Du brauchst Leuchttürme im Sport. Wenn es die Clubs nicht mehr gibt, sind sie unwiederbringlich weg", sagte Hanning im „Tagesspiegel": „Das muss allen klar sein." Er habe sich daher von der Politik „eine stärkere Differenzierung" gewünscht, so Hanning, „dass die Politik nicht alles gleichschaltet, sondern manchmal auch Dinge akzeptiert, wenn sie perfekt gemacht werden."
Hanning meint das Hygienekonzept der Proficlubs, das auch auf der politischen Ebene und bei den Gesundheitsämtern als vorbildlich erachtet wird. Doch um die Kontakte in der Gesellschaft massiv einzuschränken, so wie es die Virologen fordern, müssen auch die Proficlubs ihren Teil beitragen. „Das tut schon weh", sagte Hanning über das Zuschauerverbot.
Zumindest kann in der Liga gespielt werden. In der European League gab es schon die ersten Spielabsagen, so wurde das Gruppenspiel der Füchse beim französischen Team Usam Nîmes Gard abgesagt und auf unbekannte Zeit verschoben. Bei den Franzosen hatte es mehrere Coronafälle gegeben.