Mal raus aus der Stadt, rein in die Natur, mal tüchtig die Beine bewegen und in frischer Luft durchatmen. Eine Herbstwanderung auf Deutschlands vielleicht bekanntestem Höhenweg, dem 169 Kilometer langen Rennsteig im Thüringer Wald, ist dafür genau das Richtige.
Julius von Plänckner war es, der den Rennsteig einst vermessen hat. 1829 lief er den gesamten Weg in fünf Tagen ab. 43,5 Stunden hat der Soldat und Kartograf dafür gebraucht, er ist also täglich im Schnitt 8,7 Stunden gelaufen – von Blankenstein an der Saale bis nach Hörschel an der Werra. So wurde die Route dann auch festgelegt.
Ab der Suhler Ausspanne, wo früher die Pferde gewechselt wurden, ist die Wandergruppe zusammen mit Sieghard Zitzmann unterwegs. Ein kurzer Stopp auf 973 Metern, dem höchsten Punkt des Rennsteigs, und schon ist Plänckners Aussicht zu sehen.
„Plänckner hat sozusagen den Rennsteig erfunden", sagt Zitzmann oben auf der Plattform und genießt sichtlich den Blick in den Thüringer Wald. Vor seiner Pensionierung hat er den jährlichen Guts-Muths-Rennsteiglauf organisiert, für eigene Läufe und Wanderungen blieb ihm kaum Zeit. Aus dem ersten 100-Kilometer-Lauf im Jahr 1973, den viele für verrückt hielten, hat sich ein jährlicher Volkslauf mit mehr als 15.000 Teilnehmern entwickelt. In diesem Jahr musste er coronabedingt abgesagt werden Der nächste findet im Mai 2021 statt.
Mit Huskys auch im Herbst unterwegs
Die Wandergruppe macht sich weiter auf den Weg und denkt noch gern an die Husky-Erlebnisse in Tambach-Dietharz. Laufen, laufen, laufen ist das Lebenselixier dieser Hunde, und Familie Kraft hält sie sommers wie winters auf Trab. Wie er denn – Ralf Kraft und früher Galerist – so auf den Hund gekommen sei?
„Das waren eher meine Frau und meine Tochter", lacht er und überprüft die rote Hundeleine in der Hand. Eine junge Frau aus der Gruppe wagt einen Husky-Spaziergang mit Ronja. „Die hat aber richtig Kraft", staunt sie über die kleine Hündin.
Zwei mutige Herren lassen sich als Rollerfahrer von kräftigen Hunden ziehen, was ebenso gut funktioniert. Die Huskys sind froh, dass sie sich draußen mit Ralf Kraft bewegen können. In seiner Freizeit schreibt er Kinderbücher. „Lotta und die Schlittenhunde", heißt seine Kinderbuch-Serie.
Doch nun springt einer der Wanderer plötzlich zwischen die Sträucher am Wegesrand und bückt sich. Er hat einen Steinpilz entdeckt und hält ihn an die Nase. „Oh, wie der duftet", schwärmt er und hat auch bald eine stattliche Menge beisammen. 2020 ist ein sehr gutes Pilzjahr, weiß ein Experte, und die Thüringer kommen in Scharen.
Im 1870 gegründeten Rennsteiggarten Oberhof mit seinen rund 4.000 Pflanzenarten aus allen Gebirgslagen der Welt darf jedoch niemand etwas stibitzen. Keine Heidelbeeren, denn die kommen im kleinen Café auf den Kuchen, auch keine der blauen und weißen Blüten vom Schwalbenwurz-Enzian und auf gar keinen Fall ein Blättchen von der Kraut-Weide. Denn was wie Blattwerk ausschaut „ist vermutlich der kleinste Baum der Erde", erklärt Andreas Reichelt.
Hier wächst der kleinste Baum der Welt
In diesem alpinen Mikroklima, das etwa 1.800 bis 2.000 Metern Höhe in den Alpen entspricht, fühlen sich diverse Pflanzen erkennbar wohl. Vielleicht liegt es auch daran, dass Andreas mit ihnen spricht oder etwas vorsingt. „Pflanzen hören besser zu als Menschen", so sein Fazit. Seit dem 1. November ist Winterpause. Vielleicht lässt sich Andreas weitere Lieder für die Pflanzen einfallen.
Nun weiteres Wandern auf den Rennsteig, und der hat sogar einen eigenen Bahnhof. Vor dem historischen Gebäude hält jeden Samstag, Sonn- und Feiertag der Rennsteig-Shuttle, der regelmäßig Fahrten von Erfurt nach Ilmenau-Manebach-Stützerbach bis zum Bahnhof Rennsteig bietet. Der Steilstreckenabschnitt ab Stützerbach ist mit über 60 Promille Neigung eine der steilsten im Reibungsbetrieb befahrenen Eisenbahnstrecken Deutschlands, betont Ellen Winter und verweist auch auf die günstigen Ticketpreise von vier Euro für die Hinfahrt und sechs Euro für hin und zurück.
„Ich verstehe wirklich nicht, warum die Leute speziell zum beliebten Langlauf im Winter mit ihren Autos kommen und dann lange einen Parkplatz suchen müssen, da doch direkt am Bahnhof die Loipe beginnt", bemängelt sie bei Kaffee und Kuchen im Bahnhofsgebäude. Nur mit den farbigen Nostalgiezügen konnte sie wegen Corona keine Fahrten durch Deutschland und bis in die Nachbarländer anbieten.
Danach wird’s noch romantischer. Mit Dr. Mario Nöckel vom Förderverein Biosphärenreservat in Schmiedefeld am Rennsteig geht die Gruppe leise durch den Wald zur Wildbeobachtung und steigt dazu in einen verglasten Ausguck. Nöckel macht das seit 17 Jahren und zu allen Jahreszeiten. Er hat Eimer mit Häcksel mitgebracht und füllt den Inhalt in ausgehöhlte Baumstümpfe.
Das Rotwild kennt das und nähert sich. Ein junger Hirsch hält sich aber zurück. „Das ist ein Zweijähriger, der lebt noch bei Mama", sagt Nöckel und schaut immer wieder durchs Fernglas. Er wartet auf einen großen Hirsch, einen König der Wälder, der im Herbst laute Brunftschreie ausstößt und womöglich mit einem Konkurrenten kämpft.
Klug sind die Hirsche aber auch, weiß Nöckel. Sie schätzen einander ab, und wenn der eine erkennt, dass sein Gegner ihm überlegen ist, zieht er sich lieber zurück. Wenn es aber zum Kampf kommt, geht es heiß her. Bis zu 15 Kilo kann ein Hirschgeweih wiegen, das zur Attacke genutzt wird. Die Damen tragen keines und werden Kahlwild genannt. Gut, dass es bei den Menschen umgekehrt ist.
Doch wie hübsch und zierlich diese Rotwild-Damen sind und wie elegant sie auf ihren superschlanken Beinen stolzieren oder schnell mal weghüpfen! Die Kitze mit ihrem wolligen Fell bleiben zumeist nahe der Mutter. Der Hirsch kommt wirklich nicht, doch die Wandergruppe ist dennoch sehr zufrieden.
Werden am nächsten Tag von der hohen Rennsteigwarte Masserberg noch mehr Tiere oder gar einen Hirsch zu sehen sein, fragen sich einige. Immerhin fährt die Gruppe in einer Kutsche, gezogen von zwei kräftigen Schimmeln, von Masserberg bis zum Turm und steigt geschwind die 150 Stufen empor zur verglasten Plattform. Toller Rundblick, doch außer den Kutschpferden ist kein Tier zu sehen.
Das macht nichts, denn jetzt ist die Werraquelle das Ziel. Auf dem Weg dahin findet Begleiter Bastian Hinz noch den gelb blühenden Rainfarn und auch einige alte Grenzsteine, mit denen die Fürsten einst alle 100 Meter ihr Land markierten. Tausende solcher Steine müssen am Rennsteig gestanden haben. 1738 ist auf einem verwitterten zu entziffern, und alle stehen unter Denkmalschutz.
Im Herbst schon an Weihnachten denken
Besonders gern zeigt Bastian die Werraquelle, die 1897 vom damaligen Oberförster Georg Schröder und dem Maurermeister Elias Traut aus Fehrenbach aus Naturstein gefasst und mit einem Löwenkopf geschmückt wurde. Seither fließt aus seinem Rachen das klare Werra-Wasser. „Elias Traut ist mein Ururgroßvater", sagt Bastian mit einigem Stolz. Nach 270 Kilometern vereinigt sich die Werra in Hannoverschmünden mit der Fulda, und beide werden zur Weser, fügt er hinzu.
So weit will nun niemand wandern und zur Abwechslung auch mal mit der Oberweißbacher Bergbahn fahren. Sie ist die steilste Standseilbahn zum Transport normalspuriger Eisenbahnwagen, also keine Zahnradbahn. An der obersten Station fallen die roten Olitätenwagen auf. Ihr Name soll an die Buckelapotheker erinnern, die einst Kräuter und Olitäten, also Naturheilmittel, mit einer Trage auf dem Rücken bis nach Paris schleppten. Und wenn beim Bergab ein offener Wagen mit winkenden Leuten entgegenkommt, wird die Fahrt zum Gaudi.
Trotz der Herbstsonne nun ein Gedankenblitz: Weihnachten kommt doch immer so plötzlich, also noch einen Abstecher nach Lauscha zur Elias Farbglashütte machen, wo Christbaumschmuck ganzjährig verkauft wird.
Während einige Glasbläser in der großen Halle mit geschmolzenen Glaskugeln an langen Stangen zum Wasserbad eilen, fertigt die Glasgestalterin Petra Meusel mit ruhigen Händen feine Glasstäbchen. Gläserne Murmeln gibt es dort auch noch.
Als Christbaumschmuck hat man sich jedoch etwas Neues einfallen lassen: rosafarbene Kugeln und gläserne Pfauen schmücken einen Baum. Ein anderer in Weiß mit Silber wirkt noch edler. Welche Kugeln werden wohl die ultimativen Weihnachtsrenner?