Tiefe Schluchten, dunkle Seen und italienisches Flair an der Küste. Montenegro ist zwar nicht so groß, hat aber viel zu bieten. Herzliche Gastfreundschaft und eine wunderbare Küche gibt es überall.
Lorica, Gara und Srna lassen sich die Sonne auf den Rücken scheinen und spazieren über die saftigen grünen Wiesen. Ein paar Meter weiter hebt Katharina Bulatovic mit beiden Händen eine weiße Masse aus einem riesigen Topf. „Bei uns haben die Kühe alle Namen", sagt die Sennerin, die einen besonderen Käse herstellt. Die Milch von Lorica, Gara und Srna wird erst auf 25 Grad erhitzt, danach mit Lab vermischt und mit einem Holzlöffel gerührt. Wenn sich der Käse von der Molke trennt, wird er sieben Stunden zwischen zwei Platten gepresst. Der Frischkäse wird anschließend geteilt und wieder gepresst, bis zu 30-mal, um immer dünnere Schichten zu erhalten. Zusammengefaltet legt sie den Blattkäse Lisnati Sir in eine große Schüssel. Die schweißtreibende Angelegenheit dauert Stunden und besitzt eine lange Tradition in den Bergen im Norden Montenegros. Serviert wird der Käse entweder mit gestampften Kartoffeln, Weizen- oder Maismehl und Butterkäse als Kačamak oder mit Polenta als Cicvara. Wir können das Essen kaum erwarten. Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe Reisender aus Deutschland und Österreich bin ich mit Andri Stanovic in seinem Heimatland unterwegs.
Zwischen Kühen und Schafen genießen wir auf einer Höhe von rund 1.800 Metern die letzten Sonnenstunden und die fantastische Aussicht in die Bergwelt, die Gebirge der Bjelasica. Darko, der mit Katharina eine ökologisch bewirtschaftete Alm namens Katun Vranjak betreibt, zeigt uns die kleinen Holzhütten, in denen wir übernachten werden. „Heute könnt ihr mitten in der Natur schlafen", sagt Darko und krault seinen riesigen Hirtenhund Miloš, der die Alm vor den Wölfen schützt. Rund 200 Wölfe soll es hier geben. Doch auch sie sind geschützt. Der Katun liegt im Nationalpark Biogradska Gora, zu dem einer der letzten Urwälder Europas gehört.
In der Holzhütte füllen sich langsam die langen Tische, die bald übersät sind mit Schüsseln und großen Tellern voller hausgemachter Köstlichkeiten: Neben den Käsespezialitäten gibt es eine Brennnesselsuppe, einen deftigen Bohneneintopf und Lammfleisch, das unter dem typischen Sač, einem Topf mit einem Deckel aus Glut und Asche, zubereitet wird. „Wunderbare bodenständige Küche mit frischen Zutaten, einfach sehr lecker", sagt die Wienerin Claudia.
Ein 2.000 Hektar großer Nationalpark
Während es am nächsten Morgen eine Wandergruppe in die bergigen Höhen treibt, fahren wir weiter in Richtung Süden. Das Mittelmeer ist nur etwa 150 Kilometer entfernt. Über kurvige Straßen geht es durch die bergige Gegend. „Zeit für einen Zwischenstopp, da vorne ist der Grand Canyon Montenegros", erklärt Andri und rät uns, unbedingt über die Brücke zu gehen. Vor uns eröffnet sich ein beeindruckendes tiefes enges Tal mit wuchtigen steilen Felswänden. Die Tara-Schlucht ist die tiefste Schlucht Europas und nach dem Grand Canyon die zweittiefste weltweit. Der gewaltige Gebirgseinschnitt ist bis zu 1.300 Meter tief und über 80 Kilometer lang. Die noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts unerforschte und als gefährlich geltende Schlucht ist heute ein beliebtes Revier für Rafting auf dem Fluss Tara. Wer den absoluten Nervenkitzel braucht, stürzt sich von der Tara-Brücke an einer Seilrutsche in die Schlucht. Das imposante Bauwerk bei Durdevića erhebt sich mit fünf Bögen 150 Meter über den Fluss. Weiter Richtung Westen steht das Durmitorgebirge wie eine gewaltige steinerne Wand vor uns. Zu den Naturschönheiten des gleichnamigen Nationalparks zählt neben der Schlucht der Schwarze See, der zu Füßen des höchsten Gipfels Montenegros liegt. Er gehört zu einer Gruppe von Gletscherseen, die von den Montenegrinern liebevoll Bergaugen genannt werden. Wir mischen uns unter die einheimischen Spaziergänger und schlendern an zahlreichen Buden, in denen getrocknete Steinpilze und Honig verkauft werden, vorbei durch den Wald zum See. Und tatsächlich glänzt dessen Oberfläche tiefschwarz in der Sonne. Der 2.000 Hektar große Nationalpark gehört zum Unesco-Weltnaturerbe.
Montenegro grenzt an Serbien, an Kroatien, an Bosnien und Herzegowina, an Italien und Albanien. Das Land ist knapp so groß wie Schleswig-Holstein und die kleinste der ehemaligen Jugoslawien-Republiken. Hier kann man im Sommer warme Tage am Mittelmeer an der Küste genießen und nach einer dreistündigen Autofahrt schneebedeckte Bergspitzen im Durmitorgebirge. Mit seinem Reichtum an Kulturerbe, fünf Nationalparks, unterschiedlichen Landschaften und vielen Kulturen, die das Land wie seine Küche bereichern, fasziniert das kleine Land immer wieder aufs Neue. Zudem ist Montenegro immer noch ein Geheimtipp.
Die Temperaturen steigen, die Sonne scheint, und die Küste ist zum Greifen nah. Über eine Panoramastraße geht es weiter gen Süden. Nach kurzer Fahrt erstreckt sich vor uns die atemberaubende Aussicht auf die Bucht von Kotor, die ebenfalls zum Unesco-Weltnaturerbe zählt. Es ist ein einzigartiger, kilometertief in den Berg gewachsener Fjord mit kleinen Inseln, historischen Städten an der Küste und zahlreichen Stränden. „Was für eine Aussicht", sagt Alexander und zückt seine Kamera. In dem alten Seefahrerstädtchen Perast gönnen wir uns eine Stärkung an der Küste, umgeben von den mächtigen Felsen des Fjords. Mit frischem Fisch, köstlichen Meeresfrüchten, verschiedenen Käsesorten und Schinken zeigt sich Montenegro am Meer von seiner italienischen Seite.
Mit dem Boot zu den Badebuchten
Unsere nächste Station ist die Stadt Herceg Novi kurz vor Kroatien. Palmen, Zypressen, Pinien, Feigen- und Orangenbäume verleihen dem sonnenreichen und grünen Städtchen zu jeder Jahreszeit ein südliches Flair. Auf der Promenade sitzen Einheimische wie Besucher in den Cafés oder fahren mit dem Boot hinaus zu den zahlreichen Badebuchten. Dass kulinarischer Genuss zur Kultur Montenegros gehört, wissen wir längst. Dass es auch an guten Tropfen nicht mangelt, erfahren wir auf dem Weingut Vinarija Savina oberhalb von Herceg Novi bei einer wundervollen Aussicht aufs Meer. „In dieser Gegend wurde schon immer Wein produziert, da wollten wir es auch mal versuchen", sagt die Besitzerin Gordana Obradovic. Sie besuchten die berühmten Weingegenden der Welt, lernten viel von anderen Winzern und legten 1997 los. Anfangs war es nur ein Hobby und Wein für den eigenen Bedarf. Doch ihr Wein fand immer mehr Liebhaber und gewann erste Preise. Heute produzieren sie 20.000 Flaschen, mit denen sie Restaurants und Hotels in Montenegro beliefern. „Wir setzten auf Qualität, nicht auf Quantität", sagt sie. Wir probieren die Rosés und Rotweine des Hauses und naschen Käse und Schinken dazu. „Köstlich, und dann diese Aussicht dazu", schwärmt Claudia.
Typisch ist vor allem der über Buchenholz geräucherte und luftgetrocknete Njeguši-Schinken. „In Montenegro schneiden wir ihn in dicke Scheiben, sonst würde es so aussehen, als wollten wir sparen und hätten den Gästen nichts anzubieten", sagt Andri Stanovic schmunzelnd. Berühmt für die lokalen Spezialitäten ist die Taverne „Kod Pera na Bukovicu", was übersetzt heißt bei Pero in Bukovica. Sie wurde 1881 von Pero Milosevic gegründet und wird seitdem von der Familie geführt.
Unsere Tour geht weiter. Oberhalb der Hafenstadt Bar schlendern wir durch die schmale Altstadt Stari Bar. Wie so oft in Montenegro steht auch hier alles unter Denkmalschutz. Geschäfte mit Olivenöl, Wein und Honig, Cafés und Restaurants warten auf Gäste. In einem traditionellen Lokal warten die Köchin Wildana und ihre rechte Hand Asemina auf uns. Sie weihen uns in die Herstellung von Baklava ein. „Kurz vor Albanien sind wir im orientalischen Montenegro, da gehört das süße Dessert zu jedem Fest dazu", berichtet die Köchin, die mit viel Geduld Schicht für Schicht Zuckersirup, Honig, Walnüsse und einen hauchdünnen Teig in eine große Form bettet. Nach 40 Schichten ist das Kunstwerk fertig.
Wuchtige Berge bilden die Kulisse zur Stadt Kotor
Nach all den Leckereien wird es Zeit für einen Ausflug in die Natur. Wir steigen ins Boot und machen eine Fahrt auf dem Skutarisee. Es ist der größte See des Balkans und wirkt wie ein kleines Meer. Zwei Drittel gehören zu Montenegro, der Rest zu Albanien. Er ist die Heimat zahlreicher Fisch- und Vogelarten und ein bedeutendes Naturreservat der Region. Die letzten Pelikane Europas finden hier Zuflucht. In einer Tiefe von 60 Metern, am Grund des Sees, der teilweise unterhalb des Meeresspiegels liegt, gibt es rund 30 unterirdische Quellen. Aus diesen sowie durch den Zufluss mehrerer Flüsse speist der See sein Wasser. Zum Abschluss zieht es uns noch einmal an die Küste in die Stadt Kotor. Wuchtige Berge bilden die Kulisse der Altstadt, die von einer Stadtmauer umgeben wie ein Dreieck ins Meer ragt. Man könnte meinen, die Unesco habe sich in Montenegro verliebt, denn auch Kotor gehört mit den Kirchen und Palästen zum geschützten Weltkulturerbe. Die geschichtsträchtige Stadt gehörte einst zu Venedig, später zu Österreich, Russland, Frankreich und nach dem Ersten Weltkrieg zum Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gehört Kotor zu Montenegro. Durch das Stadttor gegenüber vom Hafen gelangen wir in die verwinkelte Altstadt mit ihren schönen Plätzen und imposanten Gebäuden. „Hier will man ja gar nicht mehr weg", sagt Alexander bei einem italienischen Eis in der Altstadt. Wir werden wiederkommen.