Das Seilbahn-Unglück von Kaprun, bei dem am 11. November 2000 in einem Flammeninferno 155 Menschen zu Tode kamen, ist die größte Katastrophe in der Nachkriegsgeschichte Österreichs. Bis heute wurde allerdings niemand dafür zur Rechenschaft gezogen.
Der 11. November 2000 versprach ein geradezu perfekter Tag für Pistenjäger oder Snowboarder auf dem Gletscher des Kitzsteinhorns, oberhalb des Wintersportorts Kaprun im Salzburger Land, zu werden. Schon früh am Samstagmorgen strahlte die Sonne. Kein Wunder, dass der auf den Namen „Kitzsteingans" getaufte Wagen der 1974 in Betrieb genommenen Gletscherbahn Kaprun 2 gegen 9 Uhr mit 162 Personen nahezu voll besetzt war. Es handelte sich um eine sogenannte Standseilbahn, die die Skifreunde dank Elektroantrieb mit einer Höchstgeschwindigkeit von 36 Kilometern pro Stunde in nicht einmal zehn Minuten vom Tal bis zum 2.450 Meter hoch gelegenen Alpincenter transportieren konnte. Sie galt mit ihrer Streckenlänge von 3.900 Metern als eine technische Pionierleistung und war als „erste Alpenmetro" gefeiert worden, weil nur die ersten 600 Meter überirdisch über eine Brücke verliefen, während die restlichen 3.300 Meter durch einen Tunnel nach oben führten. Eine Besonderheit war auch die Aufteilung in Drei-Wagen-Einheiten.
Schon kurze Zeit nach Abfahrt des Zuges aus der Talstation bemerkte ein Fahrgast im untersten Wagon direkt neben der Trennwand zur unbesetzten Führerkabine eine Rauchentwicklung im Bereich des Armaturenbretts. Wenig später waren erste über das Führerpult züngelnde Flammen zu erkennen. Sofort machte sich unter den Passagieren Panik breit. Einige versuchten verzweifelt, die Talstation per Handy-Notruf zu erreichen. Der Fahrer an der Wagenspitze bekam von dem dramatischen Geschehen zunächst nichts mit, erst nach 1.132 Metern Wegstrecke und schon 530 Meter tief im Tunnel kam die „Kitzsteingans" wegen eines Lecks in der Bremshydraulik abrupt zum Stehen.
Zu diesem Zeitpunkt war es den Fahrgästen im untersten Wagon bereits gelungen, mithilfe von Skiern und Skistöcken Löcher in die Plexiglasscheiben zu schlagen und ins Freie auf eine 60 Zentimeter schmale Nottreppe in den dunklen, unbeleuchteten Tunnel zu entkommen. Zuvor hatten sie im Wagon vergeblich nach Feuerlöschern, Nothämmern oder Brandmeldern Ausschau gehalten und mussten zudem frustriert und panisch feststellen, dass es ohne das Mitwirken des Fahrers offenbar keinerlei Möglichkeit zur manuellen Öffnung der Türen gab.
Feuerwehrmann konnte nur wenige retten
Um 9.10 Uhr, genau acht Minuten nach der Abfahrt, erkannte schließlich auch der Fahrer der Bahn die drohende Gefahr, informierte sogleich die örtliche Feuerwehr über einen Brand im hinteren Teil der „Kitzsteingans" und folgte der Anweisung zum Öffnen sämtlicher Türen. Kaum hatten sämtliche Passagiere die Standseilbahn verlassen, als der Tunnel durch eine erste Explosion erschüttert wurde. Deren Druckwelle hatte sich kaum gelegt, als eine zweite, noch heftigere Explosion folgte. Die Bahn brannte lichterloh, die heftige Rauchentwicklung raubte den im Tunnel Eingeschlossenen den Atem.
Der natürliche Fluchttrieb setzte ein, wobei die meisten Menschen, darunter als prominenteste Persönlichkeit die zum saisonalen Snowboard-Opening angereiste deutsche Buckelpisten-Weltmeisterin Sandra Schmitt, den verhängnisvollen Fehler begingen, die Treppenstufen bergwärts hinaufzulaufen. Infolge des vom Tunneleingang aufsteigenden Kaminzugs und mangels Notausgängen starben die Menschen qualvoll in den giftigen Gasen. Die zwölf Überlebenden – zwei Österreicher und zehn Deutsche – verdankten ihre Rettung letztlich nur einem unter ihnen weilenden Feuerwehrmann, der die strikte Anweisung gegeben hatte, abwärts Richtung Tunneleingang zu flüchten.
Die Zahl von 150 Opfern der „Kitz-steingans" erhöhte sich um zwei weitere Tote, die auf der Talfahrt im Gegenzug „Gletscherdrache" saßen, sowie um drei Personen, die auf der Bergstation durch die giftigen Dämpfe starben. Also gab es insgesamt 155 Opfer. „Die sind verbrannt wie in einer Sardinenbüchse. Die hatten keine Chance", lautet die Einschätzung der aus dem oberbayerischen Obersee stammenden Urlauberin Ursula Geiger, die bei der Katastrophe ihren 14-jährigen Sohn Sebastian verlor. Geiger, deren Sohn zur Jugendmannschaft des Bayerischen Skiverbandes gehörte, wurde später die Sprecherin der deutschen Hinterbliebenen.
Trotz eines vom Salzburger Katastrophenschutz eingeleiteten Großalarms mit jeder Menge Krankenwagen, Hubschraubereinsätzen, 20 Notärzten und zahllosen Feuerwehrmännern, die mit schwerer Atemschutzausrüstung in den Tunnel vorrückten, kam für die Menschen im Tunnel jede Hilfe zu spät. Die Einsatzkräfte mussten sich darauf beschränken, vier Tage lang die teils bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Opfer zu bergen und den Angehörigen durch den Einsatz von Notfallpsychologen Beistand zu leisten.
Trotz des Schocks und der lähmenden Trauer, die ganz Österreich nach der Katastrophe erfasst hatte, wurden in den Medien des In- und Auslands sogleich Fragen nach den Ursachen und den Verantwortlichkeiten für das Unglück gestellt. Es zeigte sich allerdings schnell, dass Österreichs Politiker vor allem eine Eindämmung des Imageschadens für die beliebte Fremdenverkehrsregion im Sinn hatten. Die damals zuständige Tourismus-Staatssekretärin Mares Rossmann versuchte erst einmal mit Hinweis auf die Verlässlichkeit der österreichischen Seilbahnen die allgemeine Aufregung etwas zu besänftigen: „Auch wenn das Verkehrsmittel Seilbahn statistisch gesehen als das sicherste gilt, sieht man, dass es auch dort zu Unfällen kommen kann."
Ursache klar, aber keiner will’s gewesen sein
Ähnlich äußerte sich Hans Wallner, der Direktor des Tourismus-Verbands Kaprun: „Über 20 Jahre ist die Kitzsteinhorn-Bahn unfallfrei gefahren. Österreich hat europaweit die strengsten Seilbahngesetze." Und auch Manfred Müller, der technische Leiter der Gletscherbahn, verstieg sich zur Behauptung des besonders hohen Kapruner Sicherheitsstandards, obwohl damals schon nachweislich in Ländern wie Frankreich oder der Schweiz wesentlich strengere Vorschriften bezüglich des Brandschutzes in Standseilbahnen üblich waren: „Ich kann derzeit nur sagen: Die Seilbahn unterlag den allerneuesten Sicherheitsstandards. Wir haben einen solchen Brand nicht erwartet." Letztlich wurde ein nachträglich eingebauter Heizlüfter als Ursache für die Katastrophe ausgemacht.
In den folgenden Jahren kam es zu juristischen Kontroversen mit teils traurig-possenhaftem Beigeschmack zwischen österreichischen und deutschen Gerichten um genau jenen Heizkörper. Österreichische Sachverständige hatten in Gutachten einen Produktionsfehler des von der baden-württembergischen Firma Fakir hergestellten Geräts ausgemacht, wodurch der Brand entstanden sei. Dieser habe anschließend die Bremshydraulikleitungen zum Platzen gebracht, und das entflammte ausströmende Hydrauliköl habe den Zug in eine Feuerhölle verwandelt. Diese Argumentation war ausschlaggebend dafür, dass alle 16 Angeklagten in dem im Juni 2002 in Salzburg aufgenommenen Strafprozess unter Leitung des Richters Manfred Seiss am 19. Februar 2004 freigesprochen wurden. Das Urteil wurde auch beim Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Linz im September 2005 bestätigt. Es gilt als hochumstritten und provozierte einen Aufschrei der Empörung – nicht nur unter den Angehörigen der Opfer. In der deutschen Presse wurde es als „Skandalurteil" bezeichnet, sogar vom „vielleicht umstrittensten Urteil der österreichischen Nachkriegsgeschichte" war in den Medien die Rede.
Unzulässige Veränderungen am Heizlüfter
Damit nicht genug. Die Kapruner Gletscherbahnen gingen ihrerseits in die Offensive und klagten die Firma Fakir unter Bezugnahme auf den vermeintlich für das Inferno ursächlichen Geräte-Konstruktionsfehler der fahrlässigen Tötung in 155 Fällen an. Die zuständige Staatsanwaltschaft Heilbronn hatte daraufhin im November 2005 die Ermittlungen aufgenommen, stellte das Verfahren aber knapp zwei Jahre später mangels hinreichendem Tatverdacht wieder ein. Das Gerät sei vom Hersteller ausdrücklich nur für den Gebrauch in Wohnräumen konstruiert worden und hätte daher niemals in einem Fahrzeug eingebaut werden dürfen, argumentierten die Ermittler. Ein Konstruktionsfehler konnte nicht festgestellt werden. Zudem seien beim Einbau in das Steuerpult des Zuges auch noch unzulässige technische Veränderungen am Gerät vorgenommen worden.
Den insgesamt 451 Hinterbliebenen und Überlebenden der Katastrophe wurden im Juni 2008 Entschädigungszahlungen in Höhe von rund 30.000 Euro pro Kopf zugestanden. Amerikanischen Opfer-Angehörigen sollen nach Geheimabsprachen hingegen wohl mehrere Hunderttausend Euro überwiesen worden sein.