Wer vorbeugt, ist in einer Krise klar im Vorteil. Doch welchen Sinn hat das Hamstern in der aktuellen Corona-Krise? Die Deutschen halten es mit der Vorratshaltung sehr unterschiedlich: Während die einen davor die Augen verschließen, verfallen die anderen dem Prepper-Wahn.
Die zweite Infektionswelle sorgte erneut für leere Regale in den Supermärkten: So war zum Beispiel im Oktober der Absatz von Toilettenpapier im Vergleich zum Vorjahr zeitweise um mehr als das doppelte angestiegen. Das zeigte eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes.
Auch bei Backzutaten wie Mehl, Hefe und Zucker sowie bei Desinfektionsmittel schlugen die Verbraucher deutlich stärker zu als im Vorjahr, als Corona noch kein Thema war. Im Vergleich zum Frühjahr war das Ausmaß der Hamsterkäufe allerdings geringer.
Die zweite Corona-Welle weckte dennoch erneut die Angst vor Versorgungsengpässen. Dabei hatten Politik, Handel und Verbände jüngst wiederholt betont, dass die Versorgung in der Corona-Krise gesichert sei. Es gibt also aktuell keinen rational nachvollziehbaren Grund für Hamsterkäufe.
Wohlgemerkt, gegen eine maßvolle Vorratsaufstockung ist nichts einzuwenden. Vielmehr ist es ratsam, genügend Speisevorräte zu lagern, um im Krisenfall gewappnet zu sein (siehe Infobox). Naturkatastrophen wie Überschwemmungen oder ein plötzlicher Wintereinbruch mit heftigem Schneefall können die Straßen unpassierbar machen und Lieferwege blockieren. Ein flächendeckender Stromausfall, auch Blackout genannt, könnte die öffentliche Versorgung tagelang lahmlegen. Sind ernsthafte Störfälle erst mal eingetreten, ist es für Vorsorgemaßnahmen meist zu spät.
Versorgungsproblem durch Blackout
Auf ein solches Szenario ist Werner Euringer bestens vorbereitet. Der 45-jährige Zimmermann aus Ingolstadt ist ehrenamtlicher Helfer beim Technischen Hilfswerk (THW) und leitet den dortigen Ortsverband. Er und seine vierköpfige Familie legen viel Wert auf eine umfassende Notfallvorsorge, und das, obwohl sie nicht in einem Gefahrengebiet lebt. „Das gibt uns Sicherheit und ein gutes Gefühl."
Dazu gehört selbstverständlich ein ausreichender Vorrat an Lebensmitteln, der vor allem aus Nudeln, Mehl, Zucker und vereinzelt aus Konserven besteht. Von Hamsterkäufen hält Werner Euringer wenig: „Das sind unüberlegte Panikhandlungen und haben mit einer klugen Vorratshaltung nichts zu tun."
Im Fall eines Blackouts soll ein kleines Notstromaggregat die Familie mit Elektrizität versorgen. Werner Euringers persönlicher Vorsorgetipp ist ein Campingkocher: Damit kann im Notfall nicht nur Essen zubereitet, sondern auch Trinkwasser abgekocht werden. Und falls das ganze Haus aus irgendeinem Grund unbewohnt sein sollte, würde die Familie in ihrem Wohnmobil Unterschlupf finden. „Mit diesen Maßnahmen sind wir für alle Eventualitäten gewappnet", meint Werner Euringer.
Seit vielen Jahren schon fordern die Behörden die Bevölkerung auf, über Notfallplanung nachzudenken und die Selbsthilfekapazitäten auszubauen, denn bei einer großflächigen Katastrophe können die Rettungskräfte nicht überall rechtzeitig helfen. Wer sich und seinen Nachbarn in einer solchen Situation selbst versorgen kann, ist deshalb klar im Vorteil.
Diese Appelle sind jedoch bislang auf ein geringes Echo gestoßen, so das Ergebnis einer Studie des an der Freien Universität Berlin angegliederten Forschungsforums Öffentliche Sicherheit. Demnach wird die behördliche Empfehlung von einer angemessenen Bevorratungsdauer von einem Großteil der Bevölkerung ignoriert: Die meisten Menschen könnten im Krisenfall nur wenige Tage auf einen Einkauf von Lebensmitteln verzichten, ergab die Untersuchung. Als Richtwert galt damals ein für 14 Tage ausreichender Vorrat. Heute liegt die Empfehlung bei zehn Tagen.
Während die einen die behördlichen Warnungen ignorieren, bereiten sich die Prepper auf jede Art von Katastrophe vor. Prepper ist abgeleitet vom englischen be prepared, also: vorbereitet sein. Der Kulturanthropologe Julian Genner beschäftigt sich seit Jahren mit Menschen, die sich auf den Kollaps der öffentlichen Ordnung vorbereiten.
„Im Prepper-Weltbild würde ein großflächiger und lang anhaltender Stromausfall automatisch zum Zusammenbruch der staatlichen Ordnung führen. Chaos, Krieg und Anarchie wären vorprogrammiert", erklärt Julian Genner, der am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Freiburg im Breisgau forscht. In einer solchen Ausnahmesituation wäre in der Logik von Preppern jeder auf sich alleine gestellt. „Sie sind überzeugt, dass der Staat im Ernstfall nicht in der Lage sein wird, seine Bürger zu schützen."
Weltweites Phänomen
Deshalb horten Prepper Lebensmittel und Wasser in großen Mengen, dazu Hygieneartikel wie zum Beispiel Toilettenpapier, aber auch Medikamente und Hilfsmittel für die Wasseraufbereitung wie Wasserfilter oder Entkeimungstabletten. Ziel dieser Vorsorge ist es, in einer „Welt danach", in der die Infrastruktur zusammengebrochen ist, ohne fremde Hilfe für mehrere Wochen oder Monate zu überleben.
Dieser Trend, sich auf Krisen vorzubereiten, ist mittlerweile zu einem weltweiten Phänomen geworden. Schon vor der Corona-Pandemie haben immer mehr Menschen begonnen, für Krisen vorzubeugen. Julian Genner: „Die Popularität dieses Trends passt in eine Zeit, in der viele Menschen pessimistisch in die Zukunft blicken." Zudem biete die Beschäftigung mit Krisenszenarien Möglichkeiten der „Selbstermächtigung": „Eine außergewöhnliche Situation wie eine Krise verlangt nach außergewöhnlichen Fähigkeiten, um sie zu meistern. Die Vorstellung, als Einziger handlungsfähig zu bleiben und zu überleben wenn nichts mehr funktioniert, wirkt auf viele attraktiv."
Wo liegt aber die Grenze zwischen umsichtiger Vorsorge, so wie es die Behörden empfehlen, und Prepper-Wahn? Für Experte Genner wird es dann problematisch, wenn das Gewaltmonopol des Staates infrage gestellt wird. „Prepper werden oft mit Rechtsextremismus und Reichsbürgern in Verbindung gebracht, weil es auch Gruppen gibt, die beispielsweise von einer Machtergreifung am „Tag X" träumen oder sich auf einen Rassenkrieg vorbereiten." Teile der Prepper-Szene in Deutschland stehen deshalb unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Belastbare Zahlen, wie viele Menschen der Prepper-Szene zuzuordnen sind, liegen Genner nicht vor.
Ohne rechten Spinnern oder paranoiden Fanatikern nach dem Mund reden zu wollen, kann dennoch festgehalten werden, dass die eigenverantwortliche Vorsorge für den Notfall ein wichtiges Element im Katastrophenschutz ist, sofern sie maßvoll und im legalen Rahmen erfolgt.