Der Arbeitsrechtler Prof. Wolfgang Däubler sieht in der pandemiebedingten Entwicklung hin zum Homeoffice Chancen und Risiken für die Arbeitswelt. Er fordert ein Gesetz, das nicht nur die Alleinentscheidungsbefugnisse der Unternehmen in den Fokus stellt, sondern sich auch am Allgemeinwohl orientiert.
Herr Professor Däubler, die Corona-Pandemie führte zu verstärktem Arbeiten von zu Hause aus. Welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen sehen Sie?
Viele Unternehmen haben aus naheliegenden Gründen ihre Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt. Durch die Geschwindigkeit, in der dies geschah, kam es zwischen Betriebsräten und Unternehmensleitung aber kaum zu Verhandlungen. Zu Verhandlungen beispielsweise darüber, ob sich der Arbeitgeber an den Kosten für das Homeoffice beteiligen muss. Wenn ein Arbeitnehmer seinen Privatwagen für eine Dienstfahrt nutzt, bekommt er dafür etwas bezahlt. Warum sollte dies beim Homeoffice anders sein? Die Rechtsprechung ist in diesem Punkt ganz eindeutig, der Arbeitnehmer hat einen Anspruch unter anderem auf Übernahme der anteiligen Mietkosten. Die wenigsten haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die Not in der Pandemie wurde als gemeinsame empfunden, da will man nicht mit eigenen Forderungen kommen. Auch ohne Betriebsvereinbarungen haben die allermeisten von zu Hause aus gearbeitet.
Braucht es denn jetzt tatsächlich ein Gesetz, wie von der SPD vorgeschlagen, zum Homeoffice? Ist dies nicht ein Eingriff in die unternehmerische Freiheit?
Es stellt in der Tat einen Eingriff in die unternehmerische Freiheit dar, wenn man den Arbeitnehmern einen Anspruch auf ein Homeoffice einräumt. Aber dieser Eingriff ist gerechtfertigt. Die unternehmerische Freiheit ist nicht schrankenlos garantiert, sondern einschränkbar, wenn vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls für eine Begrenzung sprechen. Ein Anspruch auf zwei Tage Homeoffice pro Monat, wie ihn Minister Heil vorschlägt, ist extrem bescheiden. Und dieses Minirecht soll noch unter dem Vorbehalt stehen, dass nicht betriebliche Gründe entgegenstehen. In der Tat gibt es Fälle, wo man die Arbeit im Betrieb erledigen muss – wer Maschinen bedienen oder Patienten versorgen muss, kann dies nicht von zu Hause aus tun. Der Vorschlag des Homeoffice-Gesetzes zementiert der Sache nach die Alleinentscheidungsbefugnis des Arbeitgebers. Denn es geht den Kritikern nicht darum, das Homeoffice als solches zu verhindern. Vielmehr gibt es immer mehr Arbeitgeber, die ihren Angestellten sehr viel mehr Homeoffice-Tage pro Woche oder pro Monat anbieten – auch schon vor der Pandemie. Schon wegen der geringer werdenden Kosten liegt es im Interesse des Arbeitgebers, die Arbeit im Homeoffice anzubieten: Teure Büroräume lassen sich mittelfristig einsparen. Auch für Arbeitnehmer ergeben sich Vorteile, weil die Wegezeiten wegfallen. Es gibt Studien, die diese Win-win-Situation belegen: Acht Stunden Arbeit im Büro, eine Stunde Anfahrt, eine Stunde Heimfahrt – das ist der Status quo. Im Homeoffice arbeitet man oft achteinhalb bis neun Stunden, worüber sich der Arbeitgeber freut. Aber der Arbeitnehmer spart gut eine Stunde Wegezeit – auch er hat gewonnen. Dass selbst der Anspruch auf zwei Tage im Monat nicht akzeptiert wird, das hat nichts mit der Sache selbst zu tun. Vielmehr geht es allein um die Entscheidungsmacht. Der Arbeitgeber solle allein das Sagen haben und nicht durch Rechte der Arbeitnehmer begrenzt sein. Mit sozialer Marktwirtschaft hat dies wenig zu tun.
Hinken wir also der herrschenden Arbeitsrealität hinterher?
Wohl eher einem immer noch mächtigen Bild eines allein entscheidenden Unternehmers. Der deutsche Manager hat außerdem einen Hang zur Präsenzkultur –man wünscht, dass die Leute im Betrieb sind und auf kurzem Wege zu erreichen sind. Außerdem ist die Vermutung weit verbreitet, dass zu Hause nicht richtig gearbeitet wird, was die Realität verfehlt. „Die Deutschen verfallen in die Arbeit wie andere in die Sünde" las ich einmal während meiner Zeit in Frankreich in einem Buch über Deutschland, und das ist im Kern auch heute noch so. Vom „faulen Deutschen" sind wir weit entfernt.
Homeoffice ist ein Fall für die Betriebsräte. Davon gibt es aber immer weniger in Deutschland.
Statistisch gesehen geht in der Tat die Zahl der Betriebsräte zurück. Ob die Mitbestimmung dort, wo es Betriebsräte gibt, Rückschritte macht, ist schwierig zu beurteilen. Aus Schulungen kann man eher den Eindruck mitnehmen, dass die Betriebsräte heute professioneller arbeiten als vor 20 oder 30 Jahren und sich in vielen Bereichen sehr viel besser auskennen als früher.
Der Anteil der Betriebe in Deutschland, die über Betriebsräte verfügen, liegt bei neun Prozent; vor 20 Jahren waren es zwölf Prozent. Wie schätzen Sie angesichts dieser Zahl die Zukunft der Mitbestimmung im Betrieb ein?
Der einzelne Betriebsrat kann an den Rahmenbedingungen nichts ändern, aber er kann sich klug oder weniger klug verhalten. Er darf sicher nicht auf seinen eigenen Vorteil bedacht sein, wie es manchmal in sehr großen Betrieben vorkommt. In der Regel sind Betriebsräte in Deutschland sehr beliebt. Das lässt sich an der Wahlbeteiligung bei Betriebsratswahlen erkennen, die in der Regel bei 70 Prozent liegt. Die Institution ist also akzeptiert. Bei manchen Landtagswahlen haben sich nur gut 50 Prozent der Wahlberechtigten beteiligt. Die Schwelle für die Gründung eines neuen Betriebsrats ist allerdings viel zu hoch. Prognosen sind aber schwierig. In weiteren 20 oder 30 Jahren werden ohnehin eher die Chinesen und nicht die US-Amerikaner den wirtschaftlichen Ton angeben. Sie sind homogener in ihrer internen Struktur, und sie tun mehr für die Ausbildung ihrer Beschäftigten. In der Regel stehen sie auch der Mitbestimmung aufgeschlossen gegenüber.
Diskussionen über Betriebsräte gibt es nach wie vor viele in Deutschland – prominentes Beispiel ist der US-Konzern Amazon. Nun kommt Tesla nach Brandenburg. Ist die betriebliche Mitbestimmung in Deutschland durch eine „amerikanisierte" Kultur deutscher Unternehmen, in die keine Betriebsräte hineinpassen, in Gefahr?
Ich glaube nicht. Die amerikanische Unternehmenskultur unterscheidet sich deutlich von der deutschen. Dadurch entstehen Friktionen, die Unzufriedenheit schaffen, weil sich der Einzelne nur als Schraube in der Maschine zur Profitmaximierung wahrnimmt und im Grunde von der Unternehmensleitung auch so behandelt wird. Dies geschieht oft auch dann, wenn die Bezahlung einzelner Gruppen höher liegt als bei deutschen Unternehmen. Selbst diese Privilegierten laufen Gefahr, schneller als erwartet ausgetauscht zu werden. Selbstherrlich wird jenseits des Atlantiks entschieden, durch CEOs, die keiner effektiven Kontrolle unterliegen, solange der Profit stimmt. Manchmal fühlt man sich wie in einer absoluten Monarchie. Ich habe erhebliche Zweifel, ob man so langfristig mit Erfolg in Deutschland ein Unternehmen betreiben kann.
Haben Sie ein Beispiel aus Ihrer Praxis?
Davon gibt es viele. Ich selbst habe mal den Fall eines US-Konzerns erlebt, der neun Niederlassungen in Deutschland hatte. Der Vorstand in Texas wollte daraus fünf Niederlassungen machen, um Geld zu sparen. Seit einem halben Jahr war dies bekannt, aber niemand wusste, welches die vier Niederlassungen waren, die es treffen würde. In dieser Zeit hatte eine Niederlassung in Spanien gestreikt, weil die Beschäftigten in der gleichen Situation waren – da kam sofort die Entscheidung, dass dieser Betrieb „auf alle Fälle" geschlossen würde. So etwas schüchtert ein, weit über die nationalen Grenzen hinaus.
Ich beriet damals den Betriebsrat einer deutschen Niederlassung und kam auf die Idee, mir ein paar Aktien des Unternehmens zu kaufen. Hintergrund: Ich wollte als Aktionär Auskunft über die Schließungspläne verlangen. Bevor es dazu kam, gab es eine Art von Putsch: Der Oberste wurde gestürzt, und damit waren seine Deutschland-Pläne erst mal weg vom Tisch. Die Niederlassung, die ich damals beraten hatte, gibt es immer noch, und ich fahre gelegentlich im Zug mit einer gewissen Freude daran vorbei.
Aber so viel Glück hat man nicht immer. Und wie wäre es, wenn man über das eigene Schicksal selbst entscheiden könnte?