Mit ihrer lockeren Art gehört Alexandra Wenk seit Jahren zu den bekanntesten deutschen Schwimmerinnen. Ihre Leistungen stagnierten zuletzt verletzungsbedingt, beim Neuanlauf kam Corona dazwischen.
Normalerweise hören Frauen diesen Satz gern, doch Alexandra Wenk war ein wenig geschockt. „Hey Alex, du bist aber ganz schön dünn geworden", sagte eine Trainerin zu ihr. Wenk brauchte gar nicht in den Spiegel zu schauen, um ihr Recht zu geben. Die Leistungsschwimmerin spürte schon im Wasser, dass sie während der neunwöchigen Zwangspause viel an Muskelkraft verloren hatte. „Ich habe mich lahm gefühlt."
Woher sollte die Kraft auch kommen? Die Schwimmbäder waren im Frühjahr geschlossen, das Joggen ließ sie nach Problemen am 2018 operierten Knie lieber sein. Im Keller ihrer Eltern trimmte sich die 25-Jährige mit einer Spinning- und Ruder-Maschine, „aber das war natürlich kein Ersatz".
Erst als sie wieder ins Wasser durfte, konnte sich die Athletin der SG Neukölln Berlin ernsthaft zurückkämpfen. Die frühere WM-Dritte in der Mixed-Staffel stärkte ihre Muskeln und näherte sich vor allem im Trainingslager langsam ihren Bestzeiten an. „Man hatte so das Gefühl", berichtete sie, „dass man sich nach Wochen des Stillstands endlich wieder in Form gebracht hat – und dann sagt man dir: Geht doch nicht!" Die Absage der Deutschen Schwimm-Meisterschaften Ende Oktober in Berlin traf Wenk vor allem emotional mit voller Wucht.
„Ich hatte mich so gefreut, wieder performen zu dürfen", sagt sie und gibt zu: „Da fällt man motivationsmäßig in ein Loch." Ihren letzten Wettkampf bestritt die Spezialistin für die Schmetterling- und Lagenstrecken im März in Essen, die Erinnerungen daran sind nicht besonders gut. „Ich kam direkt aus dem Trainingslager und war relativ müde", so Wenk. Die Olympiaqualifikation wollte sie später angreifen, und sie war auch optimistisch gestimmt. Doch Corona machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Bäder wurden geschlossen, alle Wettkämpfe abgesagt – und schließlich fiel auch Olympia 2020 in Tokio dem Virus zum Opfer.
„Motivationsmäßig in einem Loch"
Als Frustbewältigung zog es Wenk im Sommer, als die Fallzahlen deutlich niedriger waren, nach Italien. „Ich war in einem tiefen Loch und habe zu meiner Freundin gesagt: ‚Ich muss mal raus, ich kann das alles nicht mehr sehen und hören!‘" Im Ferienhaus der Freundin und unter der italienischen Sonne tankte die Schwimmerin neue Kraft, „das hat mir sehr geholfen".
Der neue Lockdown light soll für Wenk und die anderen deutschen Schwimmer keine so großen Auswirkungen haben wie noch im Frühjahr. Soll. Am ersten Tag war die Schwimmhalle in Regensburg, wo Wenk inzwischen wieder bei ihrem alten Heimcoach Olaf Bünde trainiert, auch für die Bundeskaderathletin geschlossen. Obwohl die Absprachen andere waren. Wenk schrecken solche Rückschläge nicht mehr. „Wir müssen keine vier Wochen warten, bis wir das nächste mal wieder ins Wasser dürfen", glaubt sie.
Wann die Staffel-Europameisterin von 2012 sich wieder bei einem Wettkampf messen kann, ist jedoch ungewiss. Wenk, die unbekümmerte Frohnatur, die gerade im Duell Frau gegen Frau ihre Stärken hat und sich von der Atmosphäre von den Rängen so leicht beflügeln lässt, vermisst den Wettkampf sehr. Den könne man zwar auch im Training zu Hause simulieren oder gegen die Uhr schwimmen, „aber das ist nicht dasselbe", findet sie, „das hat nicht denselben Vibe".
Wenk benutzt gerne Anglizismen, ohne dass das aufgesetzt wirkt. Die gebürtige Münchnerin spricht einfach, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Dabei ist sie stets unterhaltsam, manche nennen es auch extrovertiert. Wenk macht auch abseits des Beckens eine gute Figur, ihr wurden immer wieder Model-Jobs angeboten. Natürlich weckt so etwas auch Neider, aber generell habe sie mit ihrer offenen Art kaum Probleme.
Im fast zur Randsportart verkommenden Schwimmsport, wo es kaum noch Typen gibt, fällt Alexandra Wenk hierzulande auf. Vor vier Jahren, als sie mit einem deutschen Rekord über 200 Meter Lagen kurz vor den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro für einen Paukenschlag sorgte, war der Hype um die hübsche und eloquente Athletin am größten. Doch der Durchbruch bis in die absolute Weltspitze blieb ihr verwehrt, was sie sich zum Teil auch selbst zuschreibt.
Als sie fünf Wochen vor den Sommerspielen in Rio von einer eitrigen Mandelentzündung gestoppt wurde, fing sie auf eigenen Wunsch viel zu früh wieder mit dem Training an. „Ich dachte mir: Ich muss Vollgas geben und das aufholen, was ich verloren habe." Das sei im Nachhinein „dumm" gewesen, denn sie erlitt danach mehrere kleine Rückschläge. „Ich bin dann vollgepumpt mit Antibiotika nach Rio, ich hatte zwischenzeitlich drei Kilo Gewicht verloren und war kopftechnisch nicht so da", erinnert sich Wenk: „Ich stand komplett neben mir." Im Halbfinale war auf Platz elf Endstation, von ihrer Rekordzeit war sie acht Zehntelsekunden entfernt.
Olympia in Tokio würde Wenk zum Ende ihrer Karriere gerne nochmal erleben, und es dann weniger verbissen und mit mehr Freude angehen. Doch ob ihr die Qualifikation gelingt, ist fraglich. Zumal noch niemand weiß, wie genau die Qualifikationsregeln aussehen. Und ob das in den Sommer 2021 verschobene Megaevent überhaupt stattfindet. Ihre emotionale Seite hofft, „dass alles wie geplant durchgezogen wird", sagt Wenk. Ihre rationale Seite hat daran große Zweifel. Da sie aber ein ausgesprochen emotionaler Mensch sei, „quäle ich mich im Training trotzdem und ziehe es durch". Sie hoffe auf „eine faire Chance", sich zum dritten Mal für Olympia qualifizieren zu können.
„Ich hoffe auf eine faire Chance"
Vor zwei Jahren hatte sie diese Hoffnung nicht. Eine Schulterverletzung, familiäre Probleme, der Weggang des Berliner Stützpunkttrainers Stefan Hansen (zurück nach Dänemark) – Wenk stand kurz davor, aufzugeben. „Ich wollte einfach nur noch nach Hause", erinnert sie sich. Ihr Ex-Trainer Bünde rief sie an, sie verabredeten sich auf einen Kaffee – und er weckte in ihr neue Motivation. „Er sagte zu mir: ‚Es gibt nicht viele Schwimmerinnen in Deutschland, die es mit nur einem Jahr Training zur Olympianorm schaffen können. Bei dir ist das so!‘"
Seitdem trainiert Wenk bei Bünde in Regensburg, doch Knatsch mit ihrem Verein SG Neukölln Berlin, für den sie immer noch bei Wettkämpfen startet, gab es deswegen nicht. „Sie waren glücklich, dass ich eine für mich gute Entscheidung getroffen habe", berichtet Wenk. Sie ist der Berliner Schwimm-Gemeinschaft sehr dankbar: „Sie unterstützen mich, nicht nur finanziell, sondern auch mental." Auch der Stiftung Deutsche Sporthilfe ist Wenk dankbar, ohne das Geld aus diesem Topf wären Leistungsschwimmer aufgeschmissen.
Die vergangenen Monate haben Wenk zum Nachdenken gebracht, „so langsam muss ich meine berufliche Zukunft ins Visier nehmen". Neben dem Studium der Wirtschaftspsychologie hat Wenk einen Werkstudentenjob bei Infineon Technologies angenommen.