Coronabedingt muss der Landtag derzeit in größere Räume ausweichen. Nüchterne Konferenz statt Würde des Hohen Hauses. Landtagsgebäude in Deutschland spiegeln Geschichte der Demokratie und ihr Selbstverständnis, zeigt Ex-Ministerpräsident Reinhard Klimmt anhand der Architektur.
Burgen waren einst Symbol der Macht. Noch heute vermitteln diese alten, teils zerfallenen Steinbauten Stärke und Autorität, aber auch Kälte. „Jede Zeit und jede Herrschaftsform hat sich das Umfeld geschaffen, in der sich denjenigen, die sie beherrscht oder die sie vertreten haben, präsentierten", sagt Reinhard Klimmt. Jede Epoche hat ihren eigenen Charakter. „In der Vergangenheit – selbst schon in Athen oder im Römischen Reich – stimmten die staatlichen Bauten auch oft mit den religiösen Bauten überein. Sie waren ausgerichtet, um Eindruck zu machen", so Klimmt. Der frühere saarländische Ministerpräsident und Historiker hat sich mit dem Thema der Architektur im politischen Kontext auseinandergesetzt. Denn Bauten waren damals insbesondere auch eines: Politische Symbole, die, so Klimmt, „die Bedeutung des Herrschers gegenüber der Bevölkerung definierten."
Die Rollenverteilung war eindeutig: Der König erhob sich über das Volk. Das hat sich geändert. „Natürlich stellt sich dann die Frage, wenn anstelle des Königs oder anderer Herrschaftsfiguren nun das Volk als der eigentliche Souverän auftritt, wie die Gebäude, in denen sich diese Volksherrschaft materialisieren soll, gestaltet werden und wie weit die vorhandenen Bauten das widerspiegeln, was man eigentlich symbolisieren sollte", so Klimmt. Das sind heute Offenheit und Transparenz statt Machtsymbolik.
Transparenz statt Machtsymbolik
Verbietet sich damit nicht die Nutzung von Gebäuden wegen ihrer Vorgeschichte als demokratische Stätte? Nicht zwingend, meint Klimmt: „Ich bin der Meinung, dass man Vergangenheit nicht entsorgen kann, indem man ihre Sichtbarkeit zerstört. Sondern man muss die Vergangenheit als solche, auch da, wo sie einem nicht schmeckt, aufgeklärt bestehen lassen." Sozusagen als Mahnung, denn „die Tatsache, dass wir auch mal andere gesellschaftliche Verhältnisse hatten, muss als solche durchaus weiter sichtbar bleiben."
Der saarländische Landtag trägt eine lange Geschichte mit sich, in der es zwar nicht um Königsherrschaft, aber doch auch um Abgrenzung ging. „Das Gebäude ist 1866 als bürgerlicher Repräsentativbau der Casino Gesellschaft errichtet worden, mit dem das Bürgertum sich einen Treffpunkt in doppelter Abgrenzung geschaffen hat – einmal nach oben gegen die Herrschaft und einmal nach unten gegenüber den Menschen aus ärmlicheren Verhältnissen. Auf diese Art hat man sich eine Identifikation geschaffen, die man in dem Sinne nicht als demokratisch bezeichnen kann, sondern als klassen- und gruppenbezogen", sagt Klimmt, der zwischen 1975 und 1998 selbst Abgeordneter dort war.
Nach dem Krieg wurde das Gebäude Heimat eines neu gegründeten Parlaments, das, wie das Gebäude selbst, unter französischer Oberaufsicht stand. „Der französische, an der Sachlichkeit stark orientierte Architekt, Pierre Lefèvre, hat die Stuckelemente abgeschlagen und das Gebäude nüchterner gemacht. Entsprechend ist auch das Parlament eingerichtet worden." Es blieb nicht bei dieser Veränderung. „Nach der Abstimmung 1955 hat es eine staatliche Neuordnung gegeben und im Plenarsaal, wie auch in seinem ganzen Umfeld, ist noch mal der deutsche Zug eingefahren, beispielsweise mit deutscher Eiche in Plenarsaal und Bestuhlung", so Klimmt.
Bis 1975 waren die Abgeordneten im Landtag nur für Sitzungen anwesend. Als die Arbeit der Parlamentarier zur Hauptbeschäftigung erklärt wurde, folgte die Erweiterung mit einem Neubau mit Büros und Sitzungssälen und einer Diskussion um Umgestaltung des Plenarsaales.
„Da hab’ ich eine etwas unrühmliche oder rühmliche Rolle gespielt – je nachdem wie man es sieht", erinnert sich Klimmt, damals stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender. „Ich habe seinerzeit der Modernisierung des Plenarsaals mit der Eliminierung der vorher vorhandenen Sessel und Sitze nicht zugestimmt. Ich habe gesagt, das ist Tradition! Ich bin von Haus aus Historiker. Ich wollte die Traditionslinie, die Authentizität und die Anknüpfung an die vorangegangene demokratische Grundlinie – es waren ja keine Nazisitze – beibehalten. Dagegen haben andere – auch wieder aus guten Gründen – gesagt, wir sind in einer neuen Zeit und wollen modernisieren. Das Haus ist natürlich aber auch Kulturerbe. Da muss man aufpassen, dass, wenn man es an moderne Bedürfnisse anpasst, das so dezent wie möglich macht, um auch der Vergangenheit genügend Platz zu lassen."
Der Plenarsaal mit seinen Debatten und Beschlüssen ist so etwas wie die sichtbar gewordene Herzkammer der Demokratie. „Es ist ein offener Raum, in dem zwar das Präsidium ein bisschen erhöht ist, die Abgeordneten aber auf einer Ebene mit den Bürgern sitzen – und das ist in meinen Augen wichtig", sagt der Historiker. Auf Augenhöhe mit dem Volk, das per Definition in einer Demokratie der wahre Herrscher ist.
Wappen als Zeichen der Zusammengehörigkeit
Hinter dem Präsidium erinnert die saarländische Verfassung die Abgeordneten an ihre Verpflichtung. „Was im saarländischen Plenarsaal auffällt und was sich auch im gesamten Landtag immer wieder zeigt, ist zum einen das saarländische Wappen, aber auch das Kreuz, das man an verschiedenen Orten wiederfindet. Das Kreuz ist ein Symbol, das die Geschichte unseres Landes und seine Identität widerspiegelt", sagt Klimmt. Was ihn aber immer wieder zu Fragen veranlasse, sei das saarländische Wappen, das groß und dominant über einem der Eingänge verweilt. Ein weißer Löwe auf blauem Untergrund, ein rotes Kreuz auf weiß, drei silberne Adler auf einem roten Band, ein goldener Löwe auf schwarzem Hintergrund. „Das sind Rückgriffe auf die Zeit vor der Französischen Revolution", und damit „eigentlich keine Symbole einer demokratischen Ordnung, sondern Symbole aus der Zeit des Absolutismus. Was sie aber symbolisieren, ist die Vergangenheit, in der die Menschen gelebt haben." Das Saarland ist zusammengewürfelt aus ehemals preußischen und bayerischen Gebieten. Das Wappen verweist auf die vielfältigen Wurzeln. „Zusammengefasst in einem Wappen gehören wir jetzt aber alle zusammen", betont Klimmt.
Bürgernähe und Offenheit soll der Sitz des Parlaments auch für den heutigen Landtagspräsidenten Stephan Toscani signalisieren, trotz der städtebaulichen Situation. „Der saarländische Landtag und auch das gesamte Regierungsviertel liegen etwas abseits auf der ruhigeren Seite der Saar. Der Hauptbetrieb spielt sich in St. Johann ab. Aber er ist zugänglich und durch den Park herum auch offener gemacht worden", sagt Klimmt. „Das saarländische Parlament zeigt in seiner anspruchsvollen Architektur durchaus die Würde des Parlaments, zeigt aber auch gleichzeitig die Offenheit und signalisiert keine Überheblichkeit, wie es in anderen demokratischen Repräsentativbauten zu finden ist."
Wie Kontrastentwürfe nehmen sich da der bayerische Landtag im Maximilianstil mit der griechischen Siegesgöttin Nike auf dem Dach einerseits und auf der anderen Seite die Bremer Bürgerschaft aus, ein Kubus, „der genau diese Offenheit durch die Glasarchitektur symbolisieren sollte. Es ist auch so, dass man dort ohne Kontrolle in bestimmen Bereichen rumlaufen kann, ohne dass man auf ernste Sicherheitsvorkehrungen trifft. Ähnlich ist das im Saarbrücker Rathaus der Fall."
So spiegelt die Unterschiedlichkeit der Parlamentsgebäude das jeweilige Verständnis vom Verhältnis Bürger und Staat ebenso wider wie den unterschiedlichen Umgang mit der eigenen Geschichte, und das gleichzeitig verbunden damit, den Abgeordneten ein Arbeitsumfeld für das zu schaffen, was Kern der Demokratie ist: Die parlamentarische Debatte im Ringen um die besten Lösungen zum Wohl des Volkes.