Der Saarländische Landtag will künftig ein klares Wort bei den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie mitreden. Ein Gesetz zur Beteiligung ist auf den Weg gebracht. Auch im Bund sollen bisher allgemeine Befugnisse durch das Infektionsschutzgesetz klarer geregelt werden.
Der erste Schritt ist gemacht. Das Parlament will mehr Einfluss auf Entscheidungen in der Pandemie. Das kann es selbst entscheiden, schließlich ist das Parlament Gesetzgeber. Entsprechend hat das „Saarländische Covid-19-Maßnahmengesetz" in einer Sondersitzung die erste Hürde genommen. Damit ist das Saarland das erste Bundesland, das ein solches Gesetz vorgelegt hat.
Diskutiert wird bekanntlich seit Sommer. Das Unbehagen, dass alle Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung von den Regierungen per Verordnung geregelt wurden, wuchs in dem Maße, als auch Gerichte etliche der Verordnungen wieder kippten. Jüngste prominente Beispiele sind etwa die Beherbergungsverbote. Zuvor hatten bereits Versammlungsverbote, Ladenschließungen und Gästeliste Gerichte beschäftigt.
Als die erste Welle im Sommer abgeflaut war und die Einschränkungen nach und nach gelockert wurden, wuchs gleichzeitig das Unbehagen. Bereits während der ersten Welle gab es Stimmen, vorrangig aus der Opposition, aber auch vereinzelt bereits aus Regierungsfraktionen, die auf eine Beteiligung pochten. War es zur ersten Hochphase noch weitgehend akzeptiert, dass dies – wie bei allen Notsituationen – zunächst die „Stunde der Exekutive", also der Regierungen sei, forderten jetzt die Parlamente ihr Recht. Allerdings hätten sie durchaus im Grunde jederzeit die Möglichkeit gehabt, die Initiative zu ergreifen. „Landesgesetzgeber können jederzeit … die Regelungsbefugnis an sich ziehen." Womit nachvollziehbar ist, dass nicht nur die Opposition im Landtag, insbesondere Linken-Fraktionschef Oskar Lafontaine, meint: „Es kommt reichlich spät."
Parlamente können Regelung an sich ziehen
Im Saarland war vor allem ein Urteil des Verfassungsgerichtshofes zu den Gästelisten in Gaststätten wegweisend. Die Pflicht zur Gewährleistung der Kontaktnachverfolgung sei „durchaus geeignet, Bürgerinnen und Bürger von der Ausübung grundrechtlicher Freiheiten entscheidend abzuhalten", heißt es in der Entscheidung. Ein Argument, das auch schon vor dem Urteil in der politischen Diskussion immer wieder vorgebracht wurde. Für das oberste Gericht war jedenfalls klar, dass „über einen solchen Eingriff nicht die Exekutive allein entscheiden" darf. Derartige Eingriffe dürfe „nur ein Parlamentsgesetz" beschließen, „in öffentlicher, transparenter Debatte".
Die Entscheidung des Gerichts sei Beleg, dass der Rechtsstaat auch in Krisensituationen funktioniere, hieß es in einige Kommentaren auch von der Seite, die durch das Urteil in Grenzen verwiesen worden war. Allerdings blieb die Frage offen, warum es erst eines höchstrichterlichen Spruches bedurfte. Zu offensichtlich waren die massiven Eingriffe seit dem Frühjahr. Dass sie von einer ganz überragenden Zahl der Menschen nicht nur mitgetragen, sondern auch gutgeheißen wurden, änderte nichts daran, dass es grundsätzlicher Klärungen bedurfte, und die, wie vom Gericht bestätigt, im Parlament.
Dass der Landtag, der natürlich ebenso wie alle anderen, zunächst mit den massiven Einschränkungen des Lockdowns in der eigenen Arbeit klarkommen und sich neu organisieren musste, ist nachvollziehbar. Der kurzerhand zum „Corona-Ausschuss" umfunktionierte Gesundheitsausschuss des Landtags intensivierte seine Arbeit. Und selbst die Opposition bestätigt, dass dieser Ausschuss intensiv und aktuell seitens der Regierung informiert wurde und wird.
Dass sie aufgrund dieser Kenntnisse ihrerseits ihre Einschätzungen und Positionen in die öffentliche Diskussion einbringen konnten, änderte aber zunächst nichts daran, dass die Landesregierung mit jeweils aktualisierten Verordnungen auf die Entwicklungen reagierte.
Das würde sich zunächst einmal auch nicht ändern, wenn das „Corona-Beteiligungsgesetz" in der jetzt vorliegenden Form in Kraft wäre. Eine hochrangige Arbeitsgruppe (die Fraktionsvorsitzenden unter Leitung von Landtagspräsident Stephan Toscani) haben den Entwurf, der von allen vier Landtagsfraktionen eingebracht wurde, erarbeitet.
Darin gibt es neben den konkreten Beschreibungen der Regelungsbereiche zwei zentrale Punkte für das Parlament.Zum einen würden künftige Verordnungen grundsätzlich auf zwei Wochen befristet werden. In der Praxis ist das im Grunde jetzt schon der Fall, auch die geltenden Beschränkungen sind formell zunächst einmal für zwei Wochen in Kraft, bis zum nächsten Gipfeltreffen der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin. Aber schon vor der für den
16. November geplanten Zwischenbilanz ist die Verlängerung bis Ende November angekündigt. Der 14-Tage-Rhythmus der Überprüfungen ergibt sich aus den bekannten Entwicklungen des Virus.
Entscheidender ist das ausdrücklich vorgesehene Recht, dass der Landtag Rechtsverordnungen „jederzeit durch Gesetz aufheben" kann.
Dass der Landtag künftig in mehr oder minder schöner Regelmäßigkeit Verordnungen aufhebt, ist sicher nicht der Fall, denn ausdrücklich wird in dem Entwurf betont, dass es „gerade kein Vehikel, um die Maßnahmen zu sabotieren" sein soll und der Landesregierung „der notwendige Handlungsspielraum und die notwendige Flexibilität" je nach Verlauf der epidemiologischen Lage bleiben soll. Rückblickend auf die Verordnungen der acht Monate seit dem Auftreten der Pandemie ist die ganz überwiegende Zahl der Maßnahmen den politischen Äußerungen nach mitgetragen worden. Zentrale Kritik gab es in den Fällen, die schließlich auch höchstrichterlich entschieden werden mussten. Ob das mit einer parlamentarischen Befassung im Vorhinein anders gelaufen wäre, ist Spekulation.
Landtag kann Verordnungen auch aufheben
An diesem Punkt setzt auch die Kritik an dem vorliegenden Entwurf an. Ohne Zweifel stärkt es das Parlament, wenn es – gesetzlich ausdrücklich geregelt – Verordnungen auch einkassieren kann. Dazu sollte es aber erst gar nicht kommen, geht es beispielsweise nach den Vorstellungen der Linken. Aus deren Sicht müsste eine Befassung des Parlaments (über die reine Information hinaus) bereits vor Erlass erfolgen, erst recht, wenn es um Einschränkungen von Grundrechten geht. In dieselbe Richtung weisen auch Äußerungen von SPD-Fraktionschef Ulrich Commerçon, der im Grundsatz an der geplanten Neuregelung einen „Wendepunkt" zum bisherigen Vorfahren sieht, der aber noch nicht ausreiche: „Es kann nicht sein, dass ein Parlament drei, vier Tage warten muss, bis es einberufen wird". Die Botschaft scheint der Koalitionspartner aufgenommen zu haben. Klar sei, dass es noch Anhörungen geben muss, sagt CDU-Fraktionschef Alex Funk, im Hinterkopf die Erfahrung, dass kein Gesetz die Anhörungen so verlässt wie es eingebracht wurde.
Möglicherweise kommt diesmal die Berliner Politik saarländischen Regelungen entgegen. Auch auf der Bundesebene war der Druck zuletzt gewachsen, damit auch ein Stück weit das Selbstbewusstsein der Abgeordneten. Nicht zuletzt auf Druck der SPD liegt derzeit ein gemeinsamer Entwurf der Koalitionsfraktionen vor, in dem – wie im Saarland – die relativ offenen Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes mit den Ermächtigungen des Bundesgesundheitsministers konkretisiert werden, sprich präziser definiert werden soll, was geregelt werden darf und wo das Parlament entscheiden muss.
Die Änderungen in Bund und Ländern sollte mehr Rechtssicherheit bei künftigen Maßnahmen und mehr Transparenz im Verfahren bringen, so die Erwartungen auch von Landtagspräsident Toscani. Der erhofft sich gleichzeitig, dass es mit einem größeren Einfluss des Parlaments, also der gewählten Volksvertreter, besser gelinge könne, „die Menschen mitzunehmen".
Die sind zwar nach wie vor angesichts der Entwicklungen mit klarer Mehrheit für die im November verhängten Verschärfungen, haben aber zu einzelnen Regelungen ausgesprochen differenzierte Ansichten, wie die letzten Umfragen zeigen. Genau das muss sich in der Debatte im gewählten Landtag widerspiegeln.