Eigentlich sollte sich der Lockdown auf den Monat November beschränken. Nun deutet aber vieles darauf hin, dass ein Ende frühestens Mitte Dezember zu erwarten ist. Wieder werden die Parlamente in die Entscheidung nicht eingebunden sein.
Lange hatten sich die Parlamentarier in den Bundesländern und im Bundestag mit ihrer Kritik am Verfahren in der Corona-Politik zurückgehalten. Die Entscheidungen lagen bei den Ministerpräsidenten, der Kanzlerin und dem Bundesgesundheitsminister. Danach wurden die Parlamente von den Maßnahmen in Kenntnis gesetzt. Doch nun rührt sich langsam Widerstand. Kaum verwunderlich: Die Volksvertreter fühlen sich bei dieser Entscheidungsfindung schlicht übergangen.
Grundlage für alle Corona-Maßnahmen ist das Bundesinfektionsschutzgesetz, das vermeintlich alle Maßnahmen deckt. Allerdings sind diese im Gesetzestext nicht konkret benannt. Darum ist man im Bundesgesundheitsministerium auf die Idee gekommen, einen Paragraf 28a in das Gesetz reinzuschreiben, in dem 15 mögliche „Schutzmaßnahmen" konkret aufgezählt werden, also etwa Maskenpflicht, Abstandsregelungen, die komplette Aussetzung des Kulturbetriebes und des Vereinssports oder Reisebeschränkungen. Für die Regierungen soll der erweiterte Paragraf 28 zum Wegweiser ihrer Corona-Politik werden und sie damit nicht zuletzt auch vor Schadensersatzansprüchen der Betroffenen schützen. Doch alle aufgeführten Maßnahmen im besagten Artikel 28 werden bereits angewandt – durch Verordnungen und Allgemeinverfügungen der Regierungen angeordnet.
„Rechtspolitisches Feigenblatt"
Für FDP-Fraktionschef Christian Lindner ist damit dieser Artikel im Infektionsschutzgesetz ein „rechtspolitisches Feigenblatt". Es gehe nur darum, bereits getroffene Entscheidungen „nachträglich" zu legitimieren. Aber mit diesem erweitertem Artikel 28 würden auch zukünftig nicht die Parlamente über Pandemie-Maßnahmen entscheiden, sondern weiterhin die Regierenden, so Lindner. Auf Unmut stößt aber auch die neue Festschreibung, dass alle Einschränkungen „verhältnismäßig" sein sollen. Für die Linkspartei ist das reichlich unkonkret und lädt weiterhin die Betroffenen zu weiteren Klagen ein. Das wäre nicht im Sinne des Gesetzes, denn genau darum geht es ja: Dass nicht ständig Gerichte die Einzelmaßnahmen zur Pandemiebekämpfung wieder aufheben.
Zudem ist von „schwerwiegenden", „stark einschränkenden" und „einfachen" Schutzmaßnahmen die Rede, je nach den jeweiligen Zahlen der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, neudeutsch „Inzidenz" genannt. Nicht nur für FDP und Linkspartei, sondern auch für die mitregierenden Sozialdemokraten im Bundestag ist das ein Freifahrtschein für Bund und Länder, doch wieder nach Gusto zu entscheiden.
Noch ist im Bundestag nichts entschieden und so werden die Ministerpräsidenten gemeinsam mit der Kanzlerin eine weitere Verlängerung der aktuellen Pandemie-Maßnahmen zunächst bis Mitte Dezember erneut über die Köpfe der Parlamentarier hinweg beschließen. Aber nicht nur für die gewählten Volksvertreter ist das problematisch, auch unter Medizinern gibt es Kritik. So hält sich das Verständnis der Bürger für eine ihnen auferlegte Quarantäne oft in Grenzen – was wohl auch an der mangelnden Beteiligung der Parlamente an den Beschlüssen liegen könnte.
Über die Köpfe des Parlaments hinweg
In der CDU verteidigt man die schwammigen Formulierungen des neuen Artikels 28 im Infektionsschutzgesetz. Unions-Fraktionsvize Thorsten Feil bringt es in der ersten Lesung auf den im Sinne der Gewaltenteilung bedenklichen Satz: „Wir brauchen unbestimmte Rechtsbegriffe, um flexibel agieren zu können." Selbst in der SPD-Bundestagsfraktion geht das vielen zu weit. Denn mit diesem Argument hat sich das Bundestagsplenum schon im März beim ersten Lockdown aus dem Rennen genommen. Dass die Kritik an der Entscheidungsfindung zu den Corona-Maßnahmen nicht allzu weit hergeholt ist, belegt ausgerechnet Wolfgang Schäuble (CDU). Als Bundestagspräsident ist er oberster Repräsentant eines der fünf Verfassungsorgane der Bundesrepublik. Doch wurde er gar nicht erst in diese Debatte eingebunden. Kanzlerin Merkel und die Landesfürsten beschlossen die Maßnahmen einfach. Schäuble platzte Anfang Oktober als „Zuschauer" schließlich der Kragen. Er präsentierte seinen Vorstoß für mehr Parlamentsbeteiligung bei den Corona-Maßnahmen.
Seine Unions-Fraktion reagierte verhalten. Man sei dankbar für die Ideen, schrieb Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus an seine Abgeordneten. Rückendeckung erhielt der CDU-Mann ausgerechnet von SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Der betonte, dass Forderungen nach mehr Beteiligung des Parlaments „unsinnig" seien. „Wir brauchen schnelle Beschlüsse, wir können uns da keine wochenlangen Debatten im Bundestag erlauben."