Die japanisch-vietnamesischen Gerichte aus dem „Ryong 2" ziehen von Tellern und Schalen in transportable Gläser und Boxen um. Mai Huy Thong Tran und sein Team bieten die Veggie-Essen aus ihrem Restaurant in der Rykestraße zum Abholen oder per Lieferdienst an.
Wer in eines der Restaurants eintritt, die Mai Huy Thong Tran führt, kann sich sicher sein, in einen Kosmos der Schönheit einzutauchen. Der Designer und Restaurantbesitzer hat Blick und Händchen für harmonische Proportionen, angenehme Materialien und Beleuchtung. Sei es im „Con Tho" an der Hasenheide, im ersten „Ryong" an der Torstraße oder nun im erst Ende September eröffneten „Ryong 2" in Prenzlauer Berg. Lichtscheiben unter der Decke lassen an einen Besuch auf einem fernen Planeten denken, Wandputz aus wellenförmig gezogenem Stampflehm, helle Holztische und poposchmeichelnde Hocker schaffen eine elegante und unaufdringliche Atmosphäre, die der puristischen Ästhetik Asiens die Ehre erweist.
Die ausschließlich vegetarischen, häufig veganen und immer ausgesprochen schön arrangierten Gerichte fußen auf der vietnamesischen und japanischen Küche. Ob „Crispy Baby Balls", „Sweet Babe" oder „13 Monde"-Suppe auf der Karte – ich habe sofort Bilder im Kopf. Wer sich die Namen nicht merken kann, kommt mit den Formen weiter. „Die Dreiecke" fand der Fotograf gut. Okay, also das „Sweet Babe": gelbe Süßkartoffel-Segel im Tempura-Mantel ausgebacken und mit Knoblauch-Mayonnaise bezickzackt. In einem Schälchen wartet eine Dill-Pilz-Sauce zum Stippen. Knusprig und köstlich ist das. „Die Kugeln", wie wir uns beim Notizenmachen für Text und Bildunterschriften zurufen, sind verwunschene Maiskorn-„Baby Balls". Crispy sind sie sowieso und vor allem aus einer größeren, „klebrigen", asiatischen Maissorte gefertigt, verrät Mai Huy Thong Tran. Eine Dillsauce auf Teriyaki-Basis rundet das Stipp-und-Weg-Erlebnis ab.
Der „Golden Temple" wurde in Würfelform errichtet. In einem gebackenen Tofu-Mantel verbirgt sich eingelegter Rettich, der mit geschmolzenem Käse bedeckt und einer Sauce von Miso, Soja und einem Tick Chili beträufelt wurde. Die Geometrie hilft uns bei der schnellen Zuordnung. Denn alles kommt gleichzeitig auf den Tisch, so wie es Freude macht, um Kleinigkeiten miteinander zu teilen. Natürlich auf Extra-Tellern und mit Extra-Vorlegebesteck – und mit einem Extra-Dankeschön ans Team, das anschließend doppelt und dreifach spülen muss.
Bereits zu 80 Prozent Glutenfrei
Wir waren an einem der letzten Tage vor der coronabedingten Schließung im „Ryong 2". Mai Huy Thong Tran wäre nicht er selbst, hätte er sich nicht längst gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Quyet Than Kim Gedanken gemacht, was beim „Lockdown 2" ansehnlich, schmackhaft und verpackungsmüllarm in Pfandgläser und umweltverträgliche Einwegboxen kommen kann. Vorgegarte Dinkelnudeln werden auf Gemüse gestapelt, wie ein Prototyp-Foto mit Einweckglas zeigt. „Man kann sie leicht herausnehmen, wirft sie ganz kurz in heißes Wasser und gibt alles in seine eigene Bowl", sagt Huy Thong Tran. Fertig ist die häusliche DIY-Nudelschale à la „Ryong", beinah so wie im Restaurant. Nirgends klebt ein modisches Etikett wie „Clean Eating" an den Gerichten. Obwohl es das sogar wäre. Denn beiläufig gesund durch frische und gute Produkte aus der Region darf und soll das Essen für jeden Tag bitte gern sein. Dazu gehört, dass es bezahlbar ist: Die kleinen Gerichte kosten zwischen 3,80 und 5,50 Euro. Die Nudelgerichte, Suppen, Galettes und Bento-Boxen liegen zwischen 7,80 und 12,50 Euro. Mai Huy Thong Tran feilt mit seinem Team immer wieder bis ins letzte Detail an den Gerichten. Ein Beispiel: „Wir wollen langsam den Naturreis durchsetzen." Das sei gar nicht so einfach. Viele Gäste seien an den neutraleren, polierten Reis gewöhnt. „Wir haben es schon geschafft, Weizenmehl zu verbannen. Das kaufen wir gar nicht mehr ein." Das erfreut, wie bei Reisbandnudeln in der Phô oder den aus Buchweizenmehl gemachten Galettes, nicht nur den Gaumen, sondern auch Menschen mit Unverträglichkeiten oder Allergien. „Zu 80 Prozent sind wir glutenfrei, da haben wir sehr aufgepasst."
Noch arbeitet der Patissier im Team mit Kokosblütenzucker, der aber bald durch Xylit, also Birkenzucker, ersetzt werden soll. Ähnlich geht es bei den Getränken zu.
Eine Sojamilchcreme und einige Sesamkörnchen machen aus dem vietnamesischen auch einen veganen „Cà phê" und eine „Last Temptation" für den Gaumen. Interessant ist die „Threesome"-Spielart: Als Nummer drei mischt eine Süßkartoffelpaste am Boden mit. Beherzt weggelöffelt und mit einem Schluck Kaffee nachgespült, wird der muntere Dreier im Glas zum kleinen Dessert.
Die Verspieltheit trifft genau meinen Geschmack. Etwa bei der „Galette Christmas Time". Galettes sind ein Erbe der Franzosen, deren Kolonialzeit in Vietnam kulinarische Spuren in Gestalt von Baguettes, Kaffee, Crêpes und Kräutern wie Dill oder Gemüsen wie Lauch und Karotten hinterlassen hat. Die hauchdünne Galette aus Buchweizenmehl erhält ihre mattrote Farbe durch Rotkohlsaft. Sie umhüllt mit warmen Armen eine üppige Auflage aus Süßkartoffeln, Avocado, roten Zwiebeln, Aubergine und geschmolzenem veganen Käse. Eine vegane Mayonnaise und eine Miso-Kokos-Sauce mischen cremig mit.
So richtig weihnachtlich-wohlig wird es mit geräucherten Mandeln auf Feigenscheiben als Topping. Wir knabbern begleitend an Gobo-Chips und gehen dem Geschmack der asiatischen Kletten-Wurzel auf den Grund. Merry Christmas! Dazu trinken wir aber keinen Glühwein, sondern hausgemachte, kühle Limonaden in Rot, Gelb und Grün, die derzeit auch in Glasflaschen als Take-away angeboten werden. Eine Rote-Bete-Limo bekommt einen Beeren-Frischekick verpasst. Letzte Reste Erdigkeit werden mit Orangenschalen und Pfeffer vertrieben. Ein Pandan-Ingwertee macht in Kalt sowie mit Limette und Basilikumsamen auf Grün und Zitrisch. Er macht uns mit einer neuen Verwendungsart der grünen und leicht vanilligen Schraubenbaum-Blätter bekannt. Sie sind hierzulande allenfalls gelegentlich als natürliche Hülle zum Garen von Reis, Fleisch oder Fisch im Päckchen anzutreffen. Mein Favorit ist die kalte Ausgabe eines Thai-Tees, also eines asiatischen Milkteas, der mit Reismilch und etwas Orange leicht und anregend wirkt.
Die „normale" Karte für Drinnensitz-Zeiten rubriziert die Gerichte neben Appetizern in Nudeln, Wraps, Bento-Boxen, Galettes und natürlich Phô. Die vietnamesischen Reisbandnudeln werden entweder als Suppe oder Salat angeboten. „13 Monde", ein Wintergericht mit Dinkelnudeln in Gemüsebrühe und mit Zitronenscheiben obenauf, dürfen wir nach ausgiebigem Fotografieren allerdings nicht mehr probieren: „Die Zitronen werden bei zu langem Stehen bitter. Das verfälscht den Geschmack." Mai Huy Thong Tran lässt uns stattdessen eine Phô-Suppe servieren: „Aber wirklich heiß essen!"
Fast alles für Außer-Haus-Karte
Wir teilen und schlürfen die langen Nudeln ordnungsgemäß asiatisch aus der reichhaltigen Brühe, die mit Ingwer, Zwiebeln, Knoblauch, Sternanis, Nelken, Zimt, Koriander, Sojasauce und Kardamom aromatisiert ist. Nach dem großen Schlürfen und Schmatzen ist aber noch nicht Schluss. Eine „Saigon Bento" mit Räuchertofu, Rote Bete, Edamame und einem Tick Kokos möchte vernascht werden. „Das ist unsere Interpretation von Curry", sagt Tran. In einer Zweitbox warten Gemüse wie Okraschoten, Süßkartoffeln, Spinat und rote Paprika auf unsere Gabeln, Löffel oder Stäbchen. Die Vesperbox bezieht sich in ihrem Purismus und mit der Trennung der einzelnen Komponenten unmissverständlich auf Japan.
Wir wollen gar nicht ganz genau auseinanderfieseln, was in welchem Land seine Herkunft hat oder traditionell korrekt wäre. Sonst würde uns leider eine der besten euro-amerikanisch-asiatischen Fusion-Süßigkeiten entgehen – der sehr, sehr überzeugende Matcha-Cheesecake.
Er vereint das Beste und Üppigste vom amerikanischen Cheesecake mit der Herbheit des grünen japanischen Matcha-Tees. Der „Ryong"-Patissier hat außerdem gehörig nach Belgien herübergeschielt und viel weiße Schokolade im Kuchen-Riegel versenkt. Die Leichtigkeit vom Tee hebt die Schwere von Cheese, Cake und Chocolate im Geschmack glücklich machend auf, um sich danach dennoch direkt auf unseren Hüften niederzulassen.
So viel Auswahl, so viel gekostet – und immer noch so viel Unprobiertes! Ein Glück, dass sich beinah alle ständigen Gerichte auf der Außer-Haus-Karte für den November wiederfinden. Es gibt in der Rykestraße derzeit weitere Schmankerl zu kaufen: Nori-Butter, Knoblauchbutter, die Dill- und Pilzsauce oder ein Knoblauch-Porree-Pesto sind im Glas zum Mitnehmen erhältlich. So wird die „Stay-at-Home"-Phase mit Speisen am häuslichen Tisch zur Ausprobier- und Anfütterzeit und vorgelegt für die Zeiten, in denen es das „Ryong 2"-Essen hoffentlich bald wieder im entsprechenden Ambiente zu genießen gibt.