Die Band Autumnblaze veröffentlicht in Kürze ihr siebtes Album. Musik ohne das Korsett eines Genres im Vordergrund, das ist Markus Baltes und Christian Seibert am wichtigsten.
Autumnblaze ist mehr als eine Band, es ist eine Verbindung", sagt Markus Baltes. „Autumnblaze ist nicht nur eine Band, es ist der musikalische Ausdruck einer Freundschaft", sagt Christian Seibert. Fragt man die beiden Musiker unabhängig voneinander, geben sie fast wortgleiche Antworten. Und bestätigen sich damit unwissentlich gegenseitig. Die Geschichte von Autumnblaze ist tatsächlich nicht nur die einer Band, sondern auch die von besten Freunden. Wenn auch mit Umwegen.
Geboren 1972 (Seibert) und 1975 (Baltes) verbringen beide ihre Jugend in den 80er-Jahren. Die Teenager wissen in dieser Zeit fast gar nicht, wo sie zuerst zugreifen sollen, so groß ist das Angebot an Unterhaltung, neuer Elektronik, Blockbustern, cooler Kleidung und aufgedrehter Musik. Das Leben wird bunter. Deutschland verändert sich, das Privatfernsehen kommt, die Mauer fällt, das Land wächst, der kalte Krieg endet, auf die 80er- folgen die poppigen 90er-Jahre. In Sachen Musik sind Synthesizer, elektronische Musik und dann Eurodance in Mode. Kindern dieser Zeit wird der Stempel der „Generation Kohl" aufgedrückt. Gemeint sind die Jahrgänge, die unter der Fittiche des damaligen Bundeskanzlers sorgenfrei und konsumlustig aufwachsen können. Doch wo es eine dermaßen ausgeprägte Popkultur gibt, ist die Gegenkultur nicht weit. Das zeigt sich auch in der Musiklandschaft, die besonders dadurch gekennzeichnet ist, dass sie auch abseits des Mainstreams vielfältiger und kleinteiliger wird. Grunge, Indie, Alternative und auch Hip-Hop werden zu festen Bestandteilen für alle, die sich in der bunten Oberflächlichkeit nicht wiederfinden wollen. Auch der Heavy Metal hat sich als Gegenentwurf zur Popmusik aus den 80er-Jahren ins neue Jahrzehnt gerettet. Obwohl der althergebrachte Metal seinen Zenit in dieser Zeit fast schon überschritten hat, fächert sich auch diese Szene deutlich auf. Düstere Romantik aus skandinavischen Ländern wird für viele zur Ausflucht, zum Gegenmodell und Lebensgefühl.
So auch für Seibert und Baltes, die voll und ganz in die dunkle Welt eintauchen. Auch wenn Baltes heute sieht, dass der Moment, in dem er den Schrank im Kinderzimmer schwarz streicht und Darkthrone in Endlosschleife hört, doch etwas irritierend für seine Eltern gewesen sein könnte.
Erste Begegnung bei der katholischen Jugend
Anfang der 90er-Jahre treffen die beiden jungen Männer in einem nicht minder denkwürdigen Setting in ihrer saarländischen Heimat zum ersten Mal aufeinander. Wie Seibert heute rekapituliert, findet die Begegnung bei der katholischen Jugend statt, die damals neben Gruppenstunden und Kinderferienfreizeit auch Death-Metal-Abende im Pfarrheim anbietet. Oder zumindest nicht untersagt, obwohl die Kreuze nach diesen Abenden schon mal umgedreht an der Wand hängen. Schnell entdecken die beiden Jugendlichen ein Verständnis füreinander, nicht nur musikalisch, sondern auch was Literatur, Philosophie und das Leben angeht. „Wir konnten zusammen Außenseiter sein", erinnert sich Baltes. „Wir waren nicht nur Musikfans, sondern auch wache Geister, die nach den Dingen hinter den Dingen forschten", ergänzt Seibert. „Es lässt sich nicht so einfach erklären, aber unsere Freundschaft ist der Motor für unsere Kreativität." Die logische Konsequenz lässt nicht lange auf sich warten. Zusammen gründen die beiden im Jahr 1996 Autumnblaze. Seibert ist Schlagzeuger, schreibt Texte, auch Baltes schreibt, er ist Frontmann, Sänger und Gitarrist.
Obwohl sie damals schon in anderen Bands sind, steht für Autumnblaze Musik ohne das Korsett eines Genres im Vordergrund, es geht nicht mehr um umgedrehte Kreuze oder schwarz gestrichene Schränke. Mehr Musik, weniger Schublade. Das gilt für sie heute wie damals. „Wir sind zwar eher auf der melancholischen Schiene, aber wir müssen keine zehn Metal-Alben am Stück machen", sagt Baltes. „So wie es jetzt ist, können wir auch einfach Singer-Songwriter-Sachen machen oder Shoegaze. Oder was auch immer."
Autumnblaze machen sich damals schnell einen Namen. Doch nach den ersten beiden Studioalben gibt es eine Zäsur. In der Phase der Produktion des dritten Albums kommt es zu Enttäuschungen und Frust, erst im künstlerischen Schaffen, dann auch im Privaten. Die Wege von Baltes und Seibert trennen sich im Zerwürfnis. Baltes führt in der Zeit die Band ohne Seibert mit anderen Musikern weiter. „Aber irgendetwas hat immer gefehlt", sagt er. Nach einigen Jahren nähern sie sich vorsichtig wieder an. Im Jahr 2009 erscheint das gemeinsame Album „Perdition Diaries" als eine Art Katharsis mit Texten von Seibert und der Musik von Baltes. Autumnblaze sind wieder in der Spur.
Auch ihr aktuelles Album ist thematisch sehr privat. „In den Songs konnten wir die Erlebnisse der vergangenen Jahre in neue Musik verwandeln", sagt Seibert. Musikalisch unterscheidet es sich von den Anfängen der Band, was aber nicht heiße, dass es nicht auch irgendwann wieder in die härtere Richtung gehen könnte. „Autumnblaze ist wie ein Buch, und jedes neue Album ist ein neues Kapitel", sagt Baltes. Herausgekommen ist in diesem Kapitel ein atmosphärisches Album mit flächigem dichtem Sound, das fast schon ein Konzeptalbum ist.
Beim Texteschreiben setzt Baltes auf Metaphern, damit möchte er Raum für Interpretation lassen. Viele Songtitel drehen sich um das Universum, um Planeten, um Himmelsphänomene, um Explosionen, lodernde Feuer. Die chiffrierten Inhalte lassen jedem Hörer den Raum, trotzdem auch eine eigene Geschichte in den Songs zu finden. „We are leaders of a breaking galaxy". Die Zeile aus der ersten Singleauskopplung beschreibt nicht zuletzt auch die Dynamik zwischen den beiden Musikern. „Wir sind die Anführer in einer zerbrechenden Galaxie". „Es ist ein Blindflug, aber es ist der einzige, den wir haben." Das mag privat passen. Aber es passt auch zur aktuellen Lage der Welt. Augen zu und durch, gemeinsam durch die Krise. Auch in den restlichen Texten geht es um Dinge, die jeder kennt. Um die Angst vor Veränderungen, um Verlangen, um Unsicherheit, aber auch um Freundschaft und Vertrauen.
„Wir haben versucht, durch die Musik einen sehr visuellen, filmischen Blick auf das Leben zu werfen", erklären die Musiker. Der Titel „Welkin Shores Burning" passt in diese cineastische Stimmung: Er beschreibt das Bild eines brennenden Horizonts, den schmalen Streifen zwischen Himmel und aufgewühltem Meer. „Auf der einen Seite bist du im Himmel und auf der anderen Seite wartet der Abgrund, der dich verschluckt", beschreibt Baltes den Balanceakt, den das Bild für ihn darstellt. Für dieses Album zeigt er sich als federführend, er schrieb die meisten Songs, sang und spielte alle Parts bis auf das Schlagzeug im hauseigenen Moonspark Studio selbst ein. Für das Schlagzeug ist Seibert verantwortlich, zu den fertigen Demos nahm er die Drumparts bei sich zu Hause auf.
„Wir wollen einfach die Musik machen, die aus uns selbst kommt"
Die beiden Musiker verstehen sich blind. So lässt sich ein Album auch in Corona-Zeiten produzieren, und das sogar länderübergreifend. Das Mixen und Mastern übernahm der Finne Matti Reinola. Mit dem fertigen Album müssen Autumnblaze nicht lange nach einer Plattenfirma suchen. Das italienische Label Argonauta Records nahm sie direkt unter Vertrag. Das Cover wird anschließend von der Künstlerin Friederieke Myschik aus Hamburg eigens als Gemälde angefertigt.
Dass sich Autumnblaze in keine Schublade stecken lassen, macht ihre Musik aus. Manchmal wäre es besser, sagen sie, wenn sie sich einer Stilrichtung zuordnen lassen könnten. Dann wäre es leichter, etwa bei Streamingdiensten in Playlists oder gewisse Kategorien aufgenommen zu werden und damit mehr Hörer zu erreichen. Reich werden wollen die beiden mit ihrer Musik aber ohnehin nicht. Sie leben nicht von der Musik, gehen im normalen Leben anderen Berufen nach. Ein geregeltes Einkommen ist besonders in den aktuellen Zeiten wichtig, wenn es Kinder, Häuser und laufende Kosten gibt. Autumnblaze leben nicht von der Musik, aber sicherlich dafür. Ihr gemeinsames Außenseitertum tut ihnen gut und lässt ihnen ihre Freiheit: „Wir wollen einfach die Musik machen, die aus uns selbst kommt. Wenn sie jemandem gefällt, ist das umso besser."