Wer dem Biber bei der Arbeit zusehen, die lauten Brunftrufe der liebestollen Hirsche hören oder Flussläufe erkunden möchte, zieht am besten Wanderschuhe an, radelt entlang der Dämme oder mietet ein Kanu. In Deutschlands einzigem Auen-Nationalpark in der Uckermark ist man fast allein in unberührter Natur.
Mitten hinein in die Auenlandschaft des Oderdeltas geht es nur mit dem Kanu. In Mescherin, dem nördlichsten Ende des Nationalparks, wartet die Natur- und Landschaftsführerin Frauke Bennett auf ihre Gäste. Sie faltet eine Landkarte auseinander. Für Ungeübte ein Wasserweg-Wirrwarr. Nicht für die Expertin. Sie findet sich ohne Wegweiser zurecht. Sie gibt eine kurze Anleitung für Anfänger und Geübte, wie das Paddel gehalten, wie gesteuert und wie gebremst wird.
Mit ihrem Kanu bahnt sie sich zwischen Seerosenblättern einen Weg auf dem Mescheriner See, einem Altarm der Oder. Während sie das Paddel ins Wasser steckt, erzählt sie von früher, als die Bauern ihre Kähne steuerten, um auf den Auenwiesen Futter fürs Vieh zu holen. Aus vergangener Zeit übrig geblieben, aber von Schilf und Seerosen in Beschlag genommen ragt ein Schiffswrack aus dem Wasser. Grund für den gekenterten Lastkahn war seine geheime Mission im April 1945, als dieser nach Berlin steuerte und hier manövrierunfähig geschossen wurde. Nun rottet er gemächlich vor sich hin. 15 Minuten dauert die Fahrt, dann wird es etwas schwieriger mit dem Paddeln. Lenken will eben geübt sein. Denn es ist gar nicht so leicht, dem Schwimmfarn, den Wasserlinsen und Seerosen, die wie ein dicker Teppich im Wasser liegen, auszuweichen. Durch ein Deichtor geht es auf die polnische Seite. Dort hat die wilde Natur seit Jahren Besitz von der Auenlandschaft ergriffen. Die Oder durfte sich sorglos ausbreiten und Landschaften formen. Von Minute zu Minute verästelt sich der Fluss in immer kleinere Arme. Meterhoch ragen Röhricht und Schilf empor. Wer hierher kommt, sollte sein Fernglas bereithalten. Hier fliegen mehr Libellen, schwimmen mehr Fische im Wasser und wachsen seltene Pflanzen als andernorts. In der Ferne ist der Ruf des Eisvogels zu hören. Zu sehen ist er nicht, nur das blaue Gefieder blitzt manchmal durch das Schilf. Am Ufer hat ein Biber seine Wohnung gebaut, fast acht Meter breit und vier Meter hoch. Auf den ersten Blick wirkt es, als wäre das Holz lose übereinander geworfen. Doch die Baumeister wissen genau was sie tun. Diese Verästelung sorgt für Stabilität und schafft neue Lebensräume für seltene Tier- und Pflanzenarten.
In der Ferne ruft der Eisvogel
Und hoch muss die Wohnung sein, da der Wasserstand innerhalb eines Tages um einen halben Meter steigen kann. Als Kräuterkundiger weiß der Biber von den Heilkräften der Pflanzen. Rund um seine Burg wachsen Brennnessel und Blutweiderich. Nur zu sehen bekommt man die Tiere selten, da sie nachtaktiv sind.
Als würde Frauke ein Biologiebuch aufschlagen, weiß sie zu jeder Pflanze und jedem Tier Geschichten zu erzählen. Mal fischt sie eine Spitzschlammschnecke aus dem Wasser, dann zeigt sie auf eine trichterförmig angeordnete Pflanzengruppe, die sie als Krebsschere vorstellt, die als Unterwasserpflanze ein Leben im Geheimen führt und nur in den Sommermonaten an die Wasseroberfläche steigt und ein natürlicher Wasserfilter ist. Ihre kräftigen Blätter bieten Insektenlarven, Wasserkäfern oder Egeln Schutz vor Fressfeinden. Sie zeigt auf eine Stelle, an der das hohe und vertrocknete Schilf umgeknickt ist. „Das ist die wichtigste Pflanze hier", erklärt Frauke. „Es nimmt sich Nährstoffe aus dem Wasser und reinigt es dabei."
Wassertouristen dürfen den Nationalpark nur mit einem Guide befahren, auf drei Strecken zwischen Juli und November. Schließlich sollen die Vögel in Ruhe brüten können. Über 250 Arten wurden von Ornithologen gezählt. See-, Fisch und Schreiadler ziehen ihre Jungen auf, ebenso Kraniche, Weiß- und Schwarzstörche. Der Wachtelkönig ist auch wieder da. Er ist kaum zu sehen, tagsüber hört man ihn allerdings rufen.
Über 250 Arten von Vögeln
Wer festen Untergrund vorzieht, schaut sich die Landschaft besser von den Oderdeichen aus an. In Criewen ist in den Gebäuden des ehemaligen Gutshofes das Nationalparkzentrum beherbergt. Im zwölf Meter langen Aquarium zeigen sich alle Fische, die es in der Oder gibt. Über 25 heimische Arten wurden gezählt. Seit 2007 wird der Stör wieder angesiedelt.
Der September ist ein Erlebnis für Naturfreunde. Morgens, wenn der Frühnebel den Boden verhüllt und die Sonne scheint, dann sind die Rufe des Rothirsches zu hören, die meist in Serien von sechs bis acht einzelnen Rufen erklingen. Die Ranger der Naturwacht in Criewen wandern mit Gästen zu ausgewählten Beobachtungsplätzen, um die stolzen Hirsche bei ihren Liebesbewerbungen zu beobachten, wo sie ihr Geweih präsentieren, ihre Kontrahenten herausfordern und sich dem Kampf stellen.
Wer auf dem Deich in Richtung Schwedt entlangradelt, lässt die dichten Laubwälder und blütenreichen Trockenrasen an sich vorbeiziehen. Denn der größere Teil des Weges, es ist der Oder-Neiße-Radweg, verläuft in der offenen Auenlandschaft.
Riesige Wasserflächen, fast wie ein Meer
Es lohnt sich auf den Beobachtungsturm bei Stützkow zu steigen. Aus elf Metern Höhe zeigen sich die Deiche und Altarme der Oder und viel Grün. Kräftige Eichen, Buchen und Fichten, dazwischen abgestorbene Bäume. Sobald die Flutungen einsetzen, entstehen riesige Wasserflächen, fast wie ein Meer. Nach Rückgang der Überflutung ist das Gebiet von Altwässern, Weihern und Tümpeln durchzogen. Ein Paradies für Wasservögel. Immer wieder gibt es spannende Naturbeobachtungen. Im Frühjahr und Herbst fliegen Tausende Enten, Gänse und Kraniche ein, und im Winter kann man die Rufe der Singschwäne hören.
In der Naturparkstadt Schwedt sollte man unbedingt einen Stopp einlegen oder übernachten. Es gibt eine lange Geschichte über das Schloss, die Kurfürsten und Markgrafen und über die starke Frau von Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Wo heute die Uckermärkischen Bühnen stehen, stand früher das Schwedter Schloss, das im Zweiten Weltkrieg schwer zerstört und später abgerissen wurde. Bis hinunter ans Ufer ist es grün. Im Schlosspark erinnern verschiedene Skulpturen an die frühere Zeit. Auf der breiten Uferpromenade sind Spaziergänger, Jogger und Radfahrer unterwegs. Von hier gibt es viele Möglichkeiten für spannende Exkursionen in den Naturpark.