Für viele Menschen sind Haare geradezu ein ästhetisches Statement. Was aber tun, wenn es beispielsweise zu einem kreisrunden Haarausfall kommt? Der Hautarzt und Haarspezialist Prof. Dr. med. Gerhard Lutz gibt Tipps.
Der kreisrunde Haarausfall, die Alopecia areata (A. a.), ist eine besondere Form des Haarausfalls. Diese beginnt in der Regel mit einem einzelnen oder mehreren, kleinen kahlen Stellen in runden oder fleckenförmigen Flächen auf dem Kopf. Auch Augenbrauen, Wimpern, der Bart und sogar die gesamte Körperbehaarung können betroffen sein. Veränderungen der Fingernägel wie Grübchen, Rillen oder Aufrauhungen können hinzukommen. Woher das kommt, weiß man nicht zu 100 Prozent genau. „Für mich setzt die Alopecia areata schon lange eine genetische Disposition voraus", so Prof. Dr. Gerhard Lutz, der nicht nur praktiziert, sondern auch in der klinischen Forschung tätig ist. Diese Annahme wird inzwischen von einer Reihe von genetischen Auffälligkeiten bei den Betroffenen bestätigt, wobei einzelne dieser Gene in immunologisch gesteuerte, entzündliche Prozesse involviert sind.
Allgemein anerkannt ist, dass der kreisrunde Haarausfall eine Autoimmunerkrankung ist. In diesem entzündlichen Prozess, der gegen körpereigene Strukturen, in diesem Fall die Haare, gerichtet ist, spielen eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen, die T-Lymphozyten, eine wesentliche Rolle. Pathologisch gesehen machen sich diese auf den Weg in Richtung Haarfollikel, umgeben diesen bienenschwarmartig und attackieren ihn solange, bis das Haar ausfällt. Sofern die entzündliche Belagerung anhält, kann kein neues Haar entstehen. Stattdessen kann es gar zu einer Zerstörung der Haarfollikel kommen, sodass lebenslang kein Haarwachstum mehr möglich ist. „Wer diesen T-Lymphozyten den Befehl gibt, die Haarfollikel anzugreifen oder welche Botenstoffe die Entzündungszellen anlocken, wissen wir bislang nicht. Da es sich hier um eine Aggression des Körpers gegen sich selbst handelt, zählt die Alopecia areata zu den Autoaggressionskrankheiten", erklärt Prof. Lutz.
Auch die Seele leidet häufig unter dieser Form des Haarausfalls. Schließlich gelten volle und gepflegte Haare als schöner Körperschmuck und bestimmen einen guten Teil des äußeren Erscheinungsbildes. Nicht selten kann es nach einem Haarausfall gar zu Problemen im sozialen Umfeld oder auch in der Beziehung kommen. Prof. Lutz erinnert sich an den konkreten Fall einer jungen Frau, die nach einem totalen Haarausfall eine Perücke trug. Als sie auf einem Jahrmarkt einen Autoscooter besuchte, wurde ihr Fahrzeug von hinten so heftig gerammt, dass ihr die Perücke vom Kopf fiel, was einige Einwohner der kleinen Stadt zum hämischen und deplatzierten Lachen animierte. „Das war eine sehr traumatische Erfahrung für diese junge Patientin, die lange anhielt", so der Facharzt für Dermatologie.
Etwa 1,4 Millionen Menschen sind in Deutschland von Haarausfall betroffen, bei etwa gleicher Verteilung auf die Geschlechter. Generell könne der kreisrunde Haarausfall Menschen aller Ethnien und jeden Alters betreffen. So war der jüngste seiner geschätzt 2.000 Patienten, die er in all den Jahren betreute, 18 Monate alt – die älteste Patientin 83 Jahre, erzählt Prof. Lutz. Medizinisch gelte, wie bei so ziemlich allen Krankheiten, der alte Wahlspruch: „Wehret den Anfängen".
Der Haarspezialist zieht den bildhaften Vergleich, dass die T-Lymphozyten wie ein Schlägertrupp daherkämen, bei dem es gelte, ihn zu vertreiben, woanders hinzulocken oder die Moral der Truppe so zu verändern oder zu zersetzen, dass die ursprüngliche Intention – die Haarfollikel anzugreifen – verloren gehe. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, das Haarwachstum allgemein zu stimulieren und das Immunsystem zu stärken. Das Vertreiben erfolge durch die Kortison-Therapie, das Weglocken durch die Reiztherapie auf der Oberhaut und die Blockade und Zersetzung der Truppe durch innerlich immunologisch wirkende Medikamente wie Biologika oder Zink. Zur allgemeinen Stimulation des Haarwachstums und zur Stärkung der körpereigenen Abwehr bietet sich auch die innerliche Zink-Therapie an. Aus seiner Sicht ergeben sich so vier Therapieansätze.
Die äußerliche Behandlung mit einem starken Kortison (Clobetasol), das beispielsweise als Creme und Lösung auf die Kopfhaut aufgetragen wird, kann problemlos auch bei Kindern erfolgen, während die Injektionen in die Kopfhaut aufgrund der Schmerzhaftigkeit meistens nur bei Erwachsenen möglich sind. Daneben gebe es noch die innerliche Zinktherapie mittels Tabletten. Nachdem die Kombination aus äußerlicher Kortison- und innerlicher Zinktherapie sehr gute Erfolge zeigte und nur geringe Nebenwirkungen aufwies, ist sie für Prof. Lutz seit Anfang der 90er-Jahre erste Wahl. Außerdem kann sie problemlos in jedem Alter eingesetzt werden. Dagegen kann die Reiztherapie mit chemischen Stoffen häufig nicht problemlos und vor allem nicht bei Kindern eingesetzt werden.
Zur Reiztherapie wird heutzutage Diphenylcyclopropenon (DCP) verwendet, eine chemische Substanz, die in der Chemie vorwiegend Analysezwecken dient. Dabei wird eine Kontaktallergie ausgelöst, durch welche die Immunzellen abgelenkt werden. Durch das erzeugte allergische Kontaktekzem werden die Entzündungszellen in die Oberhaut gelockt, so werden die Haarfollikel die T-Lymphozyten los und können ungehindert neue Haare produzieren. Einige Studien berichten von einer Erfolgsrate von bis zu 50 Prozent. Die Kosten für diese werden aber in der Regel nicht von den Krankenkassen übernommen.
Für Kinder und Jugendliche wird derzeit ein pflanzliches Extrakt erprobt
Was den Einsatz von Biologika betrifft, gibt es eine Reihe von möglichen, teils schweren systemischen Nebenwirkungen, obwohl die bisherigen Studien und Einzeltherapien zum Teil sehr gute Ergebnisse zeigten. Aber auch hier muss man sehen, wie lange der Therapieerfolg anhält und in welcher Ausprägung Rückfälle möglich sind. Außerdem sind diese Medikamente sehr teuer und bislang nur für andere Erkrankungen zugelassen. Ob sie in der Zukunft für eine äußerliche oder innerliche Therapie eine Zulassung bekommen, hängt von den Ergebnissen der klinischen Studien ab. Für Kinder und Jugendliche wird derzeit bei einer klinischen Studie auch ein pflanzliches Extrakt erprobt. Generell gelte, dass nur da ein Haarwiederwachstum möglich ist, wo noch lebensfähige Haarfollikel vorhanden sind.
Wenn Eltern betroffen sind, heißt dies nicht, dass ihre Kinder ebenfalls eine A. a. bekommen. Dennoch: Oftmals bleiben familiäre Probleme im Zusammenhang mit der Erkrankung. Und da Prof. Lutz viele solcher Fälle mitbekommen hat, rief er in seiner Zeit Mitte der 80er-Jahre als Assistenzarzt an der Klinik für Dermatologie und Allergologie der Universität Bonn die dortige Alopecia-areata-Sprechstunde ins Leben. Diese betreute er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter und später als Oberarzt erfolgreich bis zu seinem Ausscheiden fast zehn Jahre.
Aus der ursprünglichen Sprechstunde wurde in seiner Praxis eine allgemeine Haarsprechstunde für alle Patienten mit den unterschiedlichsten Formen des Haarausfalls. Aufgrund der großen Nachfrage gab es das Angebot über Jahre an drei Tagen pro Woche. „Von morgens bis abends", wie er erklärt. Dabei ging es nicht nur um medizinische Probleme, sondern auch beispielsweise um Fragen, wie man mit Einschulungen umgehe, wenn dem Kind Haare fehlten, wann und in welcher Form ein Haarersatz infrage komme oder wenn Partnerprobleme im Zusammenhang mit der Alopezie auftreten.
Dadurch, dass die Erkrankung Alopecia areata und die Thematik zu den Problemen ab Ende der 80er-Jahre immer öfter in den Medien zu sehen und zu hören waren und immer mehr Menschen Hilfe benötigten, kam es zur Idee der Gründung eines Selbsthilfevereins. Denn, so Prof. Lutz: „Ich kann medizinisch helfen, aber nicht immer zwischenmenschlich." So fungierte er 1990 als Mitinitiator des Selbsthilfevereins Alopecia areata Deutschland, der derzeit rund 1.100 Mitglieder hat, und ist seitdem auch ehrenamtlich im wissenschaftlichen Beirat tätig.
Prof. Gerhard Lutz ist Arzt im Ruhestand und veröffentlichte zahlreiche Artikel, Buchbeiträge, Vorträge und Präsentationen. Daneben betreute er Doktoranden zu trichologischen Themen, hat die Berechtigung zur Weiterbildung für Haut- und Geschlechtskrankheiten sowie Allergologie und bildete Assistenzärztinnen und -ärzte auf dem Gebiet der Dermatologie und Allergologie weiter. Er erstellte dermatologische und allergologische Gutachten. 1997 gründete er „Hair & Nail", eine Institution, die sich der klinischen Forschung, Fortbildung und Kommunikation widmet. Auch ist er seit mehreren Jahrzehnten Mitglied in der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft und dem Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen sowie in der European Hair Research Society und der European Nail Society.