Peking hat die Corona-Pandemie besser bewältigt als Europa und die USA
In der Corona-Pandemie stehen die Zeichen auf Entschleunigung und Beschränkung. „Shutdown" und „Lockdown" sind die neuen Zauberwörter. Die Mobilität schrumpft auf ein Minimum, das Naheliegende ist Trumpf.
Doch wie kontrolliert man die Jahrhundert-Seuche, und wie merzt man sie aus? Europa, das auf seine Technologie, seine demokratischen Standards und seine Werte stolz ist, gibt hier kein gutes Beispiel ab. Es fehlt die ruhige Hand bei der Steuerung der Krise. Stattdessen verfolgt jedes Land seine eigene kurzatmige Politik – und wird von der zweiten Welle überrollt.
Die Herkulesaufgabe Corona darf jedoch nicht nur mit nationalen Scheuklappen betrachtet werden. Die Welt schaut genau hin, wer am besten mit dieser Herausforderung klar kommt und zieht ihre Schlüsse daraus. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dies erkannt. „Wie wir auf europäischer Ebene mit der Pandemie umgehen, (…) das wird auch maßgeblich beeinflussen, wie die Leistungsfähigkeit Europas und damit die Legitimität unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems weltweit beurteilt werden", warnte Merkel. Europa stehe in einem harten globalen Wettbewerb.
Die Antipoden in diesem Corona-Wettbewerb sind Amerika und China. Die US-Regierung unter Donald Trump hat bei Diagnose und Remedur sträflich versagt. Es ist ein moralischer und politischer Total-Bankrott. Der gewählte Präsident Joe Biden wird seine ganze Energie darauf verwenden müssen, die medizinische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Misere der Trump-Jahre einigermaßen zu heilen. China, wo die Pandemie ihren Ursprung hatte, war völlig am Boden. Das Land hat nach gewaltigen Kraftanstrengungen einen Sprung gemacht. Es ist wie beim chinesischen Wort für „Krise" („weiji"), das aus zwei Schriftzeichen besteht – eines für „Gefahr" („wei") und eines für „Chance" („ji"). Jede Krise birgt also zwei Möglichkeiten in sich: Scheitern und Erfolg. Peking hat die Gelegenheit genutzt.
Nach der Unsicherheit und den Vertuschungsversuchen lokaler Behörden intervenierte die Zentralregierung mit einem brutalen Lockdown. Nicht nur die Millionen-Metropole Wuhan, wo sich das Virus vermutlich auf einem Fischmarkt ausgebreitet hatte, wurde praktisch dichtgemacht. Auch kleinere Orte mit lokalen Ansteckungen wurden sofort abgeriegelt.
Öffentliche Debatten über die Einschränkung von Freiheitsrechten: Fehlanzeige. Die Volksrepublik ist ein autokratisch durchdeklinierter Staat. Auf der Demokratie-Skala westlichen Typs rangiert Peking ganz unten. Aber die Infektionszahlen wurden gegen null gedrückt. Restaurants, Bars und Discos sind seit Wochen wieder offen. Die Unternehmen fuhren die Produktion wieder hoch – sehr zur Freude der deutschen Exporteure übrigens. Im dritten Quartal verzeichnete China im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bereits ein Wirtschaftswachstum von 4,9 Prozent. Für das Gesamtjahr prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF) ein Plus von 1,9 Prozent.
Man kann Peking mit guten Gründen als quasi-diktatorischen Machtapparat kritisieren. Doch das Riesenland in Fernost hat einen Plan – in Brüssel oder Washington ist dies nicht zu erkennen. China hat es geschafft, zwischen 400 und 500 Millionen Menschen aus der Armut in die Mittelklasse zu hieven.
Mit der gleichen Zielstrebigkeit arbeitet die Volksrepublik an ihrer globalen wirtschaftlichen Expansion. Das Mega-Infrastruktur-Projekt der „Neuen Seidenstraße" gehört dazu. Am Sonntag haben 15 Länder von Japan bis Neuseeland das größte Freihandelsabkommen der Erde (RCEP) unterzeichnet. Es umfasst 2,2 Milliarden Menschen und 30 Prozent des Welthandels. China ist Teil des Ganzen, trotz des Unmuts von einigen Nachbarstaaten über seine Dominanz. Trump hat auch hier die Zeichen der Zeit nicht erkannt. 2017 zog er bei dem noch von Barack Obama angestoßenen transpazifischen Handelsvertrag TPP den Stecker. China profitiert von der Blindheit des „America-First"-Populisten.
Ja, der Westen muss Position beziehen gegenüber Pekings militärischen Muskelspielen im Südchinesischen Meer. Das Gleiche gilt für die Einschüchterungs-Kampagnen in Hongkong und Taiwan. Oder die Abschottung eigener Märkte gegen ausländische Firmen. Aber nur den moralischen Zeigefinger zu heben reicht nicht. Europa mangelt es an strategischer Klarheit und Stärke.