Red Bull Salzburg ist eine der größten Talentschmieden des europäischen Fußballs. Als klassischer Ausbildungsverein steht der Verein aber Jahr für Jahr vor einem Neuaufbau.
Für Red Bull Salzburg ist die aktuelle Champions-League-Saison eine Achterbahnfahrt. Gegen die Topclubs Atletico Madrid und FC Bayern München spielten die Österreicher lange Zeit stark mit, nur um dann am Ende mit leeren Händen den Platz zu verlassen. Der Verlauf dieser Partien schien sinnbildlich für die Salzburger, die zwar in Europa respektiert werden, in Fankreisen aber nicht sonderlich beliebt sind. Den Respekt haben sie sich hart erarbeitet. Mit einem ausgereiften Scouting-Netzwerk und durchdachten Ausbildungsstrukturen, in die auch der FC Liefering als Art Reservemannschaft involviert ist, schafften es die Österreicher, viele Talente nach Salzburg zu locken. Einige dieser Talente sind Erling Haaland, Sadio Mané, Dayot Upamecano, Naby Keita und Takumi Minamino. Manche dieser in Salzburg ausgebildeten Spieler sind danach zum Schwesterverein RB Leipzig weitergezogen. Das ist auch einer der Gründe, warum dieses Konstrukt zwar respektiert wird, aber nicht beliebt ist. Genügend Spieler sind auch zu anderen Top-Clubs gewechselt. Salzburg hat sich als Edel-Ausbildungsverein in Europa neben einem Verein wie Ajax Amsterdam etabliert.
Schattenseiten gibt es bei Ausbildungsvereinen aber auch. Jedes Jahr verlassen die besten Spieler den Club, wie beispielsweise Haaland, der sich nach atemberaubenden Auftritten in der Champions League gen Dortmund verabschiedete. Die Verantwortlichen bemühen sich zwar immer wieder, neue Talente heranzuführen, um das hinterlassene Vakuum der Spieler zu füllen. Eine echte Identität dabei herauszuarbeiten fällt aber schwer. Denn ein Neuanfang folgt dabei immer dem Nächsten. Aktuell spielt Salzburg erst zum zweiten Mal in der Champions League, nachdem sie zuvor elfmal in der Qualifikation gescheitert sind. Die Kader damals wiesen aber mehr Potenzial auf als der heutige.
Das aktuelle Team des österreichischen Meisters zeichnet sich eher durch starken Kampfgeist aus als durch das Besondere der vergangenen Jahre. Dominik Szoboszlai und Patson Daka sind im aktuellen Kader die größten Talente, um beide ranken sich jetzt schon Gerüchte über einen Abschied. Szoboszlai soll schon in Leipzig auf dem Zettel stehen.
Der besondere Stil ist weg
Doch selbst diese beiden können in den internationalen Spielen kaum den Unterschied machen wie im vergangenen Jahr Erling Haaland. Bei einem tiefer gehenden Blick auf den Fußball der Salzburger fällt auf, dass der besondere Stil abhandengekommen ist. Viele Jahre waren besondere Persönlichkeiten wie Ralf Rangnick, Roger Schmidt oder Marco Rose für die spielerische Identität der Salzburger und Leipziger zuständig. Bekannt wurden die Bullen für ihre intensive Spielweise mit aggressivem Pressing.
Julian Nagelsmann legt seinen Fokus in Leipzig auf gepflegten Ballbesitz, Salzburg-Coach Jesse Marsch ist bei seiner Mannschaft darauf bedacht, mehr Balance ins Spiel zu bekommen. Marsh, ein US-Amerikaner, war dreieinhalb Jahre beim anderen Schwesterverein aus New York angestellt, ehe er in Salzburg aufschlug. „In Salzburg oder Leipzig gibt es vielleicht nicht die Tradition wie bei Schalke oder Rapid Wien, aber wir haben auch eine Fußballkultur. Allein schon durch die Art, wie wir spielen, wie wir mit Spielern umgehen oder durch unser Scouting", sagt er.
Marsch kennt die Identität des gesamten RB-Imperiums, muss aber einen schweren Mittelweg finden. Durch die Abgänge und die besondere Favoritenrolle in der heimischen Liga muss Marsch eine Mischung aus aggressivem Verteidigen und konstruktivem Passspiel finden. Daraus resultiert, dass die besonderen Momente im Spiel der Salzburger seit einigen Monaten ausbleiben. Die Österreicher agieren in einem 4-2-3-1-System weniger aggressiv, teilweise abwartend und haben gleichzeitig Probleme, den Ball flüssig nach vorne zu bewegen. Das große Problem dabei: Mit großen personellen Veränderungen wird es immer schwerer, langfristig eine Philosophie umzusetzen und weiterzuentwickeln. Teilweise scheint es so, als befände sich RB Salzburg in einer kleinen Sinnkrise. Die Suche nach einer neuen Identität ist dabei das Hauptproblem. Marsch spricht immer noch von der alten Identität: Aggressivität und Intensität seien Hauptbestandteil des RB-Fußballs. Berühmt wurde Marsch so richtig, als eine Kabinenansprache von ihm im Internet auftauchte. In der Halbzeitpause des Champions-League-Spiels gegen den FC Liverpool an der Anfield Road sagte er seinen Spielern unter anderem: „This is nicht ein fucking Freundschaftsspiel!"
Spätes Debakel gegen Bayern
Der 46-Jährige lebt das vor, was er auch von seinem Team erwartet, nämlich Mentalität und Siegeswille. Im Spiel gegen den spanischen Topclub Atletico Madrid kam der unbedingte Wille zum Vorschein. Spielerisch mithalten konnten sie nicht, sie kamen eher über den Kampf – und verloren das Spiel am Ende. Das gleiche Bild zeichnete sich gegen den FC Bayern ab. Sie kämpften lange mit der derzeitigen Übermannschaft Europas. Am Ende verloren sie mit 2:6. Dieses Ergebnis fiel nach dem Gezeigten definitiv zu hoch aus – die Probleme offenbarte es trotzdem. Ballbesitzphasen, in denen die Mannschaft mal durchschnaufen konnte, gab es keine, der späte Einbruch war die Folge.
Wehmütig geht der Blick auf die Mannschaften der vergangenen Jahre zurück, die teilweise spektakulär in den Qualifikationsrunden gescheitert sind. Hypothetisch wären das Mannschaften gewesen, die auch spielerisch mit den Großen hätte mithalten können – oder zumindest in gewissen Momenten mit mehr als Kampf aufwarten könnten. Die Überraschungsmannschaft der vergangenen Jahre ist Salzburg nicht mehr, das heutige Salzburg ist an seine Grenze gelangt. Mehr ist bei ständigem personellen Aderlass und Neuaufbau einfach nicht machbar.