Neu sind die kleinen Taschen beileibe nicht. Doch seit Bottega-Veneta-Chefdesigner Daniel Lee mit „The Pouch" gewissermaßen den begehrten Prototypen einer vormaligen Abendtasche im XL-Format geschaffen hat, hat ein wahrer Hype um die Daytime Clutches eingesetzt.
Name: „The Pouch", Pseudonym: „Daytime Clutch". Besondere Merkmale: Soft und fluffig dank butterweichem Kalbsleder in Gestalt einer Regenwolke. Bewertung: Seit ihrem Start 2019 die am schnellsten und häufigsten jemals verkaufte Handtasche des Kering-Konzerns, zu dem nicht nur das für die „Pouch" verantwortliche Label Bottega Veneta, sondern auch die mega-angesagten Marken Gucci oder Balenciaga gehören. Kein Wunder, dass die renommierte italienische Modejournalistin Anna Dello Russo die „Pouch" als das wohl begehrteste Accessoire-Kultobjekt – als „must-have item" des Jahres 2020 – bezeichnet hatte. „The Pouch" steht gewissermaßen für ein Comeback der It-Bag, deren Verschwinden in den letzten Jahren immer wieder propagiert worden war. Es gibt sie in verschiedenen Ausführungen und Farben von Schwarz bis Pink oder vom markentypischen Intrecciato-Webleder bis hin zu Metallic-Leder. Dabei ist das softe Material geschickt über den Taschenrahmen drapiert, wodurch ein rund-voluminöser Gesamteindruck erzielt wird.
„Alles in allem wirkt sie sehr modern", so die „Vogue", „spiegelt aber auch die lange Tradition der Lederverarbeitung, für die Bottega Veneta berühmt ist." Dass einige andere Brands mit Maison Margiela an der Spitze etwa zur gleichen Zeit ähnliche Bags aus soften Materialien auf den Markt gebracht hatten, war angesichts des Hypes um „The Pouch" völlig untergegangen. Sie wurden hierzulande allesamt beispielsweise vom Magazin „InStyle" lediglich unter dem Terminus Soft Bags subsumiert, obwohl damit keine Abgrenzung zu anderen fluffigen Modellen wie den Pillow Bags möglich war.
Etwas überraschend ist, dass der Begriff Daytime Clutch derzeit vergleichsweise selten in Publikationen auftaucht, meist nur in direktem Zusammenhang mit „The Pouch", aber in der Regel nicht zur Bezeichnung eines allgemeinen Trends. „Harper’s Bazaar" macht diesbezüglich eine löbliche Ausnahme, während ansonsten am häufigsten von „XL-Clutches" gesprochen wird. Dabei ist der Begriff Daytime Clutch schon seit einigen Jahren in der Handtaschenmode eingeführt. Speziell in den Jahren 2012 und 2013 waren jede Menge Taschen mit der gleichen Bezeichnung beispielsweise aus den Häusern Balenciaga, Céline, Givenchy oder von Stella McCartney auf den Markt gekommen. Eine Clutch im Oversized-Format ist 2020/2021 mithin keine revolutionäre Neuerfindung. Doch der Überraschungserfolg von „The Pouch" hatte schon im Sommer 2020 eine ganze Reihe renommierter Labels wie Givenchy, Miu Miu, The Row, Dries Van Noten, Boss oder Alexander McQueen dazu veranlasst, ähnliche Modelle zu lancieren. So mancher Designer hatte es nicht so genau mit der überlieferten Clutch-Definition als Henkel- oder gurtloses Teil genommen und daher die eine oder andere Griffmöglichkeit zugefügt. Auch folgten bei Weitem nicht alle Marken der Soft-Material-Doktrin à la Bottega Veneta, sondern entschieden sich stattdessen für festere strukturiertere Varianten.
Mehr als nur ein vornehmes Abendtäschchen
Im Winter 2020/2021 versucht Bottega Veneta seine Vormachtstellung in Sachen Daytime Clutch natürlich zu behaupten, beispielsweise durch ein Update der „Pouch" im gewebten Intrecciato-Leder in Limettengrün, durch die „Chain Pouch" oder die Padded-Abwandlung „Chain Cassette". Beim Luxusmarken-Versender luisaviaroma.com wird derzeit noch eine solch große Auswahl von Modellen angeboten, dass frau mit etwas Glück, dem nötigen Geldbeutel-Inhalt und rechtzeitiger Order vielleicht noch eine der heiß begehrten Taschen erobern kann. Loewe hat sich für weiche Daytime Clutches aus Leder oder Wildleder in Erdtönen entschieden, die an den Ecken mit goldenem Zierat aufgehübscht sind. Auch das Label Ralph & Russo setzt auf softe Oversize-Clutches, die außerdem repräsentativ in den Winter-Kollektionen von Prada, Alexander McQueen, Isabel Marant, Missoni oder Alexander McQueen vertreten sind.
Clutches allgemein und Daytime Clutches ganz besonders sind wenig tragefreundlich. Von der gefeierten Händefreiheit muss frau sich damit zwangsläufig verabschieden, sofern sie sich nicht für einen Hybriden mit Griffkomfort entscheiden möchte. Gurte oder Schnallen waren in der frühen Hochzeit der Clutches in den Goldenen Zwanzigern und den 1930er-Jahren absolut verpönt gewesen, hätten sie doch die Festlichkeit und den Glamour der Abendgarderobe zerstört. Damalige Hollywood-Stars pflegten Clutches-Luxus-Varianten namens „Minaudière" zu tragen, die aus Gold oder Silber gearbeitet und mit kostbaren Steinen geschmückt waren. Charles Apels gilt seit 1930 als Erfinder der „Minaudière", die es heute auch noch für die Reichen und Schönen dieser Welt von relativ unbekannten Special-Interest-Marken wie Judith Leiber, Edie Parker, Nathalie Trad, Kotur, Rauwolf, Serpui oder Lee Sauvage gibt.
Für die „Kuverttaschen" oder „Unterarmtaschen" aus feinem Leder, wie die Clutches seinerzeit in deutschen Landen noch genannt wurden, war damals Hermès stilbildend. Für die weniger gut betuchte Dame gab es auch schon erste Modelle aus günstigeren Materialien wie frühen Kunststoffen à la Bakelit, die gerne gekauft wurden, weil sie wegen ihrer möglichen Farbenvielfalt perfekt zu verschiedenen Outfits kombiniert werden konnten. Während des Krieges verschwanden die Clutches komplett von der modischen Bildfläche und erlebten erst mit Christian Diors „New Look" 1947 ihr erstes Comeback. Mit dem Vormarsch der Damen in die Arbeitswelt gerieten die Clutches wieder ins Hintertreffen, da die Ladys größere und praktischere Taschen im Berufsleben benötigten. In den 1960er-Jahren tauchten die Clutches dann als modisches Accessoire zu den Mini-Röcken wieder auf, um in den folgenden Dekaden eigentlich nur noch bei festlichen Anlässen wie Hochzeiten oder Opernbesuchen aus dem Kleiderschrank hervorgeholt zu werden. In den Nullerjahren wurden Clutches nicht zuletzt dank Carrie Bradshaw und Co in „Sex and the City" und des Designers Alexander McQueen wieder Kult für die nächtlichen Partybesuche. Doch erst dank Daniel Lee und Bottega Venetas „The Pouch" kann die Clutch an ihre 100 Jahre zurückliegenden Glanzzeiten anknüpfen, jetzt aber nicht mehr nur als vornehmes Abendtäschchen in Miniatur-Format, sondern in Oversize-Gestalt.