Alba Berlin hetzt durch den Wettkampfkalender, der Mannschaft fehlt es dadurch noch an Konstanz. Doch die Spieler wollen die Belastung nicht als Ausrede benutzen.
Aíto García Reneses hatte es in den letzten Wochen schwer. Die coronabedingte Terminhatz machte dem 73-Jährigen zu schaffen, auch wenn er nicht auf dem Parkett hin- und herflitzen und Bälle im Korb versenken musste. Auch das Coaching ist anstrengend, die vielen Reisen sowieso. Und deshalb war der Spanier nach dem 97:74 (48:38)-Heimsieg gegen die Telekom Baskets Bonn am vergangenen Sonntag gleich doppelt froh: zum einen über den dritten Sieg im dritten Bundesligaspiel, und zum anderen über die höchst seltene Aussicht, in der Woche darauf nur ein Spiel absolvieren zu müssen. „Das tut uns gut", sagte Reneses. „Wir werden die Zeit nutzen, um zu trainieren und uns zu verbessern." Der Altmeister, der immer großen Wert auf die Spiel- und Spieler-Entwicklung legt, musste in den vergangenen Wochen so viel improvisieren wie nie zuvor in seiner Karriere. An Automatismen oder gar an den Feinheiten zu feilen – völlig utopisch. Umso zufriedener war der Trainer, dass sein Team im achten Spiel innerhalb von 18 Tagen so konzentriert und energisch zu Werke gegangen war.
Die Bonner witterten am vergangenen Sonntag zwar ihre Chance und hielten die Partie bis zur Halbzeit einigermaßen offen, doch danach fand der Deutsche Meister mehr und mehr seinen Rhythmus und dominierte am Ende die Partie. Die Wurf-Quoten von 67 Prozent aus dem Feld und 42 Prozent von der Dreierlinie belegten dies. Auch die Rebound-Statistik (38:29) sprach klar für die Gastgeber. „Wir haben schnell unseren Fokus und unsere Einstellung gefunden. Das ist bei so vielen Spielen und so wenigen Trainingseinheiten nicht einfach", sagte Reneses. Er zollte seinen Spielern großen Respekt, dass sie die Situation so professionell annehmen und sie nicht als Alibi benutzen. „Das war der Schlüssel zum Sieg", meinte Reneses. „Wir haben über fast die gesamte Spielzeit gute Arbeit geleistet."
„Wir werden die Zeit nutzen, um zu trainieren"
Das traf vor allem auf Niels Giffey zu. Dem Kapitän gelang gegen Bonn ein nicht alltägliches „Double-Double" mit 17 Punkten und zehn Rebounds. Solch zweistellige Werte werden in den Basketball-Statistiken immer besonders beachtet, doch ausgelassen freuen konnte sich Giffey darüber nicht. Er war zu erschöpft von den Strapazen der Tage zuvor. Und daran wird sich so schnell nichts ändern – im Gegenteil. Nach der etwas entspannteren Woche mit nur einem Euroleague-Heimspiel gegen den russischen Club Khimki Moskau (26. November) geht es wieder Schlag auf Schlag für Alba: Danach warten international Mailand (1. Dezember) sowie Valencia (3. Dezember) und in der Bundesliga Bayreuth (6. Dezember). Danach geht es im Zwei- oder Drei-Tages-Rhythmus weiter. Selbst an den Feiertagen werden Giffey und Co. kaum Gelegenheiten zum Ausruhen gewährt: Zwei Tage vor Heiligabend (in Madrid) und am zweiten Weihnachtstag (bei Mitteldeutscher BC) müssen die Profis aufs Parkett.
Dass unter dieser enormen Belastung die Spielqualität mitunter leidet, ist nur zu menschlich. „Es ist schwer, jetzt den Fokus konstant hochzuhalten, weil wir so viele Spiele haben", sagte Giffey. Auf ein gutes Spiel folgt in diesen Tagen oft ein schwächeres. Alba ist nicht in der Lage, jede Partie mit vollem Energielevel zu spielen. Vollkommen verständlich, alles andere würde auch große Skepsis nach sich ziehen. Nach dem Kraftakt vergangene Woche Mittwoch in der Euroleague zum Beispiel, als Alba gegen den französischen Vertreter Asvel Villeurbanne die drohende Heimpleite mit einem famosen Schlussspurt noch abgewendet und mit 76:75 gewonnen hatte, blieben den geschlauchten Spielern nur 48 Stunden zur Regeneration.
„Es ist schwer, jetzt den Fokus konstant hochzuhalten"
Zu wenig für Zenit St. Petersburg. Das russische Spitzenteam nutzte Albas physische Schwäche aus und nahm die Punkte dank eines 66:73 mit auf die Heimreise. „Unsere Offensive ist nie richtig ins Laufen gekommen", sagte Forward Luke Sikma hinterher. „Es gibt viele Dinge, an denen wir arbeiten können." Doch die Frage ist: Wann? Zeit zum Trainieren hat das Team so gut wie keine, eine Spielvorbereitung besteht zurzeit meist nur aus Regeneration. Die Kräfte müssen gut eingeteilt werden, zumal Alba wegen der 17-tägigen Corona-Zwangspause zu Beginn der Saison keine allzu großen Kraftreserven aufbauen konnte. „Ja, es sind viele Spiele, ja, wir sind müde, aber das darf keine Ausrede sein", sagte Nationalspieler Johannes Thiemann. Innerhalb des Teams hat man sich darauf geeinigt, die extreme Situation als Herausforderung anzunehmen und sich nicht herunterziehen zu lassen. Man wolle immer „mit Intensität und Stolz" spielen, bestätigte Sikma – wohlwissend, dass dieser Anspruch nicht immer ganz zu halten sein wird.
Was hilft, sind souveräne Siege wie der gegen Bonn am vergangenen Sonntag, bei denen die Mannschaft vielleicht nicht über die gesamte Spielzeit an ihr Limit gehen muss, sondern zwischendurch auch mal einen Gang runterschalten kann. „Wir sind dabei, unseren Spielrhythmus wiederzufinden", stellte Kapitän Giffey zufrieden fest. Sikma gefiel vor allem das dritte Viertel, das die Berliner mit 30:12 gewannen: „Da haben wir den Ball sehr gut bewegt und waren auch in der Verteidigung sehr aufmerksam." Der Sieg beeindruckte auch Marcus Eriksson auf seinem Stuhl an der Seitenlinie. Der schwedische Shooting Guard ist noch einige Wochen zum Zuschauen verdammt, nachdem er sich im Duell gegen St. Petersburg vergangene Woche Freitag eine schwere Bänderverletzung im linken Sprunggelenk zugezogen hatte. Lorenz Brenneke, der aufgrund einer Doppellizenz auch in der drittklassigen ProB für Lok Bernau auflaufen darf, muss wegen der gleichen Verletzung in den kommenden Woche pausieren. Schwerwiegender ist aber der Ausfall von Eriksson. Er hatte in jüngster Vergangenheit als treffsicherer Distanzschütze und kommandostarker Anführer auf dem Parkett überzeugt. Der 26-Jährige war im Spiel gegen die Russen unglücklich umgeknickt. Ob die Verletzung auch von den enormen Belastungen herrührt, ist sicher spekulativ. Doch im Basketball nehmen genau wie in anderen Sportarten die Verletzungen zu, Experten begründen dies mit der mangelnden Regeneration und einer abnehmenden Reaktionsschnelligkeit bei den Profis.