Mit seinem zehnten Saisonsieg hat Lewis Hamilton in der Türkei vorzeitig seinen siebten WM-Titel in der Formel 1 perfekt gemacht. Damit hat er die Bestmarke von Michael Schumacher eingestellt. Am Sonntag steht der erste von zwei WM-Läufen in Bahrain auf dem Programm.
Sonntag, 15. November 2020: Dieser Tag geht in die Formel-1-Historie ein. Um 14.55 Uhr Ortszeit (12.55 Uhr MEZ) kreuzte Lewis Hamilton im Istanbul Park als Erster die Ziellinie. Der Mercedes-Starpilot hatte beim Großen Preis der Türkei seinen zehnten Saisonsieg eingefahren. Es war gleichzeitig der 94. Triumph in seinem 264. Grand Prix, der den siebten WM-Titel bedeutet. 16 Jahre nach Michael Schumachers WM-Rekord am 29. August 2004 in Spa/Belgien hat der Brite dessen unerreichbar scheinende Bestmarke geknackt. „King Lewis" avancierte zum „Formel-1-Kaiser". Erster Gratulant bei Hamilton war Ferrari-Pilot Sebastian Vettel, der sensationell Dritter wurde. Dazu später mehr.
Es ist also vollbracht: Drei Rennen vor Saisonende hat Hamilton in der Türkei den Sack zugemacht, seinen ersten Matchball zum siebten Formel-1-Titel verwandelt. „Ich bin sprachlos. Die Reise bis hierher war einfach unglaublich. Ich bin so stolz darauf, dass wir es als Team geschafft haben. Ich habe davon geträumt als ich klein war, aber das hier übertrifft meine wildesten Träume", so ein sichtlich gerührter Weltmeister nach seiner Siegesfahrt. An die Jugend richtete er die Botschaft: „Zweifle nie an dir. Gib nie auf, dein Ziel zu erreichen, dann schaffst du es. Man kann alles schaffen."
Um die notwendigen Punkte für seinen siebten Titel einzufahren, hatte Hamilton noch vier Rennen Zeit. „Ich muss nicht alles in ein Wochenende, in einen Tag legen. Für mich ist es einfach ein weiteres Rennen, das ich genauso angehen muss wie in der Vergangenheit. Ich fokussiere mich einfach darauf, einen guten Job zu machen. Und ich möchte das Rennen gewinnen", so der Mercedes-Pilot vor dem Türkei-Grand-Prix. Um im Istanbul Park erfolgreich zu sein, genügte es Hamilton, vor seinem Mercedes-Teamgefährten Valtteri Bottas ins Ziel zu kommen. „Ich werde versuchen, Hamiltons Titel so lange wie möglich hinauszuzögern", kokettierte sein einzig verbliebener Titelkonkurrent.
„Das übertrifft meine wildesten Träume"
Dessen Hinauszögern war schnell beendet. Von Platz neun gestartet, war der Titeldrops schon nach dem Start gelutscht. Bottas drehte sich im Getümmel, erlebte im Laufe des Rennens ein wahres Dreher-Debakel, machte Fahrfehler und landete auf Platz 14. „Schon ab der ersten Runde war für mich alles schiefgelaufen", haderte der Finne nach seinem rabenschwarzen Tag, an dem er auch noch von Hamilton überrundet wurde – die absolute Höchststrafe. Für die Piloten wurde das Rennen auf der frisch asphaltierten, nassen und glitschigen Fahrbahn zu einer Rutschpartie mit Pirouetten, Surf- und Segelmanövern. Vor allem aber wurde der Eiertanz zu einem Reifen-Lotteriespiel in einem chaotischen, turbulenten und höchst unterhaltsamen Rennen.
Hamilton musste von dem für ihn ungewohnten sechsten Platz starten. Er galt als Außenseiter. Als Ausnahmepilot bewies er dann aber seine fahrerischen Qualitäten. Gleich nach dem Start machte Hamilton Positionen gut, hing lange Zeit hinter Vettel auf Platz fünf fest, kämpfte sich aber nach vorne. In der 37. von 58 aufreibenden Runden passierte es: Hamilton schnappte sich an der Spitze Sergio Perez im Racing Point. Die Messe war gelesen und die Wiese gemäht. Der Titelverteidiger führte das Rennen an, behielt die Übersicht, und brachte seinen zweiten Türkei-Sieg nach 2010 souverän vor Perez ins Ziel. Sein Sieg – ein Meisterwerk.
Der Mexikaner Perez und sein kanadischer Teamkollege Lance Stroll sorgten für die Sensation am Bosporus. Stroll fuhr mit einer Monsterrunde erstmals auf Startplatz eins. Eine pinke Poleposition, ein pinkfarbener Rennbolide ganz vorne, vor dem Red Bull von Max Verstappen. Und Perez auf Platz drei. Stroll: „Die Pole war das Highlight meiner Karriere." Im Rennen hielt die Sensation und das Highlight dann bis zu Runde 36. Der Milliardärssohn kontrollierte das Geschehen von der Spitze aus. Nach seinem zweiten Reifenwechsel, der sich als Fehler erwiesen hatte, stürzte der Führende bis auf Rang neun ab. Stroll wurde zum tragischen Helden. Dabei hat Racing Point über weite Strecken von einem Doppelsieg geträumt. Verstappen verbockte seinen Start, blieb auf Platz zwei wie angeklebt fast stehen, leistete sich später einen Abflug, drehte sich mehrmals, unter anderem bei einer ungestümen Attacke auf Perez. Der Heißsporn landete lediglich auf Rang sechs hinter Carlos Sainz im McLaren. Stroll und Verstappen waren die Verlierer des Tages.
Gewinner des Tages waren – neben Weltmeister Lewis Hamilton natürlich – die beiden Ferrari-Piloten Sebastian Vettel und Charles Leclerc. Mit Platz drei und vier feierten die Roten eine Wiedergeburt. Eine Auferstehung. Es war das beste Saisonergebnis. Und das nach einer erneut verkorksten Samstags-Qualifikation. Leclerc pflügte mit seinem roten Boliden von Startplatz zwölf durchs Feld, wurde am Ende Vierter. Vettel schoss mit einem Raketenstart von Platz elf auf Position vier vor. Über das gesamte Rennen hielt sich der Hesse, der seine fahrerische Klasse mit beeindruckender Leistung demonstrierte, in der Spitzengruppe. In einer dramatischen Schlussrunde fing Vettel den Drittplatzierten Leclerc nach dessen Verbremser in der letzten Schikane noch ab und wurde Dritter. Der Jung-Star musste sich zähneknirschend mit Rang vier zufriedengeben. Ferraris aussortierter Alt-Star erklärte: „Der Start war der Schlüssel. Ich habe mich auf den Regenreifen sehr wohl gefühlt. Es war ein intensives Rennen mit viel Spaß. Ein lustiges Rennen bei schwierigen Verhältnissen. Das war auch ein Tag für erfahrene Fahrer." Sichtbar erleichtert gestand Vettel: „Es ist schön, nach einer so langen Durststrecke wieder ein Erfolgserlebnis zu haben. Aber ich habe auch in der schlechten Phase immer an mich geglaubt und in meine Fähigkeiten vertraut." Dennoch sei es für ihn überraschend gewesen, aufs Podium gefahren zu sein. Nach 385 Tagen (Mexiko 2019) und 17 Rennen stand der Noch-Ferrari-Pilot erstmals wieder auf dem Podium. Für Vettel war der Podestplatz in seiner Seuchensaison das erste Highlight in einem Jahr voller Rückschläge.
Für den jetzt siebenmaligen Weltmeister Hamilton war die Saison 2020 „eine Herausforderung, von der ich nicht wusste, wie ich sie meistern sollte. Aber mit der Hilfe der großartigen Menschen um mich herum, mit der Hilfe meines Teams, habe ich mich über Wasser gehalten und bin konzentriert geblieben. Ich hoffe, dass wir nächstes Jahr ein besseres Jahr erleben werden. Ich würde liebend gerne bleiben, ich habe das Gefühl, dass hier noch viel Arbeit vor mir liegt", so Hamilton in der Mercedes-Presseerklärung. Lob und Anerkennung erfährt er von höchster Stelle. Ola Källenius, Vorsitzender des Vorstandes der Daimler AG und Mercedes-Benz AG: „Sieben WM-Titel – was für eine überragende Leistung! Lewis ist einst als junges Kart-Talent zu uns gestoßen. Heute ist er einer der besten Fahrer aller Zeiten."
„Einer der besten Fahrer aller Zeiten"
Die komplette Formel-1-Familie zieht den Hut und verneigt sich vor dem Rekord-Champion. Aktuelle und ehemalige Fahrer, Teams und Verantwortliche gratulierten zum siebten Titel. Sebastian Vettel, der sich als Erster zu Wort meldete: „Ich habe zu ihm gesagt: Wir schauen dir heute zu, wie du Geschichte schreibst." Seine Erfolge werden lange Zeit bestehen. Er hat dies alles verdient. Es ist bewundernswert. Aber er ist noch nicht fertig. Man kann ihm nur gratulieren. Nico Rosberg, der Hamilton 2016 den Titel entriss und dann zurücktrat, twitterte: „Sieben Mal Weltmeister – das ist verrückt. Massiv verdient! Sicherlich eine der größten Errungenschaften in der Geschichte des Sports. Herzlichen Glückwunsch!"
Hamilton hat in der Formel 1 neue Maßstäbe gesetzt, eine Bestmarke nach der anderen ausgehebelt. Er hat die meisten Siege, die meisten Podestplätze, hat Rekorde egalisiert und manchen jagt er noch hinterher. Nicht mehr Schumacher allein ist nun die ultimative Messlatte für folgende Rennfahrergenerationen. Hamilton steht auf Augenhöhe. Und kann den Titel-Rekord in Zukunft noch ausbauen – als Alleinstellungsmerkmal, wenn er der Formel 1 erhalten bleibt. Und einen Mercedes-Rennwagen steuert.
Die nächste Steuerfahrt ist am Sonntag (16.10 Uhr MEZ RTL/Sky) in Bahrain. In der Shakir-Wüste startet der letzte Dreierpack der Saison. An drei aufeinanderfolgenden Wochenenden werden die letzten drei Rennen ausgefahren. Nach dem ersten Lauf in Bahrain folgt eine Woche später (6. Dezember, 18.10 Uhr MEZ RTL/Sky) in der Wüste Lauf zwei, allerdings auf einer anderen Streckenvariante. Das Finale wird dann am Sonntag, 13. Dezember (14.10 Uhr MEZ RTL/Sky), in Abu Dhabi ausgefahren.