Die Gesellschaft zur Förderung des Saarländischen Kulturbesitzes erfand das Format „Kunst in Quarantäne", das per E-Mail versandt wird. Aus dem coronabedingten Projekt ist ein Buch entstanden. Hier ein Beispiel daraus.
August Macke (1887–1914)
August Mackes Gemälde „Sturm", das 1955 für das Saarlandmuseum erworben wurde, entstand im Oktober 1911 während eines Besuches von Macke bei seinem Freund Franz Marc in dessen Domizil im bayerischen Sindelsdorf. Hier malten die Künstlerfreunde gemeinsam auf dem Dachboden, zeitgleich entstand auch Marcs Gemälde „Gelbe Kuh" (heute im Solomon R. Guggenheim Museum in New York), das Macke wohl formale und farbige Anregungen für den „Sturm" lieferte. Das Gemälde zeigt eine abstrahierte Landschaft mit intensiv rotem Mittelgrund mit Bäumen, Pflanzen und einem See sowie dem gelben „Element" in der rechten Bildhälfte, das durch Marcs „Gelbe Kuh" angeregt sein mag. Alle Bildpartien sind durch den titelgebenden „Sturm" in Bewegung ergriffen. Üblicherweise sind Mackes Gemälde und Aquarelle gekennzeichnet von einer kontemplativen, idyllischen Bildsprache. Hier scheint Macke dem Entstehungszeitraum Tribut zu zollen: Sein „stürmisches" Gemälde ist dem Zeitgeist und dem etwa zeitgleich entstandenen Almanach „Der Blaue Reiter" mit seinem „geistigen Sturm" verpflichtet. Mackes „Sturm" war mit zwei weiteren Arbeiten in der ersten Ausstellung der Redaktionsgemeinschaft „Der Blaue Reiter" (1911/12) in der Münchner Galerie Thannhauser vertreten. Auch im 1912 erschienenen Almanach „Der Blaue Reiter" wurde es zu einem Text von Franz Marc mit dem Titel „Die ‚Wilden‘ Deutschlands" abgebildet. August Macke wurde Anfang August 1914 zum Kriegsdienst eingezogen und fiel wenige Wochen später am 26. September im Alter von 27 Jahren.
Begleitende Lyrik
Jakob van Hoddis (1887–1942)
Weltende
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es von Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Der 1887 in Berlin geborene jüdische Dichter Hans Davidsohn hat ein recht schmales Werk – bestehend aus einigen Gedichten und Prosaskizzen – hinterlassen, das vornehmlich in den Jahren 1909 bis 1913 entstand. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1909 änderte er seinen Namen und schrieb fortan unter dem Pseudonym Jakob van Hoddis, ein Anagram seines Nachnamens Davidsohn. Sein Gedicht „Weltende" erschien zum ersten Mal am 11. Januar 1911 in der Zeitschrift „Der Demokrat" und machte ihn schlagartig berühmt. Er hatte mit seinem aus nur acht Zeilen bestehenden Gedicht das Lebensgefühl der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg erfasst. Wie eindrücklich das Gedicht auf seine Zeitgenossen wirkte, hat etwa Johannes R. Becher viele Jahre später formuliert: „Diese zwei Strophen, o diese acht Zeilen schienen uns in andere Menschen verwandelt zu haben. Diese acht Zeilen entführten uns. Immer neue Schönheiten entdeckten wir in diesen acht Zeilen, wir sangen sie, wir summten sie, wir murmelten sie, wir pfiffen sie vor uns hin, wir gingen mit diesen acht Zeilen auf den Lippen in die Kirchen, und wir saßen, sie vor uns hin flüsternd, mit ihnen beim Radrennen." Jakob van Hoddis, der bereits ab 1912 wegen einer Psychose behandelt werden musste und in den folgenden Jahren bis Anfang der 30er Jahre häufig in Heilanstalten beziehungsweise in einer Klinik für Gemüts- und Nervenkranke untergebracht war, wurde im Jahr 1933 – nach Machtergreifung der Nationalsozialisten – in die einzige in Deutschland verbliebene jüdische Psychiatrie „Israelitische Kuranstalten der Doktoren Jacoby" in Bendorf-Sayn am Rhein eingeliefert. Von hier wurde er am 30. April 1942 abtransportiert und im Mai 1942 entweder im Vernichtungslager Belzec oder in Sobibor ermordet.