Über mangelnde Aufmerksamkeit können sie nicht klagen. Dafür sorgen die Verschwörungsanhänger und das ganze Umfeld schon. Eine rüde Zeiterscheinung der Pandemie – oder Spaltpilz der Gesellschaft und ernste Bedrohung der Demokratie?
Eine satanische Elite trinkt das Blut von Kindern. Na und? Ist mir doch egal, was die da unter meiner Scheibe in ihrem Deep State mit ihren Kindern machen. Hauptsache, mich findet hier oben keiner in meinem Bunkerversteck, um mich zur Zwangsimpfung abzuholen.
Darf man sich über Verschwörungstheorien lustig machen? Auf jeden Fall, wie ein Blick in Satiremagazine zeigt. Muss man derart krudes Zeug ernst nehmen? Fragt man die QAnons und Hildmanns dieser Welt: unbedingt ja. Ist es eine ernstzunehmende Bedrohung? Im Normalfall wohl kaum. Verschwörungstheorien gehören offensichtlich zum Menschen wie mythologische Gruselmärchen. Die Zeiten sind aber nicht normal. Der Verfassungsschutz jedenfalls nimmt das, was sich derzeit entwickelt im Zusammentreffen von Verschwörungstheoretikern, Reichsbürgern, Rechten bis Rechtsextremen sehr ernst und warnt vor einer Radikalisierung.
Das Wort Verschwörungstheorie selbst ist eigentlich eine Irreführung. Schließlich handelt es sich nicht um eine Theorie im Sinne überprüfbarer Thesen, sondern um das genaue Gegenteil. Dass das Wort zum Kampfbegriff geworden ist, wird vielfach auf eine Kampagne der CIA zurückgeführt. Der US-Geheimdienst prägte den Begriff Conspiracy Theory, in dem regierungskritische Inhalte und irrwitzige Spinnereien zusammengewürfelt und diskreditiert wurden. Damals glaubte fast die Hälfte der US-Amerikaner nicht an die Version, dass der beliebte Präsident John F. Kennedy Opfer des Einzeltäters Lee Harvey Oswald war. Folglich machten sich viele Spekulationen breit, die teilweise bis heute überdauert haben. Gehalten sich aber auch der Ansatz, vieles undifferenziert als Verschwörungstheorie zu diskreditieren und abzutun.
Genau das macht den Umgang heute so schwer, wo sich bei den regelmäßigen Großdemos gegen die Einschränkungen zur Pandemiebekämpfung die unterschiedlichsten Gruppierungen zusammenfinden, miteinander vermischen und allem Anschein nach gegenseitig hochschaukeln.
Ein paar Reichsbürger mit dem Geist von 1878 neben vergleichsweise jungen QAnons, radikale Impfgegner neben denen, die gegen Einzelmaßnahmen protestieren wollen, dazu politische Aktivisten und Agitatoren, denen alles recht kommt, was irgendwie gegen diesen Staat gerichtet ist und was sich zum Aufhetzen nutzen lässt.
Unsichere Zeiten als Nährboden für Demokratiegegner
Mit jeder einzelnen dieser Gruppen ließe sich womöglich noch irgendwie klarkommen, auch wenn sich zugegebenermaßen kaum ein Reichsbürger zum freiwilligen Eintritt in die „BRD GmbH" bewegen und kein radikaler Impfgegner davon überzeugen lässt, dass er nicht persönlich als Nächster auf der Liste von Bill Gates steht. Immerhin gibt es eine Vielzahl von Präventions- und Beratungsangeboten, um einem Abdriften in solche Sphären vorzubeugen. Allerdings steht auch die Prävention angesichts der sowohl zahlenmäßig wie qualitativ neuen Entwicklungen vor neuen Herausforderungen. Eine neue Qualität bringt zweifelfrei auch die neue Kommunikationswelt mit sich, vor allem, wenn es um Fragen der Deutungshoheit mit Blick auf die eigene Anhängerschaft geht. Die Szene beherrscht die neuen Medien. Deren Gesetzmäßigkeiten wirken wie ein Treiber der Radikalisierung. Je spektakulärer die Bilder, umso höher die Zahlen. Dabei geht es höchstens am Rande darum, mit den Aktionen den Sprung in „Tagesschau" und „Heute" zu schaffen. Die eigentlichen Zielgruppen werden durch eigene Kanäle intensiv bedient. Die Szene hat geradezu professionelle Medienstäbe, die ihr Handwerk verstehen und aus der „propagandistischen Gefahrenzone" „demokratisches Dokumentationsmaterial" liefern, wie FORUM-Hauptreporter Sven Bargel erlebt hat. Gegen diese „Information" ist kein Impfstoff in Sicht. Faktenchecks sind für diese Szene ohnehin nur Produkte der Mainstream-Maschinerie.
Spaltungstendenzen gehen aber auch von ganz anderen Ebenen aus, die zwar nicht auf der Straße, dafür aber auch im Netz spielen, und die eher künstlerische und wissenschaftliche Bühnen im Blick hat. „Cancel Culture" legt schon vom Begriff her nahe, dass es kaum um Integration und Diskurs gehen kann. Das zuletzt bekannteste Beispiel ist die Ausladung der österreichischen Kabarettistin Lisa Eckhart. Nicht der erste Fall, dass Veranstalter einem regelrechten Twittermob nachgegeben haben. Immer öfter erreichen derartige Aktionen die Absage von Veranstaltungen oder Ausladungen von Künstlern und Referenten, denen Verstöße gegen eine gewisse Correctness vorgeworfen werden. Die einen sehen darin eine Gegenwehr dagegen, dass Meinungsfreiheit als Legitimation für rechtes, sexistisches und diskriminierendes Gedankengut herhalten muss. Kritiker sprechen bereits von einer „Kultur des Mundtotmachens", warnen davor, Toleranz durch Intoleranz verteidigen zu wollen.
Unsichere und nervöse Zeiten sind immer auch eine Vorlage für Tendenzen zu Zersplitterung und Spaltung. Wer Orientierung sucht, braucht klare und eindeutige Verhältnisse. Und die gibt es am einfachsten durch Ab- und Ausgrenzung und eine klare Ansage, wo der Gegner, der Schuldige, der Feind steht. Das Muster ist hinlänglich bekannt. Eine Rezeptur gegen zumindest die krudesten Sinn-Angebote lässt auf sich warten. Notorische Impfgegner hätten ohnehin nichts davon. Der harte Kern ist nicht erreichbar.
Jede Verschwörungsthese hat irgendwo auch ein paar Fünkchen Wahrheit, die dann zu kruden Mustern zusammengebastelt werden. Für Verunsicherte kann daraus leicht ein plausibel erscheinendes Angebot zur Welterklärung werden. Wenn Prävention und Aufkläung etwas bewirken will, dann muss sie dort ansetzen, wo das Abdriften noch zu verhindern ist.