Die Corona-Pandemie hat Anthony Joshua lange gestoppt, nun kehrt der Schwergewichts-Weltmeister in den Ring zurück. Hochmotiviert – und mit einem klaren Ziel vor Augen.
Auch mit 54 Jahren macht Mike Tyson seinem Spitznahmen alle Ehre. „Iron Mike" ließ vor seinem Schaukampf in Los Angeles gegen Roy Jones Jr. am 28. November die Muskeln spielen, die Bilder seines gestählten Körpers sorgten weltweit in der Boxszene für Erstaunen. Tyson, der in fünf Gewichtsklassen Weltmeister war und auch aufgrund zahlreicher Skandale noch immer eine große Nummer ist, quälte sich im Gym aber nicht für die Rückkehr auf den Box-Thron. Er will vor allem Geld für karikative Zwecke sammeln – und deswegen forderte er auch die Besten der Besten heraus: Anthony Joshua, Deontay Wilder und Tyson Fury. „Ich finde, dass sie brillant sind, großartige Kämpfer. Sie könnten so viel Gutes tun, so vielen Menschen helfen. Denn das Publikum liebt sie", sagte Tyson. „Es ist Fakt: Ein Showkampf gegen mich – und das meiste Geld würde an Menschen gehen, die es verzweifelt brauchen."
Vielleicht steigt Joshua tatsächlich irgendwann auf Tysons Angebot ein. Denn der 23 Jahre jüngere Dreifach-Weltmeister ist ein Riesenfan der Box-Ikone. Joshua wollte sich den Comeback-Kampf „auf jeden Fall" im TV anschauen, seiner Meinung nach „sind die einzigen beiden Gesichter im Boxsport, die weltweit anerkannt sind, Muhammad Ali und Mike Tyson".
„Sie könnten so viel Gutes tun, so vielen Menschen helfen"
Irgendwann will Joshua selbst dazuzählen, doch dafür muss er sich im Ring noch ein paarmal beweisen. Die Corona-Pandemie hat den Champion in diesem Jahr gestoppt, sein letzter Kampf, bei dem er sich in Saudi-Arabien gegen Andy Ruiz seine verlorenen WM-Gürtel in beeindruckender Manier zurückerobert hatte, ist schon zwölf Monate her. Bei seiner Pflichtverteidigung am 12. Dezember in der Londoner O 2-Arena gegen den Bulgaren Kubrat Pulev, der vom deutschen Trainer Ulli Wegner betreut wird, dürfte nicht der Gegner das größte Problem sein, sondern die lange Pause. Sein Promoter Eddie Hearn sieht das aber ganz anders. Er glaubt, dass sich Joshua wie ein ausgehungerter Löwe auf seinen Rivalen stürzen und ein Spektakel liefern wird. „Ich denke, er wird ihn absolut zerstören", sagte Hearn. „Ich denke, er wird ihn brechen, ihn sezieren, ihn bestrafen." Der Kampf solle ein „Statement" für die Box-Welt sein: Joshua ist und bleibt der König!
Dieses „Statement" soll vor allem Tyson Fury beeindrucken. Im Hintergrund wird längst an einem Mega-Fight zwischen den beiden britischen Schwergewichts-Weltmeistern gebastelt. Der „Battle of Britain" zwischen den charakterlich und boxerisch so unterschiedlichen Athleten ist etwas, auf das die Szene schon lange wartet. Im neuen Jahr soll es endlich so weit sein – und zwar gleich als Doppelpack. Sollte Joshua seine Pflichtaufgabe gegen Pulev meistern, „bin ich zuversichtlich, dass es im nächsten Jahr zwei Kämpfe gegen Tyson Fury geben wird", sagte Hearn der englischen Zeitung „Daily Star". Dann werde endgültig geklärt, „wer der unumstrittene Champion" sei, „der unumstrittene König der Gewichtsklasse".
Joshua hat längst ein Auge auf Furys WBC-Gürtel geworfen, den sich der Skandal-Boxer am 22. Februar in Las Vegas gegen Titelverteidiger Deontay Wilder hart erkämpft hatte. „Es ist ein prestigeträchtiger Gürtel, und ich bin heiß darauf, ihn in meinen Händen zu halten", sagte Joshua, der dann alle wichtigen WM-Titel im Schwergewicht auf sich vereinen würde.
Der Olympiasieger von 2012 ist kein Sprücheklopfer
Während Joshua schon bald beweisen kann, dass er in der Zwangspause nichts verlernt hat, steht hinter Furys Form ein Fragezeichen. Eigentlich wollte der 32-Jährige am 5. Dezember gegen Agit Kabayel vom Magdeburger SES-Boxstall in den Ring steigen, doch der in zahlreichen Medien bereits angekündigte Kampf kam dann doch nicht zustande. Furys Manager Frank Warren begründete, man habe „keine Einigung mit allen Parteien" erzielen können. Sprich: Es war nicht lukrativ genug. Eine Veranstaltung ohne zahlendes Publikum sei in Corona-Zeiten „nicht realisierbar", findet Warren. Das Joshua-Lager sieht das etwas anders. Der bereits zweimal verschobene Kampf gegen Pulev soll diesmal unbedingt stattfinden, zur Not auch ohne Zuschauer. Das bekräftigte Promoter Hearn: „Es gibt zwei Möglichkeiten: Du kannst sitzen und abwarten, oder du kannst rausgehen und etwas tun."
Auch der Boxsport leidet unter der Corona-Krise, das Jahr 2020 ist für alle Beteiligten ein Verlustgeschäft. Umso wichtiger ist eine Aufbruchstimmung, die Joshua nun initiieren soll. Dafür muss der haushohe Favorit gegen den krassen Außenseiter Pulev brillieren – und sein Manager hat überhaupt keine Zweifel daran. „Er ist in absolut sensationeller Form", schwärmte Hearn. „Ich habe gesehen, wie stark er sich verbessert hat, wie hart sein Punch geworden ist." Joshua selbst äußerte sich wie gewohnt deutlich zurückhaltender. Der Olympiasieger von 2012 ist kein Sprücheklopfer, das sonst so übliche Ballyhoo fällt beim eher stillen Joshua aus. Der Champion tobt sich lieber im Training aus, zudem ist sein Respekt vor dem Gegner stets zu groß, um ihn mit markigen Sprüchen zu diskreditieren. Auch Pulev unterschätzt er nicht. „Er ist nicht der berühmte Boxer", sagte Joshua, „aber er ist schon eine ganze Weile im Geschäft. Er weiß, was er im Ring zu tun hat. Er will meine Titel, er will mich schlagen."
Dass Pulev im Alter von 39 Jahren nochmal eine WM-Chance erhält, ist ihm hoch anzurechnen. Fallobst ist der 1,94 Meter große Boxer nämlich auf gar keinen Fall, denn seine bisher einzige Niederlage in 29 Profikämpfen kassierte er vor sechs Jahren im WM-Kampf gegen Wladimir Klitschko. Seitdem arbeitete sich der Bulgare mit acht Siegen in Folge in der Weltrangliste Schritt für Schritt wieder nach oben. Sein deutscher Trainer Ulli Wegner, der zuvor schon Sven Ottke, Markus Beyer und Arthur Abraham zu Weltmeistern geformt hat, glaubt an eine realistische Siegchance seines Schützlings: „Kubrat hat sehr gute Werte!" Wegner konnte gesundheitlich angeschlagen nicht im Trainingslager in den bulgarischen Belmeken dabei sein, doch er stand mit Pulev in ständigem Kontakt. „Wir unternehmen alles, damit Kubrat in Bestform gegen Joshua antreten kann", sagte Wegner. Natürlich weiß der Mann, der als Trainer 89 WM-Siege feiern konnte, dass sein Schützling der klare Underdog im Duell mit dem britischen Champion ist. Aber: „Im Boxen gibt es nichts, was nicht möglich ist."
„Im Boxen gibt es nichts, was nicht möglich ist"
Joshuas verlorener erster Kampf gegen Ruiz im Juni 2019 hat gezeigt, dass der Brite nicht unbesiegbar ist. Vor allem dann nicht, wenn „AJ" seinen Gegner auf die leichte Schulter nimmt und man ihn früh hart trifft. Steigt Joshua aber hochkonzentriert und topfit in den Ring, könnte es ein schmerzvoller Abend für Pulev werden. Doch der Linksausleger hat in der Vergangenheit oft genug Nehmerqualitäten bewiesen. „Er besitzt den nötigen Intellekt eines Voll-Profis, sodass ich mir gar keine Sorgen machen muss", sagte Wegner. Angst vor einem K. o. zeigt Pulev nicht, der Bulgare präsentierte sich im Vorfeld verbal ziemlich angriffslustig. „Mir ist klar, dass er wirklich Angst vor mir hat. Es scheint so, als würde er aus Angst versuchen, den Kampf zu verschieben oder abzusagen", hatte Pulev getönt, als das Duell wegen der Corona-Pandemie erneut auf der Kippe stand. Seine Ungeduld ist nur zu verständlich: Seit seinem Sieg über Dereck Chisora im Jahr 2016 steht er in der IBF-Rangliste ganz oben – und dem Pflichtherausforderer läuft angesichts seines fortgeschrittenen Alters die Zeit davon.
Der Kampf Pulev gegen Joshua hätte eigentlich schon 2017 stattfinden sollen, doch damals zog sich der Herausforderer im Training eine Muskelverletzung im Brustbereich zu. Das Duell wurde abgesagt, Pulev entging eine Börse in Höhe von vier Millionen US-Dollar. Die Erinnerung daran wird er mit in den Ring nehmen – und Joshua weiß das ganz genau. „Das ist es, was er mitbringt: Erfolgshunger und Motivation", sagte der Titelverteidiger. Er müsse ihm diese Dinge „wegnehmen", ergänzte Joshua, „so schlägst du jemanden: Indem du seine Seele brichst."
Vielleicht kennt Joshua im Ring auch keine Gnade, weil sich Pulev im Vorfeld einen verbalen Fehltritt geleistet hatte. „Er hat einen sehr harten Punch, und er ist besser gebräunt", hatte der Herausforderer über den farbigen Titelverteidiger gesagt, was ihm in der Öffentlichkeit als Rassismus ausgelegt wurde. Pulev wehrte sich gegen den Vorwurf in einem Statement, er würde sich „niemals erlauben, einen anderen Menschen aufgrund seiner Hautfarbe, seiner Ethnie oder Religion zu beleidigen". Er entschuldige sich „aufrichtig", falls jemand die wahre Intention seiner Aussage nicht verstehe und sich angegriffen fühle. Joshua selbst wollte auf den Spruch nicht näher eingehen. Zumindest nicht in der Pressekonferenz. „Ich respektiere jeden Gegner, und ich respektiere Pulev", sagte er lediglich dazu. „Ich wünsche ihm alles Gute für seine Kampfvorbereitung."