Im Laufe von 70 Jahren hat das Skandinavische Design die Welt erobert. Dabei hat es dank zeitlosem Minimalismus und bewusster Funktionalität in nimmermüder jugendlicher Frische viele kurzlebige Einrichtungstrends hinter sich gelassen.
Während der Gelsenkirchener Barock mit wuchtig-massivem Mobiliar im sogenannten altdeutschen Stil die hiesige Wohnwelt geprägt hat, hat man im hohen skandinavischen Norden designmäßig unter Berufung auf das Credo „Form follows function" gänzlich andere Wege eingeschlagen. Die Hauptkriterien des ab den 1950er-Jahren in den Ländern Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland entwickelten Skandinavischen Designs, nämlich schlichte Formalität, optimale Funktionalität und puristischer Minimalismus, waren keineswegs neu, man denke beispielsweise an Bauhaus.
Für den Sonderweg, der in Skandinavien in Sachen Design eingeschlagen wurde, gilt die seinerzeit zwischen Kreativen und Politikern geschlossene Allianz als ausschlaggebende Basis. Die seit den 1930er-Jahren in den nordischen Ländern dominierenden Sozialdemokraten hatten sich in der Nachkriegszeit zum Ziel gesetzt, dass möglichst alle Bürger Zugang zu ebenso erschwinglichen wie praktischen Einrichtungsgegenständen haben sollten. Das schien angesichts reichlich vorhandener preisgünstiger Naturmaterialien wie Holz, Fell, Wolle oder Leder und die Massenproduktion ermöglichender neuer Fertigungstechnologien vergleichsweise leicht umsetzbar. Speziell in der nordischen Möbelkultur hatte sich wegen der in Skandinavien vergleichsweise spät vollzogenen Industrialisierung eine handwerklich ausgerichtete Tradition erhalten.
Die Designobjekte sollten ihre Schönheit vornehmlich ihrer schlicht-funktionalen Gestaltung verdanken, Minimalismus sollte dabei über ästhetische Opulenz triumphieren. Somit waren diese Alltagsgegenstände stilistisch die ideale Ergänzung zu den meist einfach konstruierten Häusern und für die damals noch weitgehend agrarisch geprägten Gesellschaften die naheliegende Lösung. Zum Pushen heimischer Designer aus den vier skandinavischen Ländern und um den neuen Stil möglichst schnell weltweit bekannt zu machen, wurde 1951 eigens der Lunning-Preis gestiftet, der bis 1970 verliehen werden sollte.
Architektur- und Design-Stars machten den Stil populär
Ungemein hilfreich zur zügigen weltweiten Popularisierung des Skandinavischen Designs war es, dass man einige bekannte Architektur- und Design-Stars in seinen Reihen hatte. Der Däne Poul Henningsen (1893–1966) hatte schon 1926 die erste Version seiner „PH"-Leuchten ersonnen, die noch heute über fast jedem Esszimmertisch seines Heimatlandes zu finden sind, beispielsweise in der 1957 gestalteten Variante „PH Artichoke". Der Finne Alvar Aalto (1898–1976) hatte schon 1931 seinen legendären „Paimio"-Sessel entworfen, zwei Jahre später war sein Hocker „Artek Stool 60" gefolgt, den Ikea viel später mit dem Modell „Frosta" nachempfinden sollte. Der Däne Hans J. Wegner (1914–2007) war zwischen 1947 und 1950 mit seinen Stuhl-Kreationen („Peacock-Chair", „Wishbone Chair" und „Round Chair") berühmt geworden. Der Däne Finn Juhl (1912–1989) sorgte 1940 mit seinem „Pelican Chair" für Furore. Sein Landsmann Holger Nielsen (1914–1992) hatte 1939 den beispielhaften „Vipp"-Mülleimer-Klassiker ertüftelt. Der renommierte dänische Architekt Arne Jacobsen (1902–1971) hatte sich 1958 mit seinem „Egg Chair" getauften Lounge-Sessel auch in der Design-Szene unsterblich gemacht. Zu diesen prominenten Vorreitern gesellten sich bald Designer der jüngeren Generation wie der Finne Eera Aarnio (geboren 1932), der 1966 seinen aus Fiberglas gefertigten und in vielen Science-Fiction-Filmen aufgetauchten halbkugelförmigen „Ball Chair" präsentiert hatte, dem er zwei Jahre später den aus transparentem Acryl gearbeiteten und an der Decke zu installierenden „Bubble Chair" folgen lassen sollte. Ein Sonderfall war der Däne Verner Panton (1926–1998), weil er wenig mit natürlichen Materialien gearbeitete hatte und 1958 mit dem aus verzinktem Drahtgestell gemachten „Wire Cone Chair" erstmals weltweit Aufsehen erregte. Die Dänen Claus (geboren 1943) und Torsten Thorup (geboren 1944) entwickelten 1968 die kultige Pendelleuchte „Semi Lamp".
Und natürlich darf an dieser Stelle keinesfalls der 1943 von Ingvar Kamprad (1926–2018) gegründete Ikea-Konzern unerwähnt bleiben, der seinen ersten Katalog 1951 vorgestellt hatte, in dem als besondere Novität nicht mehr nur einzelne Objekte, sondern komplette Zimmereinrichtungen vorgestellt wurden. In Deutschland sollte die erste Filiale 1974 in Eching bei München eröffnet werden. Mit den Kampfpreisen und den daraus resultierenden Qualitätsabstrichen, beispielsweise durch Verwendung von gepresstem Holz, möchten die jungen und frischen Talente/Labels des Skandinavischen Designs wie Gubi, Muuto, Hay, Artek, Broste Copenhagen, Søstrene Grene, Bloomingville, &Tradition, Normann Copenhagen oder By Lassen nichts zu tun haben. Sie bewegen sich preislich weitgehend im mittleren Preissegment und sind damit immer noch deutlich günstiger zu haben als die Mehrzahl der Lizenzproduktionen der oben genannten Klassiker-Stars.
Eine Vielzahl indirekter Leuchtquellen gehören zum Stil dazu
Es gibt verschiedene Gründe, warum das Skandinavische Design über sieben Dekaden so zeitlos und gleichzeitig modern bleiben konnte. Da wäre zunächst einmal das Material zu nennen, wobei Natürlichkeit noch immer eine große Rolle spielt: Helles Holz von Birke, Esche oder Kiefer, matte Stoffe wie Leinen oder Baumwolle, schöne Felle oder Leder, Geschirr, Glas und Keramik im rustikalen Look. Was die Farbwahl betrifft, so wird auf Knalliges zugunsten von zurückhaltenden Tönen verzichtet, erdverbundene Nuancen wie Lindgrün oder Beige gesellen sich an die Seite von Weiß, Grau, Altrosa oder Schwarz. An diesen Farben kann man sich nicht so schnell sattsehen. Wegen ihrer minimalistischen Schlichtheit sind die skandinavischen Design-Objekt geradezu ideale Kombi-Partner für stilistisch gänzlich andere Einrichtungsstücke, von Perserteppichen über Glamour-Sofas bis hin zu antiken Möbeln. Sie halten sich vornehm im Hintergrund, bilden dabei aber immer das gewisse Basic-Element. Es gibt keine ausdrückliche Verbotsregel für dekorative Elemente, weshalb beispielsweise Pflanzenmuster auf Stoffen durchaus gebräuchlich sind. Die Muster des 1951 gegründeten finnischen Unternehmens Marimekko sind längst weltberühmt. Vielleicht ist es gerade die Sehnsucht nach dem Einfachen in einer immer komplexer werdenden Welt, die den dauerhaften Erfolg des Skandinavischen Designs mit seiner gradlinig-klaren Formgebung ausmacht. Nach einem stressigen Alltag kann es wohl kaum etwas Schöneres geben, als im praktisch eingerichteten gemütlichen Zuhause zu relaxen. Wobei dem Licht eine zentrale Bedeutung zukommt, schließlich sind die Winter im hohen Norden sehr lang und dunkel, weshalb eine Vielzahl indirekter Leuchtquellen zum Standard-Einrichtungsrepertoire des Skandinavischen Designs zählen.