„White Christmas" und „Rudolph, the Red-Nosed Reindeer" zählen zu den erfolgreichsten Weihnachtsliedern aller Zeiten. Die Entstehungsgeschichte dieser Weihnachtssongs jüdischer Komponisten kennt kaum jemand.
„White Christmas" von Irving Berlin
Dezember 1940 geschrieben, 1942 aufgenommen
Israel Beilin kommt 1888 in Tjumen in Sibirien zur Welt. Es ist Heiligabend 1892, als sein Elternhaus in Flammen aufgeht. Wie so viele jüdische Familien müssen die Beilins vor brutalen anti-jüdischen Pogromen fliehen. Und wie so viele landen sie im Judenviertel von New York, der Lower East Side. Zum ersten Mal bekommt der Junge mit, wie die Amerikaner Weihnachten feiern, während das Fest in seinem orthodoxen Elternhaus keine Rolle spielt. Durch das Fenster der Nachbarsfamilie bewundert er den prächtigen Christbaum. Als Kantor findet der Vater keine Arbeit mehr, so dass Israel schon mit 14 Jahren als singender Kellner durch New York tingelt. Später hat er ein festes Engagement im „Pelham Café", wo der jüdische Gangster Monk Eastman, Mitglied der berüchtigten „Koscher Nostra", den Mob im Viertel kontrolliert. Obwohl Israel keine Noten lesen kann, bringt er sich dort das Klavier spielen bei, der Einfachheit halber spielt er nur die schwarzen Tasten und komponiert so die ersten Lieder. Ein Schreibfehler auf einem Dokument ist für seinen Künstlernamen verantwortlich. So wird aus dem armen Flüchtling Israel Beilin der erfolgreiche amerikanische Komponist Irving Berlin. Im Dezember 1940 sitzt Irving Berlin am Pool in Hollywood und schreibt die Musik für seinen Film „Holiday Inn" mit Bing Crosby. Da er das Notensystem immer noch nicht beherrscht, beschreibt er akribisch, wie die Melodien klingen werden. Jeder Feiertag soll einen Song bekommen, aber zum Thema Weihnachten fällt ihm in der Hitze nicht viel ein. Also beschreibt er einfach, wie das so ist an einem 24. Dezember in Kalifornien: „The sun is shining, the grass is green/The orange and palm trees sway/There‘s never been such a day/In Beverly Hills, LA/But it‘s December the 24th/And I‘m longing to be up north." Und was er sich sehnlichst wünscht: Schnee! Am 8. Januar 1940 präsentiert Irving die Niederschrift von „White Christmas" seinem deutschen Sekretär Helmy Kresa, damit dieser sie in Notenform bringt. Berlin sagt: „Es ist nicht nur der beste Song, den ich jemals geschrieben habe, sondern es ist der beste Song, den jemals jemand geschrieben hat!" Und er soll recht behalten. Eliminiert um die erste Strophe nimmt Bing Crosby „White Christmas" auf, als Amerika nach dem Angriff auf Pearl Harbour am 8. Dezember 1941 in den Zweiten Weltkrieg eintritt. Millionen von US-Soldaten sind an Weihnachten im Ausland und haben Heimweh. Als sie im Armee-Radio „White Christmas" hören, bitten sie in ihren Briefen, die Single an die Front zu schicken. Das Pentagon kauft schließlich alle Bestände auf und steckt die Platte in die Weihnachtspakete für die Soldaten. Im Sommer reist Bing Crosby zur Truppenbetreuung an die Front, und sogar jetzt wollen die Soldaten nur das eine Lied von ihm hören: „White Christmas". Der Song wird zum Synonym für die Heimat und die Familie, die alle so schmerzlich vermissen. 33 Jahre später spielt Irving Berlins Song im Vietnamkrieg erneut eine entscheidende Rolle. 1975 ist „White Christmas" zusammen mit dem Geheimcode „105 Grad Fahrenheit" im Radio das Erkennungszeichen für die in Vietnam verbliebenen Soldaten, dass ihre Rettung unmittelbar bevorsteht. Bis heute ist „White Christmas" mit 50 Millionen verkaufter Singles das erfolgreichste Lied aller Zeiten.
Rudolph, The Red Nosed Reindeer
Rudolph-Figur 1939 Robert May, Lied 1949 Johnny Marks
Zu Rudolph, dem rotnasigen Rentier, kommen findige Analytiker schnell zu allerhand Erklärungen, etwa in der Exegese des „Rudolph"-Songs: die rote „Juden-Nase", über die alle lachen, das verspottete Tier, das schließlich wegen seiner Einmaligkeit geschätzt und geliebt wird.
Wir schreiben das Jahr 1939 in Chicago. Wie in jedem Jahr will der Kaufhauschef Montgomery Ward den Kindern ein Weihnachtsgeschenk machen, diesmal ein Märchenheft zum Ausmalen. Er beauftragt den Werbetexter Robert. L. May. Einzige Bedingung: Es soll ein Tier vorkommen. May ist Jude, kennt sich mit Weihnachtsbräuchen nicht wirklich aus. Aber mit Tieren, denn er geht mit seiner Tochter Barbara regelmäßig in den Lincoln Park Zoo, wo die Kleine am liebsten vor dem Wildgehege steht und die Hirsche und Rehe beobachtet. Sie liebt diese Tiere. Der Werbemann erinnert sich an seine eigene Schulzeit in New Rochelle, wo er aufgrund seiner schmächtigen Gestalt und seines jüdischen Glaubens von den Mitschülern gehänselt wurde. Für das Märchen erschafft er sein vierbeiniges Alter Ego Rudolph. Auch das kleine Rentier ist ein Außenseiter, denn es hat eine große, leuchtend rote Nase, weshalb ihn die anderen verspotten. Niemand will mit ihm spielen. Aber am Weihnachtsabend ist es so neblig, dass sich Santa Claus’ Rentierschlitten im Wald verirrt. Da schlägt Rudolphs große Stunde. Das verspottete Tier mit der leuchtenden Nase weist Santa Claus den richtigen Weg und Weihnachten ist gerettet. Und plötzlich wird Rudolph wegen seiner Einmaligkeit geschätzt und geliebt. Auch von den Kindern im Kaufhaus: Millionen Exemplare werden in der Vorweihnachtszeit verteilt. Selbst im Januar ist die Nachfrage noch groß, aber in Vorkriegszeiten wird Papier langsam knapp. Und Rudolphs Geschichte ist noch nicht auserzählt, denn als Cartoon- und Leinwandstar wird er Chefrentier in Santa Claus’ Truppe. Zehn Jahre später heiratet Mays Schwester den jüdischen Komponisten Johnny Marks. Als Fan von Rudolph vertont er die Geschichte und „Rudolph, the Red-Nosed Reindeer" wird nach „White Christmas" das erfolgreichste Weihnachtslied aller Zeiten. Es ist ein durch und durch jüdisches Lied, denn der Außenseiter Rudolph steht auch für das jüdische Volk.