Warum das mit der Bergpredigt im Alltag nicht so richtig klappen will
Neulich war ich, nach längerer Pause, mal wieder in der Kirche. Meine Frau wollte hinsichtlich der Weihnachtsmette testen, wie ein Gottesdienst in Zeiten von Corona so abläuft. Der Pfarrer predigte wie gewohnt, ohne Mundschutz, aber mit Schmackes.
Als Thema hatte er sich die Bergpredigt (Lukas 6, 27 und Matthäus 5,44) ausgesucht, doch er konnte mich nicht überzeugen. Ich soll meinen Nächsten lieben wie mich selbst, sagte er. Ja ich soll sogar „meine Feinde" lieben! Mir fielen unwillkürlich ein paar Personen ein, die ich lieber von hinten sehe, und fragte meine Frau leise, wie das funktionieren soll? Sie sagte aber nur: „Pssst!"
Nun ist es ziemlich normal, dass man Freunde hat im Leben und eben auch Feinde. Brüder und Schwestern. Nach Ansicht des Papstes sind irgendwie alle Menschen unsere Brüder und Schwestern, vor allem wenn sie arm sind. Wie auch immer: Die einen kann man gut leiden, die anderen weniger gut, wieder andere kann man überhaupt nicht verknusen. Das ist nun mal so.
Was aber nicht zu leugnen ist: Öfter als es uns lieb ist, kriegen wir uns im Alltag mit irgendwelchen Leuten in die Haare.
Manchmal kommt es zum Streit, gelegentlich entwickelt sich sogar eine regelrechte Feindschaft. Der eine oder andere Nachbar kann sicher ein Lied davon singen. Dann wünscht man seinem „Feind" auch schon mal alles Mögliche an den Hals, gerne auch eine Tracht Prügel.
Ziehen wir zur Problemlösung allerdings die Bibel heran, wie uns der Pfarrer ans Herz gelegt hat, dann wird es unversehens schwierig. Das zeigte sich schon an dem Umstand, dass der Seelsorger irgendwie heiser klang, als er Jesus zitierte: „Liebet eure Feinde! Tut Gutes denen, die euch hassen!" Obwohl er zur Erklärung hinzufügte, mit diesem göttlichen Gebot solle „die Spirale von Hass und Gewalt" unterbrochen werden, denn auch im Streit müsse es um „ehrliche Auseinandersetzung und einen fairen Dialog" gehen, blieben meine Zweifel. Denn wie ich es auch drehe und wende, mir will nicht einleuchten, wie das gelingen soll: Die Feinde „lieben".
Ist der Feind nicht derjenige, den ich als Soldat auf Befehl des Staates notfalls sogar ins Jenseits schicken muss? Ist der Feind nicht dieser unverschämte Kollege, der schlecht über mich redet und klammheimlich an meinem Stuhl sägt? Ist ein wahrer Feind nicht dieser unfaire Finanzbeamte, der bei meiner Einkommenssteuerklärung aber auch nicht die geringste Nachsicht zeigt?
Und als wär das Zwangslieben nicht schon schlimm genug, soll ich meinem Feind auch noch aktiv etwas Gutes tun! Ich hab die Stelle in der Bibel nachgelesen, es steht wirklich so drin. Ihm „Gutes tun" soll ich. Das heißt wohl, ich soll dem Herrn Finanzobersekretär auch noch ein paar Blümchen schicken, zum Dank dafür, dass er mein Arbeitszimmer nicht anerkennt. Oder dem Rivalen „Alles Gute!" wünschen und ihn im Freundeskreis lobpreisen. Oder dem Soldaten auf der Gegenseite freundlich zurufen: „Duck dich Bruder, ich schieße!"
Also, bei aller Liebe, Herr Jesus Christ, das schaff ich nicht. Ich krieg es nicht mal hin, jeden Tag meine eigene Frau so zu lieben, wie sich das gehört. Und bei meinem Chef scheitere ich regelmäßig mit dem Vorsatz, ihn auch nur ein bisschen zu mögen.
Wie soll ich angesichts dieser Fakten dann meine Feinde lieben? Und wie soll ich es hinkriegen, was Jesus ja zusätzlich verlangt, auch noch die linke Backe hinzuhalten, wenn ich schon auf der rechten verhauen wurde? Da fällt mir, sorry, nur noch ein Kalauer ein: „Bin ich etwa Jesus?"
Das bin ich wahrlich nicht, nicht mal ansatzweise. Ich gebe mir zwar Mühe, meine Aggressionen im Zaum zu halten, und ich fluche (meistens) auch nur ganz leise; aber die göttliche Forderung in der Bergpredigt krieg ich nicht hin! Außerdem ist mir nach dem Corona-Gottesdienst eingefallen, dass eigentlich der Teufel mein schlimmster Feind ist. Ja, ganz ohne Zweifel, Satan ist mein Todfeind, ich schwöre. Aber Jesus kann doch nicht allen Ernstes verlangen, dass ich den Teufel liebe und ihm auch noch Gutes tue …