Farben sind neben der Wortsprache unser wichtigstes Kommunikationsmittel, Ausdruck gesellschaftlicher Trends und Spiegel der Seele. Farbexperte Prof. Dr. Axel Buether über den Charakter verschiedener Lieblingsfarben und die richtige Farbenwahl beim Dating.
Herr Buether, Farben und ihre Wirkung sind Ihr Spezialgebiet. Haben Sie eigentlich eine Lieblingsfarbe?
Mehrere. Meine Lieblingsfarben wechseln mit meinen Stimmungen. Im Moment mag ich Gelb sehr gern, in allen Varianten, vom reinen Sonnengelb bis hin zu Currytönen. Gelb hat etwas Heiteres, Lebendiges an sich.
Sternzeichen werden bestimmte Eigenschaften nachgesagt. Gilt das für Lieblingsfarben genauso?
Alle Farben werden mit bestimmten Charaktereigenschaften verbunden. Die meisten Menschen geben bei der Frage nach ihrer Lieblingsfarbe eine Farbe an, die für etwas steht, was sie selbst gern von sich behaupten würden. Die Lieblingsfarbe der meisten Menschen in Deutschland ist Blau, was in der Farbpsychologie für Offenheit, Wahrhaftigkeit, Demut und Gelassenheit steht – Eigenschaften, mit denen sich die meisten identifizieren können. Das heißt aber nicht, dass diese Menschen deshalb besonders viele blaue Klamotten im Schrank hätten oder ein blaues Auto. Wir unterscheiden daher in der Farbwissenschaft zwischen der Lieblingsfarbe und den tatsächlichen Farbpräferenzen. Mit Braun verhält es sich zum Beispiel genau andersherum: Die meisten Leute haben relativ viele Brauntöne im Kleiderschrank; auch in der Architektur oder beim Design ist es eine beliebte Farbe, weil es so natürlich wirkt. Gleichzeitig würde kaum jemand Braun als seine Lieblingsfarbe bezeichnen, weil man damit spießig, intolerant, konservativ verbindet bis hin zum Faschismus. Positiv besetzte Farben wie Blau, Weiß, Rot werden häufig genannt; negativ besetzte wie Braun oder Grau eher selten.
Ist diese Besetzung von Farben mit bestimmten negativen oder positiven Eigenschaften universell?
Nein, es gibt Unterschiede in den Wirkungen von Farben zwischen einzelnen Ländern und Kulturen und auch im zeitlichen Verlauf. Gelb stand zum Beispiel lange Zeit für die Pest – Menschen, die im Verdacht standen, ansteckend zu sein, malte man einen gelben Punkt über die Tür. Auch der gelbe Judenstern im Nationalsozialismus rührt da her. Gelb steht damit sowohl für etwas Freundliches, Frühlingshaftes, als auch für das Eitrige, Aussätzige. Und so hat fast jede Farbe ganz unterschiedliche Bedeutungen, je nachdem, wie der Farbton genau ist und in welchem Kontext sie verwendet wird.
In Ihrem Buch bezeichnen Sie Farben als „das größte Kommunikationssystem der Erde". Wie soll das funktionieren, wenn die verschiedenen Bedeutungen der einzelnen Farben derart gegenläufig sind? Auch Rot steht beispielsweise sowohl für Liebe als auch für Aggression.
Das ist bei allen Kommunikationsmitteln so, auch bei der Sprache, dass sie je nach Kontext ganz unterschiedliche Dinge bedeuten können. Ich kann zum Beispiel einen Satz sagen, der, wenn er aus dem Kontext gerissen wird, genau das Gegenteil bedeutet. Genauso ist es auch mit den Farben. Und trotzdem sind sie neben der Wortsprache das wichtigste Kommunikationssystem der Erde. Das fängt mit den Pflanzen an, die mit ihren farbenprächtigen Blüten und Früchten Insekten und andere Tiere dazu bewegen, sich den Nektar oder die Früchte zu holen und damit die Samen der Pflanze weiterzuverbreiten. Im Laufe der Evolution ist so ein regelrechter Wettkampf unter den Pflanzen entbrannt mit immer größeren Blüten und immer interessanteren Farben. Die Nahrungssuche ist eine der biologischen Funktionen von Farben. Auch wir Menschen reagieren auf bestimmte Farben und bekommen dadurch Appetit. Wir funktionieren in dieser Hinsicht wie ferngesteuert. Die Lebensmittelindustrie nutzt das aus und packt ihre Produkte mit Farbstoffen voll. So sieht das Fleisch auch nach vier Wochen noch aus wie frisch geschlachtet.
Sie schreiben: Farben steuern unser Verhalten. Hat man sich das vorzustellen wie bei einer Ampel – bei Grün kannst du gehen, bei Rot musst du stehen?
Solche Leitsysteme wie Ampeln oder Verbots- und Gebotsschilder gehören sicherlich auch dazu, aber es geht noch viel weiter. Wenn Sie beispielsweise als Frau auf einem Datingportal auf Ihrem Profilbild Rot tragen, die Farbe der Sexualität, werden Sie deutlich mehr Zuschriften bekommen als wenn sie Grau oder Grün tragen. Gleichzeitig werden Sie wahrscheinlich mehr Zuschriften bekommen von Leuten, die eher ein Abenteuer als die große Liebe suchen. Anders ausgedrückt: Die anderen Nutzer verhalten sich Ihnen gegenüber ganz unterschiedlich, je nachdem, welche Farbe Sie verwenden. Das gilt genauso auch beim Bewerbungsgespräch, wo man sich durch die Wahl der Kleidung gut überlegen sollte, was man seinem Gegenüber signalisieren will. Oder denken Sie an Schwarz als Ausdruck der Trauer. Wenn jemand nach einem Trauerfall Schwarz trägt, gibt er seiner Umwelt damit zu verstehen, dass er seine Ruhe haben will. Wenn er dann bereit ist, ins Leben zurückzukehren, wird er als erstes seine Kleidung wechseln und wieder freundlichere Farben anziehen. Für die anderen ist das ein klares Zeichen, dass die Person wieder ansprechbar ist, ohne dass sie das überhaupt sagen muss.
Das heißt, Farben sind auch ein Ausdruck des inneren Zustands und kommunizieren die seelische Verfassung einer Person?
Ganz genau. Farben sind ein wichtiges und wahrhaftes Kommunikationsmittel. Man sucht sich intuitiv die Farben heraus, die die momentane Stimmung ausdrücken. Im Winter sind viele Menschen nicht mehr so fröhlich und unternehmenslustig – der sogenannte Winter-Blues. Wenn es draußen dunkler wird, werden wir müder und wollen uns am liebsten verkriechen und bloß nicht auffallen. Die Farben spiegeln das: Viele bevorzugen in der kalten Jahreszeit eher dunkle Kleidung. Dabei würde etwas Farbe im Alltag durchaus helfen, um diese Jahreszeit als weniger bedrückend zu empfinden. Allerdings fällt es schwer, sich auf Dauer gegen die Umweltbedingungen aufzulehnen.
Farben wirken also positiv auf die Psyche und das eigene Wohlbefinden. Können umgekehrt bestimmten Farben auch krank machen?
Tatsächlich können Farben Aggressionen hervorrufen. In Gefängnissen hat man eine Zeit lang damit experimentiert, die Zellen rosa zu streichen, um die Leute zu beruhigen. Das hat anfangs auch funktioniert, doch auf Dauer hat das die Insassen erst recht aggressiv gemacht. Das ist genauso, als wenn sie jemanden mit klassischer Musik beruhigen wollen: Zu Beginn mag es funktionieren, aber wenn sie es von morgens bis abends spielen, wird man irgendwann wahnsinnig. Auch in Krankenhäusern, vor allem in psychiatrischen Einrichtungen, muss man sehr sorgsam schauen, wie viel und welche Farbe man verwendet. Farbe ist ein mächtiger Wirkstoff – ich sollte davon nur so viel geben wie notwendig und so wenig wie möglich, wie bei einer Arznei.
Wenn Krankenhäuser komplett in Weiß gehalten sind, wirkt das für mich eher abschreckend. Wären ein paar Farbakzente nicht besser?
Das ist ja mein Spezialgebiet, auf dem ich im Moment auch weltweit führend bin. Ich berate zum Beispiel den Klinik-Konzern Helios in der Frage, wie Farben im Krankenhauskontext wirken. Die weiße Farbe in Krankenhäusern stammt noch aus einer Zeit, in der recht viele Patienten an mangelnder Hygiene in den Kliniken gestorben sind. Das Weiß signalisiert Sauberkeit und Reinheit und schafft dadurch Vertrauen. Heute ist die fehlende Sauberkeit nicht mehr das große Problem. Da geht es eher darum, dass sich die Leute im Krankenhaus wohlfühlen und sich umsorgt und behütet fühlen sollen. Farben sorgen für eine größere Wohlfühlatmosphäre, sowohl bei den Patienten als auch bei den Angestellten. Eine Untersuchung am Universitätsklinikum Wuppertal hat gezeigt, dass der Medikamentenverbrauch nach der farblichen Umgestaltung um 30 Prozent zurückgegangen ist und der Krankheitsstand beim Pflegepersonal sogar um 35 Prozent.
Jetzt reden wir schon so viel über Farben. Kann man sagen, wie viele Farben es eigentlich gibt? Und kann man neue Farben erfinden?
Moderne Computer können heute schon über 20 Millionen Farben unterscheiden. Das menschliche Auge kann zwar längst nicht zwischen so vielen Farbnuancen unterscheiden, aber wir bemerken doch einen Unterschied. Je mehr Farben ein Bild enthält, desto mehr Details sind zu erkennen und desto räumlicher wirkt das Bild. Es werden auch immer noch neue Farben erfunden. Vantablack zum Beispiel: ein Schwarz, das so gut wie kein Licht mehr reflektiert – das schwärzeste Schwarz, das es gibt, ursprünglich entwickelt vom Militär zur Tarnung. Wenn Sie davon einen kleinen Klecks auf ihre Tischplatte schütten, würde es so aussehen, als wäre da nichts mehr, als hätten sie ein Loch im Tisch.
Gibt es bei Farben bestimmte Trends?
Ja, die gibt es, und sie haben immer auch etwas mit gesellschaftlichen Trends zu tun. Aktuell sind wichtige Themen beispielsweise der Klimawandel, gesunde Ernährung und Vitalität im Alter. Das drückt sich auch in den Farben aus. Naturfarben sind wieder angesagt, sogar Braun, das lange verpönt war. Dagegen ziehen Senioren heute nicht mehr nur Braun und Grau an, sondern kleiden sich bis ins höhere Alter in jüngeren Farben und kommunizieren damit, dass sie noch fit sind und noch voll im Leben stehen.