Vor 100 Jahren gründete Hans Riegel in Bonn die Firma Haribo. 1922 erfand er das Gummibärchen, das den Grundstein legte für eines der erfolgreichsten deutschen Familienunternehmen. Längst sind die bunten Fruchtgummis ebenso wie der dazugehörige Firmenslogan ein Stück Kulturgeschichte.
Ob Jung, ob Alt, diesen Spruch kennen sie alle: „Haribo macht Kinder froh." Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstitutes GfK wissen 98 Prozent der Deutschen Bescheid, worum es geht – die Werbung des Süßwarenkonzerns ist damit hierzulande der bekannteste Werbespot überhaupt. 1935 wurde der ebenso einfache wie einprägsame Slogan entworfen und 1962 noch um den Zusatz „und Erwachsene ebenso" ergänzt. Das Honorar für den Texter: gerade einmal 20 Reichsmark, umgerechnet knapp fünf Euro.
Ähnlich bescheiden waren auch die Anfänge des Unternehmens. Vor 100 Jahren hatte sich Hans Riegel aus Bonn mit einer spartanisch eingerichteten Bonbonküche im Hinterhof einer Waschküche selbstständig gemacht. Das Startkapital belief sich nach eigenen Angaben auf nicht mehr als einen Sack Zucker, einen Kupferkessel, eine Marmorplatte, einen Hocker, einen gemauerten Herd und eine Walze. Riegel war gelernter Bonbonkocher und hatte zuvor schon einige Jahre in verschiedenen anderen Firmen gearbeitet: Bei Kleutgen & Meier in Bonn-Friesdorf, später in Neuss und Osnabrück sowie nach dem Ersten Weltkrieg bei der Firma Heinen in Bonn-Kessenich, wo er später sogar Geschäftspartner wurde. Sein erstes eigenes Unternehmen ließ er am 13. Dezember 1920 ins Bonner Handelsregister eintragen. Der Name leitete sich aus den beiden ersten Buchstaben seines Vor- und Nachnamens sowie des Standortes her: Hans Riegel Bonn – kurz Haribo.
Zwei Gummibärchen für einen Pfennig
Erste und einzige Mitarbeiterin war anfangs seine Ehefrau Gertrud Vianden, die er 1921 heiratete. Sie lieferte die Ware zunächst noch persönlich mit dem Fahrrad aus – jeden Tag rund einen Zentner Süßkram. Erst 1923 erwarb die Firma den ersten eigenen Wagen. Ein Jahr zuvor hatte Hans Riegel das erste Gummibärchen erfunden, die sogenannten Tanzbären, deren Name von den Tieren auf den Jahrmärkten herrührte, auf denen Haribo seine Süßigkeiten verkaufte. Es waren die Vorläufer der bekannten Goldbären, die allerdings nicht nur größer als ihre heutigen Verwandten waren, sondern auch weicher, weil für die Herstellung damals noch Gummiarabikum statt wie heute Gelatine verwendet wurde. Ein großer Fan soll auch der 1918 abgedankte und im niederländischen Exil lebende letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. gewesen sein, der sich aus der Heimat regelmäßig mit Nachschub versorgen ließ. Für den Ex-Monarchen waren die Gummibärchen angeblich das Beste, was die Weimarer Republik hervorgebracht hat.
Zwei Gummibärchen waren im inflationsgeplagten Deutschland für einen Pfennig zu haben. Ab 1925 erweiterte Haribo seine Produktpalette um Lakritzprodukte. Darunter auch die bekannte Lakritzschnecke, für die eigens eine Lakritzschnecken-Wickelmaschine entwickelt wurde, deren Funktionsweise ein streng gehütetes Betriebsgeheimnis ist. Bis heute hat noch kein Betriebsfremder die Apparatur zu Gesicht bekommen. In den Folgejahren wuchs die Produktpalette weiter und umfasste neben Lakritz und Weichgummi-Erzeugnissen zeitweise auch pharmazeutische Artikel wie beispielsweise Salmiak-Pastillen. Die Firma prosperierte; bis zum Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der Mitarbeiter auf 400. Man eröffnete neue Produktionsstätten und expandierte sogar ins Ausland: 1935 wurde in Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen mit den Geschäftspartnern Christian und Eckhof Hansen die Haribo Lakrids A/S Kopenhagen gegründet.
24 Jahre lang war Gottschalk das Werbegesicht
Der Krieg setzte dem Wachstum ein jähes Ende. Rohstoffe wurden knapp, und zu allem Überfluss verstarb kurz vor Kriegsende im März 1945 Gründer Hans Riegel. Die Firma beschäftigte zu diesem Zeitpunkt lediglich noch 30 Mitarbeiter. In der Zeit nach Riegels Tod übernahm zunächst seine Frau Gertrud die Geschäfte, die 1946 die Verantwortung an die beiden Söhne Hans Riegel Junior und Paul Riegel übertrug. Unter ihrer Führung entwickelte sich Haribo zu einem der erfolgreichsten Familienunternehmen der Nachkriegszeit. Während Paul Riegel für die Produktion zuständig war, kümmerte sich Hans Riegel um den kaufmännischen Teil, den Versand und das Marketing. Schon 1950 beschäftigte die Firma wieder rund 1.000 Mitarbeiter.
Zehn Jahre später erfolgte dann die Geburt des Goldbären. Seit 1960 verkaufte Haribo seine Gummibären zur Unterscheidung von ähnlichen Produkten anderer Hersteller unter diesem Namen, der seit 1967 sogar vom deutschen Patentamt offiziell als eingetragenes Warenzeichen anerkannt ist. Bis heute ist der Goldbär unbestritten das Kultprodukt des Konzerns, das sowohl den größten Umsatzanteil ausmacht als auch die größte Markenbekanntheit vorweisen kann, die in Deutschland nach Unternehmensangaben bei 99 Prozent liegt. Anders ausgedrückt: Mit den Goldbären kann hierzulande fast jeder etwas anfangen. Auch zahlreiche Prominente wie Heinz Rühmann, Erich Kästner und Albert Einstein oder die Politiker Konrad Adenauer und Hans-Dietrich Genscher machten in der Vergangenheit keinen Hehl daraus, dass sie ebenfalls gern in die bunte Tüte griffen. Die roten Gummibären sind dabei übrigens am beliebtesten, die weißen am unbeliebtesten.
Das bekannteste Goldbären-Gesicht ist indes Thomas Gottschalk. Von 1991 bis 2015 diente der Fernsehmoderator über 24 Jahre als Testimonial für die Marke, was ihm und Haribo sogar einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde für die längste Werbepartnerschaft einbrachte. Gottschalks Nachfolger war bis Ende 2018 der deutsche Komiker Michael „Bully" Herbig. Seit 2019 arbeitet man nun nicht mehr mit prominenten Werbebotschaftern zusammen, sondern setzt auf andere Werbekonzepte. Aus der kleinen Bonbonküche in einem Bonner Hinterhof ist längst ein echter Global Player geworden. So gehört seit 1986 auch die Marke „Maoam" zu Haribo. Die Firma ist der weltweite Marktführer im Fruchtgummi- und Lakritz-Segment mit einem jährlichen Umsatz von knapp drei Milliarden Euro.
In den vergangenen Jahren hat Haribo seine internationale Präsenz stark ausgeweitet und produziert mittlerweile an 16 Standorten in zehn Ländern. So ist man seit 2016 auch in Brasilien vertreten und unterhält dort die erste Produktionsstätte außerhalb von Europa. In Wisconsin in den USA entsteht aktuell ein weiteres Werk für den nordamerikanischen Markt. Weltweit beschäftigt die Firma inzwischen mehr als 7.000 Mitarbeiter –
in Deutschland sind es etwa 3.000. Der Firmensitz befindet sich seit 2018 in der Gemeinde Grafschaft in Rheinland-Pfalz. Bonn als Gründungsort ist aber weiterhin Produktionsstandort.
Aus Kinderserien, Magazinen und Comics holte sich Hans Riegel Junior seine Inspiration für die neuesten Süßwarentrends. „Ich muss darüber informiert sein, was sie naschen wollen, was sie denken, welche Sprache sie sprechen", erklärte er einmal. Wobei nicht alle Ideen gut ankamen: Zu Weihnachten 1986 wollte Haribo die Heilige Familie als Fruchtgummi-Figuren anbieten – nach Protesten der katholischen Kirche wurde die Produktion allerdings schnell wieder eingestellt.
1999 Aufnahme in die „Candy Hall of Fame"
Hans Riegel starb 2013, Mitinhaber Paul Riegel schon 2009. Hans Riegel war neben seiner unternehmerischen Tätigkeit ein begeisterter Sportler, Gründer eines Badminton-Clubs in Bonn und selbst deutscher Meister im Einzel und Doppel in dieser Sportart. Zehn Jahre lang war er Präsident des Deutschen Badminton-Verbands und ab 1970 auch Präsident von Bonns größtem und mitgliederstärksten Sportverein, der Schwimm- und Sportfreunde Bonn. Für seine Leistungen wurde er 1972 vom damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. 1999 wurde Hans Riegel Junior vom amerikanischen Süßwarenhandelsverband „National Sales Association of America" zudem in die „Candy Hall of Fame" aufgenommen, die Ehrenhalle der Süßwarenindustrie. Eine Auszeichnung, die bislang nur wenigen Europäern zuteilwurde. In den USA kennt man den Firmenslogan übrigens ebenfalls. Dort lautet er: „Kids and grown-ups love it so – the happy world of Haribo".