In Deutschland gibt es über 14.000 Tankstellen. Benzin findet man dort immer, Lade-Möglichkeiten für Elektroautos hingegen fast nie. Wieso eigentlich?
In Bochum beginnt die Zukunft neben der Waschstraße. Die Aral-Tankstelle im Castroper Hellweg verfügt über zwei sogenannte Ultraschnell-Ladesäulen, an denen Elektroautos innerhalb weniger Minuten mit Strom betankt werden können. Die blauen Stelen liegen im hinteren Bereich der Anlage; Benzin und Diesel haben nach wie vor einen prominenteren Platz. Doch die Optik täuscht: Was in Bochum geschieht, könnte womöglich zum Vorbild für ganz Deutschland werden.
„Ultraschnell" bedeutet, dass der Strom mit einer Geschwindigkeit von bis zu 350 Kilowatt in die Autobatterien fließt. Im Idealfall kann auf diese Weise eine Reichweite von über 300 Kilometern in gerade einmal zehn Minuten „nachgetankt" werden – ein Ladestopp dauert also kaum länger als eine Füllung mit Benzin. „Das Problem ist, dass es momentan noch gar keine Autos gibt, die so schnell laden können", sagt Luca Schmadalla, der bei Aral das Ultraschnell-Ladeprogramm koordiniert. Der Mineralöl-Konzern ist jedoch überzeugt, dass diese Hürde schnell überwunden wird: Schon heute laden Premium-Modelle wie der Porsche Taycan mit bis zu 270 kW, und selbst Kleinwagen wie der Opel Corsa erreichen eine Ladeleistung von 100 kW.
Im Alltag spielen solche Werte für die meisten E-Auto-Besitzer kaum eine Rolle. Wer täglich zur Arbeit pendelt, lädt den Wagen in der Regel über Nacht auf. Ob dies gemächlich oder im Turbogang geschieht, dürfte den meisten herzlich egal sein, zumal an heimischen Wallboxen der Strom sowieso deutlich langsamer fließt.
Wichtig werden Schnellladesäulen aber bei Langstreckenfahrten. Schon heute kommt es in der Ferienzeit an vielen Raststätten zu Staus. Wenn E-Autos dort zusätzlich Strom zapfen und über einen längeren Zeitraum Parkplätze belegen, könnte dies im Verkehrschaos enden. Eine mögliche Lösung wäre, Schnellladesäulen auch abseits der Autobahnen zu errichten, und zwar dort, wo sowieso schon der Kraftstoff fließt: an der Tankstelle.
Ministerium flüchtet sich in vage Aussagen
Genau das geschieht bislang aber kaum. Von knapp 14.500 Tankstellen in Deutschland sind nur die wenigsten mit Stromquellen ausgestattet. Selbst Aral räumt ein, dass die 100 geplanten Ultra-Schnellladepunkte vor allem entlang der Autobahnen und großen Bundesstraßen entstehen sollen. „Im innerstädtischen Bereich haben wir häufig mit Platzproblemen zu kämpfen", sagt Projektleiter Schmadalla. Hinzu komme die Verfügbarkeit von Strom. „Wenn wir Glück haben, liegt nebenan ein großer Anschluss. Das ist aber längst nicht immer der Fall." Folglich steigen die Kosten: Laut Aral kann der Aufbau einer ultraschnellen Tankstelle bis zu einer halben Million Euro kosten, je nachdem, was vor Ort noch gebaut oder verlegt werden muss.
Die Bundesregierung wollte solche Zustände eigentlich längst beenden. Im „Masterplan Ladeinfrastruktur" versprach Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bereits im vergangenen Jahr, bis 2030 eine Million öffentlicher Ladepunkte zu schaffen. Laut Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft sind es aktuell 28.000. Im aktuellen Corona-Konjunkturpaket wird es noch konkreter: Künftig sollen an allen (!) Tankstellen Ladepunkte angeboten werden, heißt es im dazugehörigen Eckpunktepapier des Bundesfinanzministeriums. Eine Zeitvorgabe, bis wann an allen Tankstellen der Strom fließen soll, wird nicht genannt. Stattdessen die Art und Weise, wie dieses Ziel erreicht werden soll: mithilfe einer „Versorgungsauflage".
Fragt man im Verkehrsministerium nach, was genau damit gemeint ist und wie weit der Plan gediehen ist, erhält man nur vage Antworten. „Die Bundesregierung prüft, wie wir diese Herausforderung umsetzen können", erklärt ein Sprecher am Telefon. Weit fortgeschritten scheint diese Prüfung allerdings nicht zu sein, da selbst der Bundesnetzagentur nicht bekannt ist, wie viele der 14.500 Tankstellen bereits über Ladestationen verfügen. Auch Politiker werden deshalb zunehmend unruhig: Sowohl die Grünen als auch die FDP haben sich im Verkehrsministerium bereits nach dem Stand der Tankstellen-Pläne erkundigt – und ausweichende Antworten erhalten. „Dass die Bundesregierung fast ein Jahr nach ihrem Masterplan noch keinen Schimmer hat, wie sie die Versorgungsauflage umsetzen will, zeigt ihre Trägheit beim Aufbau der Ladeinfrastruktur", heißt es aus der Grünen-Fraktion.
Fürs Laden beim Discounter reichen 22 kWh meist aus
Bei den Tankstellenbetreibern scheint die geplante Verordnung bisher ebenfalls kaum eine Rolle zu spielen. So will etwa der Mineralölkonzern Total an 200 Standorten in Deutschland Schnellladesäulen installieren. Den Bedarf am ultraschnellen Laden sehe man aber vor allem entlang der Autobahnen, erklärt Total. Shell verweist ebenfalls auf einen stetigen Ausbau der Infrastruktur: „Wir haben bereits vor dem Konjunkturpaket begonnen, Schnellladesäulen auf Shell-Tankstellen zu errichten." Viel Arbeit hätte Jet, wenn die Auflage der Bundesregierung wirklich kommt: Laut Angaben des Unternehmens gibt es bislang gar keine Ladesäulen an den dortigen Tankstellen.
Den Bundesverband E-Mobilität bringt diese Trägheit in Rage. „Wir sind wie so oft in Deutschland hinterher", schimpft Kurt Sigl, der Vorsitzende des Verbandes. Er erinnert sich an eine andere Prognose, die deutlich verfehlt wurde: „Die Kanzlerin hatte bis 2020 eine Million E-Autos auf deutschen Straßen versprochen. Und was ist daraus geworden?" Andererseits räumt auch Sigl ein, dass es womöglich auch eine Nummer kleiner geht. Eine Studie des Verbands hält 400.000 bis 600.000 Ladepunkte für ausreichend – gerne an Tankstellen, aber eben auch anderswo. „Wenn man beim Discounter laden kann, reichen 22 kW meistens aus", sagt Sigl.
So stellt sich am Ende die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, Tankstellen flächendeckend mit Ladesäulen auszustatten. Der Autoclub ACE hält die Zielvorgabe zwar für umsetzbar, weist aber darauf hin, dass in Zukunft bis zu 85 Prozent aller Ladevorgänge zu Hause stattfänden. Der ökologisch orientierte Verkehrsclub VCD sieht es ähnlich. „Nicht jeder hat eine eigene Garage zu Hause", sagt VCD-Sprecher Michael Müller-Görnert. „Deshalb ist es nicht schlecht, wenn die Tankstelle zur Ladestelle wird, gerade entlang der Autobahn." Man müsse dabei aber mit Augenmaß vorgehen, weil die meisten eben doch Lademöglichkeiten zu Hause oder am Arbeitsplatz nutzten. „Eins ist klar", sagt Müller-Görnert. „Unsere Gewohnheiten werden sich ändern."