Wegen der Corona-Krise findet die Tischtennis-Champions-League erstmals als Turnier an einem Ort statt. Bei der Endrunde in Düsseldorf will der Deutsche Meister 1. FC Saarbrücken-TT seinen durchwachsenen Saisonstart vergessen machen.
Patrick Franziska wird zum Bubble-Experten: Nach seiner rund vierwöchigen China-Erfahrung mit einer längeren Isolation bei den Restart-Turnieren des Tischtennis-Weltverbandes ITTF im November in China befindet sich das Top-20-Ass vom Deutschen Meister 1. FC Saarbrücken-TT nach einer nur kurzen Auszeit „an der frischen Luft" schon wieder in einer Blase. Bei der achttägigen Champions-League-Endrunde ab dem 11. Dezember an den Tischen von Rekordchampion Borussia Düsseldorf will Franziskas Team nach seinem bislang wechselhaften Saisonverlauf und dem Wirbel um den vorzeitigen Abschied von Trainer Slobodan Grujic endlich wieder durch positive Ergebnisse für Schlagzeilen sorgen.
In Zeiten von Corona bedeutet das bemerkenswerte Projekt am Rhein für Franziska allerdings mehr als nur einen weiteren Termin. „Es ist auf jeden Fall gut, dass Möglichkeiten für Wettkämpfe geschaffen werden und wir die Champions League spielen können. Das ist wichtig für uns und für das Tischtennis insgesamt", unterstrich der 28-Jährige vor der Abreise seiner Mannschaft in die NRW-Metropole den Stellenwert des Königsklassen-Turniers. „Für uns hat die Champions League in dieser Saison vielleicht noch einmal eine höhere Bedeutung, weil wir uns unseren Saisonstart schon anders vorgestellt hatten."
Champions League für FCS-TT noch ein Stück wichtiger
Offenbar kommt der FCS auch rechtzeitig zum ersten Saisonhöhepunkt in Schwung: Nach dem 3:0-Auswärtserfolg Ende November in der Bundesliga eben just bei Rekordmeister Düsseldorf mit einem klaren Franziska-Sieg über das Borussen-Idol Timo Boll jedenfalls scheinen die an Nummer vier gesetzten Blau-Schwarzen für die internationale Herausforderung gerüstet, zumal es in der Vorrunde mit drei Spielen in drei Tagen buchstäblich Schlag auf Schlag geht: Nach dem Auftaktmatch gegen den österreichischen Vertreter SPG Wels (11. Dezember) muss Saarbrücken, das in der vergangenen Saison vor dem Abbruch wegen der Pandemie zum zweiten Mal in vier Jahren das Halbfinale erreicht hatte, gegen den dänischen Top-Club Roskilde BTK (12. Dezember) und abschließend gegen AS Pontoise-Cergy aus Frankreich antreten. Die beiden besten Teams aus der Gruppe erreichen das Viertelfinale (15. Dezember). Das Endspiel in Franziskas „zweiter Heimat" – in Düsseldorf spielte der gebürtige Hesse selbst mehrere Jahre und absolviert im dortigen Tischtennis-Zentrum immer noch regelmäßig Lehrgänge der Nationalmannschaft – findet am 18. Dezember (Freitag) statt. „Natürlich wollen wir die Gruppe überstehen und am besten auch unsere Setzung bestätigen, aber alle Teams sind sehr ausgeglichen", meint Franziska zu den anstehenden Aufgaben. „Wenn wir alle in Topform sind und mit Selbstvertrauen in das Turnier reingehen, können wir aber aus der Gruppe rauskommen, und dann ist vieles möglich."
Überhaupt möglich gemacht hat das außergewöhnliche Event mit den 15 besten Mannschaften des Kontinents – darunter auch der seit 2019 amtierende Titelverteidiger Fakel Orenburg mit dem deutschen Ex-Europameister Dimitrij Ovtcharov und der Post SV Mühlhausen als dritter Bundesligist – ein gemeinsamer Kraftakt der Düsseldorfer und des Europa-Verbandes ETTU. „Spätestens im vergangenen September war klar, dass eine normale Champions League mit Reisen quer durch Europa nicht denkbar sein wird. Bei den anschließenden Plänen für ein geschlossenes Turnier blieb am Ende von allen erwogenen Alternativen nur noch Düsseldorf übrig", beschreibt Borussias Geschäftsführer Andreas Preuß die Entscheidungsfindung nach wochenlangen Verhandlungen. Das Tischtennis-Zentrum am Rhein bietet mit seinem Center Court, mehreren Trainingshallen und einem angebundenen Sporthotel nahezu optimale Voraussetzungen für ein Experiment von solchen Dimensionen und unter den stark einschränkenden Corona-Bedingungen. „Ohne jede Arroganz", konstatiert Preuß denn auch, „sind wir tatsächlich die Einzigen, die es machen können – und deshalb mussten wir auch."
„Wir sind tatsächlich die Einzigen, die es machen können"
Der Handlungsdruck war in der Tat enorm. Nach dem abrupten Ende der vorigen Spielzeit in der Königsklasse wären wichtige Sponsorenverträge sowohl der ETTU als auch der Clubs gefährdet gewesen, wenn im Tischtennis – anders als im Fußball, Handball, Volleyball und Basketball (Euroleague) – die Champions League ausgefallen wäre. „Es ist sehr wichtig, dass unser bedeutendster Clubwettbewerb wieder stattfindet. Wir haben viel Mühe und Zeit investiert, um unseren besten Clubs wieder diese große Bühne und den Fans wieder hochklassiges Tischtennis bieten zu können", sagt der Projektleiter und der stellvertretende ETTU-Generalsekretär Pierre Kass (Luxemburg), und Preuß präzisiert: „Die Vereine brauchen neuen Input für ihre Sponsoren und müssen sich zeigen."
Gesehen werden die Spiele trotz des Zuschauerverbots womöglich von der größten TV-Kulisse in der rund 20-jährigen Geschichte des Wettbewerbs. Das kompakte Format ist für viele Fernsehsender attraktiver als Übertragungen von den ansonsten üblichen Einzelspielen. Neben mehreren internationalen Anstalten haben in Deutschland bereits auch ARD und ZDF eine Berichterstattung spätestens ab dem Halbfinale angekündigt. „Für die letzten beiden Tage sind größere TV-Produktionen geplant. Im Idealfall wird das die reichweitenstärkste Übertragung von Tischtennis-Champions-League-Veranstaltungen, die wir je gesehen haben", beschreibt Preuß die Hoffnungen auf einen Glücksfall ausgerechnet aufgrund der Notlage durch die Zwänge der Pandemie. „Es ist auf jeden Fall eine große Chance, weil wir eine der wenigen Sportarten sind, die aktuell so etwas machen."
Die Zuversicht des Borussen-Machers kommt nicht von ungefähr. Denn bereits nach den Lockerungen der ersten Lockdown-Verbote im vergangenen Frühjahr machten Preuß und das deutsche Tischtennis unverhofft gute Erfahrung mit dem Medienecho auf ansonsten eher weniger beachtete Wettbewerbe. Als noch keine andere Sportart wieder auf die öffentliche Bühne zurückgekehrt war, fuhr die Liga durch ihr Angebot einer Mini-Play-off-Runde mit drei Spielen vergleichsweise starke Einschaltquoten ein, und die von den Borussen ursprünglich als besseres Training unter Wettkampfbedingungen konzipierte Turnierserie Düsseldorf Masters fand angesichts des vorherrschenden Sportentzugs ebenfalls sehr große Medienpräsenz.
Organisatorisch auf eine Mammutaufgabe eingestellt
Doch ohne Fleiß kein Preis – und der Aufwand ist beträchtlich: Für die Kosten der „Bubble" mussten erst zwei zusätzliche Sponsoren akquiriert werden, die zwei Drittel des sechststelligen Etats tragen. „Was fehlt", erklärt Preuß, „kompensieren wir mit eigenen Partnern." Organisatorisch sind die Rheinländer auf eine Mammutaufgabe eingestellt. Die gesamte Abwicklung liegt in den Händen von Preuß und seinen Mitstreitern im eigenen Verein. Die Checkliste umfasst die Einreise einzelner Spieler, die Abwicklung der obligatorischen Corona-Tests, Pläne für Laufwege der Teams im Tischtennis-Zentrum ohne Berührungspunkte zu anderen Personenkreisen und die Mahlzeiten, den Shuttle-Service von und zum Hotel, die Reinigung der Umkleideräume sowie die Desinfektion von Trainings- und Spieltischen. „Das ist sicher noch mal mehr Aufwand als beim Restart in China, weil unser Turnier mit 15 Mannschaften mit drei bis fünf Spielern plus Betreuern stattfindet und nicht wie bei den ITTF-Turnieren im November mit maximal zweimal 16 Aktiven. Der Personalbedarf ist enorm", fasste Preuß kurz vor Beginn der heißen Phase den Umfang des Projekts zusammen. Die Dimensionen tun dem Enthusiasmus des früheren Bundesliga-Spielers jedoch keinen Abbruch – im Gegenteil. „Es ist ein niemals zuvor dagewesenes Gemeinschaftsprojekt der Vereine und der ETTU, dadurch herrscht große Freude über dieses Event", stellt Preuß klar. „Es wird ein Tischtennis-Fest in einer außergewöhnlichen Zeit, in der Düsseldorf zur Tischtennis-Hauptstadt Europas wird. Das ist eine großartige Motivation."