Dass Fahrräder umweltfreundlicher sind als Autos, ist klar. Doch ihre Herstellung ist oft alles andere als fair und nachhaltig. Wer ein echtes Öko-Zweirad möchte, sollte genau hinschauen.
Das Fahrrad ist das Verkehrsmittel der Stunde. Während viele Branchen unter der Corona-Krise leiden, wurden zwischen Januar und Juni 9,2 Prozent mehr Fahrräder in Deutschland verkauft als im Vorjahreszeitraum. Während des Lockdowns entstanden in mehreren Großstädten zusätzliche Radwege, um dem gestiegenen Bedarf Rechnung zu tragen. Radfahren ist gesund, hip und gut fürs Gewissen. Was dabei oft vergessen wird: Nicht alle Fahrräder sind so nachhaltig, wie es auf den ersten Blick scheint.
Warum sind Fahrräder nicht automatisch nachhaltig?
Problematisch ist vor allem die Herstellung. Ähnlich wie Textilien entstehen die meisten Fahrräder in Billiglohnländern. Im Jahr 2018 exportierte Kambodscha 1,5 Millionen Fahrräder in die EU. Anders als bei Kleidung („Grüner Knopf") gibt es für Fahrräder jedoch keine staatlich zertifizierten Qualitätssiegel, die Sozialstandards und faire Löhne garantieren. Den meisten Kunden genügt es offenbar, dass das Verkehrsmittel an sich umweltfreundlich ist.
Wie umweltfreundlich ist die Herstellung?
„Im Grundsatz kann man sagen, dass Stahl und Aluminium bei der Herstellung sehr viel Primärenergie benötigen", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Schaltegger, der sich schon lange mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt. Diese Energie stamme wiederum zum größten Teil aus Kohlekraftwerken. Andererseits ließen sich Stahl und Aluminium gut recyceln: „Man kann diese Materialien einschmelzen und einen neuen Rahmen daraus machen", erklärt Schaltegger.
Holz und Bambus statt Alu und Stahl
Sind Modelle aus dem Fachgeschäft automatisch besser als solche vom Discounter?
Nicht unbedingt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Billigmodell vom Discounter unter fairen Bedingungen gefertigt wurde, geht jedoch gegen null. Doch auch im Fachhandel spielt das Thema Nachhaltigkeit bislang kaum eine Rolle. So gibt der Zweirad-Industrieverband auf Nachfrage an, keinerlei Zahlen zu Herkunftsländern und Produktionsmaterialien zu besitzen. Was die Sache noch komplizierter macht: Ein Rahmen, der etwa in Deutschland zu anständigen Löhnen zusammengeschraubt wird, muss in der Energiebilanz noch lange nicht vorbildlich sein.
Gibt es Firmen, die in Europa produzieren?
Noch ist dieses Segment eine Nische, doch es gibt mehrere Anbieter, die sich darauf spezialisieren. Der bekannteste ist „Utopia Velo". Schon seit den 80er-Jahren baut die Firma ihre Räder in Saarbrücken zusammen; die Rahmen kommen aus den Niederlanden. Nachhaltig sollen die Fahrräder vor allem wegen ihres Materials sein: Der verwendete CrMo-Stahl sei bruchsicher und trage deutlich mehr Gewicht als konventionelle Rahmen. „Die Lebensdauer unserer Produkte beträgt 20 bis 25 Jahre", sagt Firmengründer Ralf Klagges. Auch 200-Kilo-Menschen könnten sich dank des stabilen Rahmens problemlos auf den Sattel schwingen.
Welche Alternativen gibt es zum Stahlrahmen?
Die Firma „My Boo" aus Kiel nutzt Bambus – ein schnell nachwachsender Rohstoff, der in großen Mengen verfügbar ist und sich gut verarbeiten lässt. Der Bambus stammt aus Ghana. Ein Teil des Gewinns fließt in eine lokale Schule, die 215 Kindern Platz bietet. Laut „My Boo" sind die Angestellten sozialversichert und verdienen etwa das Sechsfache des ghanaischen Mindestlohns. Einen anderen Weg beschreitet die Firma „My Esel" aus Österreich: Ihre Rahmen bestehen aus einem Birkenkern und werden mit Walnuss oder Esche veredelt. Alle Hölzer, versichert die Firma, sind PEFC-zertifiziert und stammen aus nachhaltiger Forstwirtschaft in Österreich und der EU.
Haben solche Materialien auch Nachteile?
Wenn man den gesamten Lebenszyklus des Fahrrads betrachtet, dann schon. Zwar sind sowohl Holz als auch Bambus nachwachsende Rohstoffe, die sich gut kompostieren lassen. In der Praxis gestaltet sich das aber oft schwierig, weil die Materialien mit verschiedenen Stoffen behandelt werden, um sie haltbar zu machen. Allerdings trifft das auch auf Stahlrahmen zu: Sie werden ebenfalls lackiert.
Was kostet ein Öko-Bike?
Das günstigste Bambus-Fahrrad von „My Boo" beginnt bei 1.500 Euro. Für Holz- oder heimisch produzierte Stahlvarianten sind mindestens 2.000 Euro fällig. Am wenigsten Geld muss man beim schwedischen Hersteller Vélosophy ausgeben. Die Alu-Rahmen der „Re:cycle"-Reihe bestehen aus recycelten Kaffeekapseln. Das Einheitsmodell kostet 1.290 Euro, der Versand innerhalb der Europäischen Union ist inklusive. Ein Öko-Bike ist also definitiv teurer als ein Modell aus dem Baumarkt, kostet aber nicht unbedingt mehr als ein „normaler" Drahtesel aus dem Fachhandel.
Wie gut stehen E-Bikes da?
Im Vergleich zum klassischen Zweirad fällt ihre Ökobilanz stark ab. Hauptproblem: die Akkus. Zum einen ist ihre Produktion energieintensiv, wodurch klimaschädliches CO2 anfällt. Zum anderen wird beim Abbau von Lithium die Umwelt belastet. Alle im Text genannten nachhaltigen Firmen haben auch E-Bikes im Portfolio. Sie argumentieren mit einer Querfinanzierung: Ohne die elektrischen Modelle würden sie nicht überleben. „E-Bikes können zu einer nachhaltigeren Mobilität beitragen, zum Beispiel, wenn sie ein Auto ersetzen", sagt Nachhaltigkeitsexperte Stefan Schaltegger. „Wer aber nur dreimal im Jahr das E-Bike hervorholt und sonst Auto fährt, tut nichts Gutes für die Umwelt."
Ein altes Gebrauchtrad hat beste Umweltbilanz
Lohnt sich die Marke Eigenbau?
Wer ein gewisses handwerkliches Geschick mitbringt, sollte diese Möglichkeit zumindest in Erwägung ziehen. Die Münchner Firma „BAM" bietet regelmäßig Workshops an, in denen Kunden ihre eigenen Bambus-Rahmen zusammenbauen können. Die Verarbeitung ist nicht so professionell wie in einer Fabrik, aber es handelt sich um ein echtes Unikat. Die Teilnahme am Workshop kostet 590 Euro (www.bam-original.com).
Was ist nun die beste Variante?
Herkunftsland, Material, Umweltschutz: Es ließe sich lange darüber diskutieren, welcher Aspekt nun am wichtigsten ist. Fest steht: Ein Hersteller, der sich aktiv mit Umweltschutz und fairen Arbeitsbedingungen beschäftigt, sollte einer Firma vorgezogen werden, der solche Dinge egal sind. Am umweltfreundlichsten ist am Ende das Fahrrad, das gar nicht erst gebaut werden muss, weil es nämlich schon existiert: Ein gut erhaltenes Gebraucht-Rad kann also eine echte Alternative sein. Es ist vielleicht nicht so stylisch wie ein nagelneues Bambus-Bike, erfüllt aber auch seinen Zweck: sicher von A nach B kommen. Und das mit einem guten Gewissen.