Die Stimmung bei den Eisbären Berlin ist vor dem Saisonstart gedrückt, obwohl der Startschuss nach neun Monaten Zwangspause lange herbeigesehnt wurde. Doch zuletzt lief viel schief beim DEL-Rekordchampion.
Maxim Lapierre hat knapp 700 NHL-Spiele auf dem Buckel, er hat eine Olympiamedaille gewonnen und viele schöne Zeiten im Eishockey erlebt. Der Mann muss dem Puck nicht hinterherjagen, wenn er keine Lust mehr darauf hat. Und genau deshalb hat der 35-Jährige am Nikolaustag seine Karriere offiziell für beendet erklärt. Für die Öffentlichkeit völlig überraschend, und auch die Eisbären Berlin traf die Entscheidung zwei Wochen vor dem Saisonstart wie der Blitz. „Es war ein Schock für uns, als Maxim zu uns kam und uns darüber informierte, dass er seine Karriere sofort beenden wolle", sagte Sportdirektor Stéphane Richer. Man respektiere „selbstverständlich" die Entscheidung des Spielers, aber der beste Mittelstürmer im Kader sei „nur sehr schwer zu ersetzen". Auf die Schnelle ohnehin. „Er hat in dem einen Jahr in Berlin gezeigt, dass er ein Topspieler und Leader ist", so Richer. Die Qualitäten hat Lapierre sicher auch in der langen Corona-Pause nicht verloren, wohl aber seine Motivation. Bei der offiziellen Erklärung gab der Kanadier keinen richtigen Grund für seinen Rücktritt an, es sei einfach an der Zeit gewesen. „Das hat weder etwas mit meiner momentanen Verletzung noch mit den Eisbären zu tun", betonte Lapierre. Aber vermutlich mit Corona. Das Team musste sich zuletzt in eine mehrtägige Quarantäne begeben, weil mehrere Spieler positiv auf Covid-19 getestet wurden. Die zweimal nach hinten verschobene Saison 2020/21 wird eine Terminhatz, bei der die Spieler auf bis zu 60 Prozent ihres Gehalts verzichten (müssen) und vorerst auch keine Unterstützung von den Rängen bekommen. Und sie müssen mit dem Corona-Risiko leben. Es wäre zumindest keine Überraschung, wenn ein gestandener Profi wie Lapierre unter diesen Umständen sagt: ohne mich!
Den Eisbären blieb aber keine andere Wahl, als im Verbund mit den anderen 13 Clubs in die herausforderndste Saison seit der Gründung der Deutschen Eishockey Liga (DEL) 1994 zu gehen. „Wir sind unfassbar glücklich, dass es so gekommen ist", sagte Peter John Lee. Der Geschäftsführer der Eisbären gab aber auch zu, dass „die vergangenen Wochen und Monate nicht einfach" gewesen seien. Die Tage vor dem Startschuss am 18. Dezember, 19.30 Uhr, gegen die Fischtown Pinguins aus Bremerhaven waren sogar extrem belastend. Bis zum 10. Dezember musste sich das komplette Team aufgrund einiger positiver Corona-Tests in häusliche Quarantäne begeben. Dadurch fielen Berlins letzte Spiele beim Vorbereitungsturnier „Magenta Sport Cup" aus. „Die Gesundheit aller steht selbstverständlich im Vordergrund", sagte Lee. „Wichtig ist jetzt die Genesung der betroffenen Personen."
Lapierre „nur sehr schwer zu ersetzen"
Warum sich das Virus ausgerechnet bei den Eisbären so stark verbreitet hat, kann nicht genau rekonstruiert werden. Auffällig ist jedoch, dass zuvor bereits schon die Lausitzer Füchse, der Partnerclub der Berliner, ein größeres Corona-Problem hatten und sich ebenfalls in Quarantäne begeben mussten. Darunter waren auch vier Spieler, die aufgrund einer Doppel-Lizenz für beide Teams auflaufen dürfen. Was die DEL-Verantwortlichen aber wirklich beunruhigt, ist die Tatsache, dass nach der 7:2-Niederlage der Berliner bei den Schwenniger Wild Wings auch beim Gegner einige Corona-Tests positiv ausfielen. Auch Schwenningen musste daraufhin seine restlichen Vorbereitungsspiele absagen und in Quarantäne. Das sei „ein kleiner Schock" gewesen, sagte DEL-Geschäftsführer Gernot Tripcke dem Sport-Informations-Dienst. Denn sollten mehrere Teams während der DEL-Saison in Quarantäne müssen, könnte der auf Kante genähte Spielplan platzen. Der sei „vollgepackt", so Tripcke, „wir müssen flexibel sein und bleiben. Wenn wir Probleme sehen, werden wir reagieren."
Reagieren muss auch Eisbären-Trainer Serge Aubin, denn die sportlichen Auftritte beim Magenta Sport Cup waren teilweise erschreckend – und das lag nicht nur am Corona-Wirbel. Vier Niederlagen in vier Spielen, ein Torverhältnis von 5:18 – das ist eines DEL-Rekordmeisters unwürdig und macht den Fans wenig Hoffnung für die neue Saison. „Ich weiß nicht, was momentan los ist", sagte Angreifer Lukas Reichel nach der derben Pleite gegen Schwenningen, „wir machen einfach die Kleinigkeiten nicht richtig." Auch Kapitän Frank Hördler suchte erst gar nicht nach Ausreden: „Zu dem Spiel gibt es nichts Gutes zu sagen." Diese Pleite hätten alle Spieler auch in dieser Höhe verdient – außer der Torhüter. „Mir tut es für Mathias Niederberger leid", sagte Hördler, „dass er an seinem Geburtstag so oft im Stich gelassen wurde."
In den Partien zuvor bei den Top-Teams Adler Mannheim (3:0-Niederlage) und Red Bull München (3:2-Niederlage nach Verlängerung) hatten sich die Eisbären zwar zumindest noch verbessert präsentiert. Doch gegen die Wild Wings verfiel das Team in die gleiche unerklärliche Lethargie, die es schon bei der 1:5-Niederlage im Hinspiel gezeigt hatte. „Mit unserer Defensive bin ich eigentlich weitestgehend zufrieden", sagte Lee über die bisherigen Leistungen in der Vorbereitung, „aber vorne müssen wir definitiv mehr machen. Wir müssen endlich unser Überzahlspiel nutzen und mehr Tore schießen." Hierbei ruhen die Hoffnungen auch auf Giovanni Fiore. Der 24 Jahre alte Kanadier ist „ein Goalgetter", wie Sportdirektor Richer erklärte, „und eine sehr gute Verstärkung für uns." Möglich machte den Transfer der NHL-Kooperationspartner Los Angeles Kings. Fiore lief zuletzt für L.A.’s Farmteam Ontario Reign in der American Hockey League (AHL) auf. Dort gelangen dem Stürmer in 134 Spielen insgesamt 52 Scorer-Punkte (32 Tore und 20 Assists).
„Wir müssen unser Überzahlspiel nutzen und Tore schießen"
Die Eisbären also demnächst mit Fiore und Furore? Zweifel sind angebracht, auch wenn das Team nach der neunmonatigen Zwangspause darauf brennt, endlich wieder für Punktspiele aufs Eis zu dürfen. „Die gesamte Mannschaft ist voller Vorfreude", sagte Kapitän Hördler. Alle wüssten, „was die Clubs, die Besitzer, wir Spieler aber auch die Fans opfern mussten. Jetzt geht es endlich los." Die Fans dürfen aber noch nicht zu den Spielen in die Arena am Ostbahnhof, und auch sonst ist kaum etwas wie gewohnt. Die Liga wurde für die Vorrunde in zwei regionale Gruppen geteilt, die Eisbären duellieren sich hauptsächlich mit den Teams aus dem „Norden". Das soll die Reisekosten drücken und das Infektionsrisiko senken.
„Der neue Modus wird interessant und ist für mich die perfekte Lösung", findet Richer. Nach der von 52 auf 38 Spieltage verkürzten Hauptrunde schließen sich die Play-offs an, der Meister steht spätestens am 7. Mai 2021 fest – wenn Corona den Plänen keinen Strich durch die Rechnung macht. Dass die Eisbären bis zum Ende dabei sind, glauben nur die wenigsten Experten. Aber diese Saison ist so unberechenbar wie keine andere zuvor. Es ist also auch nicht ausgeschlossen, dass Maxim Lapierre im Mai seine Entscheidung vom Dezember bereut.