Die Feuerhölle und das Wunder von Bahrain, der Sensationssieg und ein „Hühnerhaufen" in der Wüste, der Aufstieg von Mick Schumacher in die Formel 1 und ein gefrusteter Sebastian Vettel – der letzte Dreierpack sorgte für Schlagzeilen auf und abseits der Rennstrecken.
Was für ein nervenaufreibender, mitreißender und emotionaler Schlussakkord beim Einbiegen der Formel 1 auf ihre Zielgerade in der Saison 2020! Und das, obwohl beide Titel in der Fahrer- und Konstrukteurs-WM vorzeitig mit Lewis Hamilton und seinem Mercedes-Team entschieden waren. Zwei Rennen in Bahrain auf unterschiedlichen Streckenvarianten und das Finale in Abu Dhabi bildeten den dritten und letzten Triple-Header der Saison. Heißt: drei WM-Läufe an drei aufeinanderfolgenden Wochenenden. Und die hatten es in sich.
Das Mercedes-Imperium, zuletzt mit sechs Siegen seit 2014 in dem Wüstenstaat erfolgreich, musste 2020 beim Saisonfinale in Abu Dhabi den Platz an der Sonne einem „Jungbullen" überlassen. Der „fliegende Holländer" Max Verstappen hatte nach seiner dritten Poleposition seinen zweiten Saisonsieg eingefahren, seinen zehnten Triumph insgesamt. Der Bulle kontrollierte das Finalrennen von Anfang bis zum Ende. „Es war ein bisschen überraschend, dass wir das Rennen so im Griff hatten", sagte der Sieger erstaunt. Red-Bull-Boss Christian Horner lobte seinen Angestellten: „Max ist das dominanteste Rennen für Red Bull gefahren." Bullen-Berater Helmut Marko: „Der Sieg von Max war eine Genugtuung für die vielen Rückschläge in diesem Jahr."
Die Mercedes-Armada mit Valtteri Bottas als Start-Zweiter und Lewis Hamilton von Startplatz drei konnten dem „fliegenden Holländer" in dem wenig aufregenden Finale nicht einheizen. Der am Ende Zweitplatzierte Bottas, zum zweiten Mal Vize-Weltmeister, erklärte: „Wir hatten gegen die überraschende Pace von Red Bull keine Chance. Wir können nicht immer gewinnen, das weiß auch Hamilton." Der alte und neue Champion Hamilton erklärte als Drittplatzierter, dass seine Corona-Erkrankung sein Rennen „massiv" beeinflusst habe, weil er physisch nicht komplett gesund sei. „Ich war körperlich am Ende. So schlimm ging es mir noch nie", so Hamilton zu seiner Infektion.
Sebastian Vettel konnte mitfühlen. Wenn auch auf eine andere Art. Nach seinem 118. Rennen in Rot war das Finale im Wüsten-Emirat für den Ferrari-Piloten mit Platz 14 hinter Stallgefährte Leclerc eine Art „Befreiung". Auch in der Fahrer-WM kam Vettel nicht über Rang 13 hinaus. So schlecht lief es für ihn noch nie. Es war ein Seuchenjahr. Und so orakelte der 2015 als Ferrari-Heilsbringer gestartete Pilot vor seiner Abschiedsvorstellung: „Ich glaube, es wird nix Besonderes werden, kein Höhepunkt. Die Saison war so schlecht, dass ich mich freue, die Zielflagge zu sehen und dass es vorbei ist." Aus und vorbei die unvollendete Ferrari-Zeit ohne WM-Titel für Sebastian Vettel.
Linker Schuh war in der Pedalerie eingeklemmt
Was geschah in den beiden Grands Prix zuvor? Das erste Bahrain-Rennen war die Hölle. Ein Flammeninferno. Und ein Wunder am ersten Advent. Da brannten alle Kerzen und alle Schutzengel waren im Dienst. Das Rennen war noch in der ersten Runde, gerade erst 15 Sekunden alt, da stockte den Zuschauern der Atem. Romain Grosjean war mit seinem Haas-Ferrari nach einer Berührung mit dem Alpha Tauri-Boliden des Russen Daniil Kvyat entgleist und mit 221 km/h frontal in die Leitplanke geschossen. Dabei schob sich die Nase seines Renners zwischen die oberste und unterste der drei Stahlschienen. Das Auto zerbrach in zwei Teile, der Tank wurde herausgerissen. Ein Feuerball brach aus. 28 Sekunden war Grosjean gefangen in dem Flammenmeer. Dann konnte er sich aus eigener Kraft aus dem zerfetzten, brennenden Wrack retten. Der 34-jährige Franzose entkam dem Inferno ohne linken Schuh, der in der Pedalerie eingeklemmt war. Mit Verbrennungen zweiten Grades an den Handgelenken entkam Grosjean der Feuerhölle. Er hat den schlimmstmögliche Unfall mit einer gehörigen Portion Glück überlebt. Die Formel 1 entging nur knapp einer Tragödie. Ein wahres Adventswunder!
Eigentlicher Lebensretter des dreimaligen Familienvaters war nach Experten der Titan-Sicherheitsüberrollbügel. Dieser einst verspottete Halo habe sich als Überlebenswunder erwiesen. Zur Erinnerung: 2017 beschlossen, wurde der Kopfschutz 2018 gegen den Widerstand auch einiger Piloten von der Fia eingeführt. Bis zu zwölf Tonnen Druck muss der sieben Kilo schwere Bügel aus Titan, der aus der Flugzeugindustrie übernommen worden ist, aushalten. „Halo ist die hässlichste Modifikation in der Formel-1-Geschichte", so die Meinung des damaligen Halo-Gegners Lewis Hamilton. „Ohne dieses System wäre Romain Grosjean vermutlich geköpft worden oder er wäre in der Leitplanke aufgeschlitzt worden", so die Feststellung Hamiltons nach Grosjeans Horror-Unfall heute. Auch Grosjean gehörte damals zu den Kritikern des Cockpit-Bügels. „Aber heute denke ich, es ist das großartigste Ding, was die Formel 1 entwickeln konnte", gab der Haas-Pilot in einem Video-Tweet zu. Sicherheit geht vor Ästhetik, heißt heute das Motto über den zuvor verspotteten Heiligenschein. Für den Wahlschweizer Grosjean war es der insgesamt 50. Ausfall in seinem 179. Grand Prix, der gleichzeitig das Ende seiner Karriere bedeutete. In den beiden letzten Saisonrennen wurde der Franko-Schweizer durch Testfahrer Pietro Fittipaldi, Enkel von Legende Emerson Fittipaldi, ersetzt. Der elfte Saisonsieg von Lewis Hamilton, sein 95. Grand-Prix-Triumph insgesamt nach seiner 98. Poleposition, geriet nach dem Wunder in der Sakhir-Wüste zur Nebensache. Das Podium komplettierten Max Verstappen im Red Bull und sein Teamkollege Alex Albon. Vettel landete wieder einmal außerhalb der Punkteränge auf Platz 13 und spielte im Rennen keine Rolle.
Hamilton wurde vom Coronavirus ausgebremst
Keine Rolle im zweiten Bahrain-Rennen, dem Großen Preis von Sakhir, spielte Weltmeister Lewis Hamilton – was aber keinen sportlichen Grund hatte. Der Mercedes-Superstar wurde vom Coronavirus ausgebremst und begab sich daher in eine zehntägige Selbstisolation. Ersetzt wurde er von George Russell. Der 22 Jahre alte Brite, seit 2017 Teil des Mercedes-Juniorprogramms, fährt aktuell eigentlich für Mercedes-Partner Williams, bekam aber die Freigabe. Seine bisher punktlose Strähne sollte beim Nachtrennen in der Sakhir-Wüste auf der verkürzten Streckenvariante des Bahrain-Circuit zu Ende sein. Erstmals saß Russell nicht in einem Hinterbänkler-Auto, sondern im schnellsten Rennwagen des Feldes – in einem Weltmeisterauto. Sein Traum wurde wahr, einen Mercedes in der Formel 1 zu fahren. In der Qualifikation scheiterte das Top-Talent knapp an seinem erfahrenen Mercedes-Teamkollegen Valtteri Bottas, der auf die Poleposition fuhr. Beim Rennstart verlor der Finne diesen Platz an den Hamilton-Ersatz. Russell führte sensationell das Wüstenrennen an. Die beiden Mercedes-Piloten hatten eigentlich alle und alles im Griff. Russell und Bottas waren auf dem Weg zu einem sicheren Doppelsieg. 60 von 87 Umläufen sah es auch danach aus. Doch dann brach bei Mercedes das Chaos aus. Bei den Boxenstopps waren die Perfektionisten völlig von der Rolle. Russell wurden die Vorderreifen aufgezogen, die für Bottas vorgesehen waren. Dadurch wurde auch der direkt folgende Bottas-Stopp vermurkst. Nach einer Runde wurde bei Russell zurückgewechselt. Als „peinlichen Hühnerhaufen" kommentierte der Schweizer „Tages-Anzeiger" das Boxenchaos. Dieser Blackout kostete Russell die Führung. Später hatte der pfeilschnelle Aushilfsfahrer noch einen Plattfuß. Nach seinem insgesamt vierten Stopp ist Russell noch auf Rang neun vorgeprescht, kassierte zwei WM-Punkte und einen Zusatzzähler für die schnellste Rennrunde. Der Mercedes-Debütant war am Boden zerstört: „Das war ein Schlag in die Magengrube. Ich habe alles gegeben, was ich hatte." Aber auch Positives konnte der tragische Held verkünden: „Ich bin unfassbar stolz auf das, was wir erreicht haben, glücklich, die Gelegenheit bekommen zu haben." Sein Chef und Manager, Mercedes-Rennleiter Toto Wolff, fühlte mit seinem Aushilfsfahrer: „Es war herzzerreißend für George nach einer imposanten, bärenstarken Leistung. Ein Star wurde geboren." Mercedes-Routinier Bottas, der vom Team-Neuling abgekocht und entzaubert wurde, beendete das Rennen völlig bedröppelt auf Rang acht. Für das Durcheinander der verbockten Boxenstopps von Russell und Bottas brummten die Rennkommissare dem Mercedes-Team eine Strafe von 20.000 Euro auf.
Nutznießer des Mercedes-Chaos war Sergio Perez. 189 Grand Prix fuhr der Mexikaner einem Sieg hinterher. In Sakhir sah es erneut danach aus. „Nach der ersten Runde war das Rennen eigentlich schon weg", so Perez im Siegerinterview. Der ungestüme Ferrari-Heißsporn Charles Leclerc hatte den Racing-Point-Pilot direkt nach dem Start nach einem übermotivierten Manöver im Getümmel umgedreht. Perez fiel auf den letzten Platz zurück. „Checo" startete aber eine fulminante Aufholjagd, krallte sich mit zehn Überholmanövern die Rivalen, eroberte die Führung und raste zum Sieg. Auch für sein Team war es der erste Triumph. „Ich bin sprachlos", schluchzte Perez in den Boxenfunk. „Ich habe so oft vom Sieg geträumt, jetzt ist er wahr geworden. Zehn Jahre habe ich darauf hingearbeitet. Ich finde jetzt mehr Frieden mit mir selbst", erklärte der 30-jährige Mittelamerikaner. Renault-Pilot Esteban Ocon wurde Zweiter vor Lance Stroll im Racing Point. Fazit: Perez ist der Sensationssieger, Russell Sieger der Herzen. Für Sebastian Vettel, der von Platz 13 gestartet war und Zwölfter wurde, „ging gar nix. Ich habe mich schwergetan, überhaupt mitzukommen. Es scheint, als werden dieses Auto und ich einfach keine Freunde mehr", resignierte der Vierfach-Champion, der in der kommenden Saison in einem grünen Aston-Martin-Renner (Ex-Racing-Point-Rennstall) sitzen wird.
Mick Schumacher steigt als Formel-2-Champion auf
Was die Spatzen in den vergangenen Monaten schon von den Dächern pfiffen, wurde zwischen den beiden Bahrain-Rennen offiziell bestätigt: Mick Schumacher wird 2021 für den US-Rennstall Haas in der Formel 1 starten. Im Rahmenprogramm des zweiten Bahrain-Rennens krönte sich der 21-jährige Sohn von Legende Michael Schumacher zum Formel-2-Champion. Der Neffe von Ralf Schumacher (sechs Grand-Prix-Siege) wird als dritter Schumacher – 30 Jahre nach dem Debüt seines Vaters und 2.928 Tage nach dessen letztem Rennen (Grand Prix Brasilien 2012) – die Familientradition fortsetzen. Der Wahl-Schweizer kommt aus dem Ferrari-Ausbildungsrennstall für angehende „Formel-1-Studenten" und durfte im ersten Freitagstraining zum Grand Prix Abu Dhabi im Haas-Boliden (mit Ferrari-Motor) Formel-1-Luft schnuppern. „Er hat einen Superjob gemacht, hat alles umgesetzt, was von ihm verlangt wurde", lobte Haas-Teamchef Günther Steiner seinen neuen Fahrer. Am vergangenen Dienstag (15. Dezember) absolvierte er in Abu Dhabi Testfahrten für junge Fahrer. „Wir müssen realistisch bleiben und unsere Erwartungen managen", warnte der künftige Formel-1-Debütant vor zu hohen Vorstellungen. Sein künftiger Rennstall beendete die Saison in der Teamwertung auf dem neunten und somit vorletzten Platz.