Corona, Trump, Brexit: 2020 hat alte Gewissheiten auf den Kopf gestellt
Was für ein Jahr! Künftige Historiker werden 2020 vielleicht einmal als Epoche der multiplen Umbrüche definieren. Zu viel und zu Gravierendes ist auf der Welt passiert. Die Corona-Pandemie überzog unseren Planeten als flächendeckende Katastrophe. US-Präsident Donald Trump stellte die politischen Naturgesetze auf den Kopf. Zwischen Russland, China und Brasilien feierten Autokraten eine neue Hochzeit. Der Brexit besiegelte das Ende des alten Europas. Sicher geglaubte Gewissheiten kollabierten. Die Zukunft ist eine große Nebelwand, hinter der noch keine klare Silhouette erkennbar ist.
Bislang waren Naturkatastrophen geografisch begrenzt. Hurrikans wüten vor allem in der Karibik, Tsunamis in Ostasien und Erdbeben da, wo sich tektonische Platten verschieben. Doch das Coronavirus räumt mit der Illusion einer nur regionalen Ausbreitung auf. Als die chinesische Metropole Wuhan am 23. Januar abgeriegelt wurde, dachten viele: weit weg. Auch als Ende Januar ein Mitarbeiter des bayerischen Automobilzulieferers Webasto positiv auf Corona getestet worden war, schrillten noch keine Alarmglocken.
Doch die Wochen danach machten klar, dass aus der Epidemie eine Pandemie geworden ist, eine weltumspannende Seuche. Die Fotos der nächtlichen Leichentransporte in der norditalienischen Stadt Bergamo Mitte März gingen um den ganzen Erdball. Kurz darauf verhängte Deutschland den ersten harten Lockdown.
Die Pandemie pulverisierte den Glauben, dass Corona politisch kontrollierbar sei. Auf einmal machte sich vielerorts die Erkenntnis breit, dass die gesamte Menschheit in einem Boot sitzt. Volkswirtschaften wurden fast komplett heruntergefahren. Viele Länder hatten mit härteren Rezessionen zu kämpfen als nach dem New Yorker Börsen-Crash 1929 oder während der Finanzkrise 2008/09. Die Globalisierung, die grenzenlose Lieferketten ermöglichte, erlebte einen beispiellosen Absturz. Der Traum vom ewigen Wachstum war geplatzt.
Ebenso erschüttert wurde die Hoffnung, dass Amerika nach Trumps irrlichternden Provokationen irgendwann in ruhigere Gewässer zurückkehrt. Im Gegenteil: Der Kurs des US-Präsidenten verschärfte sich. Er stellte nicht nur Bündnisse wie die Nato sowie internationale Organisationen und Verträge zur Disposition. Der Republikaner legte mit seinem pseudo-legalistischen Feldzug gegen den Wahlsieg seines demokratischen Herausforderers Joe Biden die Axt an die US-Demokratie.
Die Präsidentschaft Trumps war ein Kampf der Welten: Religion gegen Wissenschaft, Kampagne gegen Wahrheit. Was nicht das PR-Gütesiegel einer Pro-Trump-Botschaft trug, war „Fake News". Das neue Glaubensbekenntnis im Weißen Haus lautete: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf." Die Unwahrheit sollte durch die mantrahafte Behauptung derselben zur Wahrheit umgebogen werden. Noch nie in der Geschichte der USA fand eine Umwertung der Werte statt wie von 2017 bis 2020.
Und dennoch: Das vermutlich größte positive Vermächtnis Trumps ist die neue Dynamik im Nahen Osten. Dass neben Ägypten und Jordanien vier weitere arabische Staaten diplomatische Beziehungen mit Israel aufgenommen haben, ist ein Quantensprung, der lange Zeit undenkbar war. Dieser wurde allerdings durch die Verhärtung des Atom-Streits mit dem Iran teuer erkauft.
Die Präsidentschaft Trumps führte weltweit zu einem Aufschwung für Autokraten. Die USA betrieben einen neuen Isolationismus („America First") und verabschiedeten sich von ihrer Rolle als demokratisches Gegenwicht. Gleichzeitig bauten Staatschefs wie Wladimir Putin (Russland), Recep Tayyip Erdogan (Türkei), Xi Jinping (China) und Jair Bolsonaro (Brasilien) ihre Herrschaft aus. Peking drückte die Coronazahlen durch einen Mega-Lockdown gegen null und nutzte die Pandemie zu einem noch rasanteren wirtschaftlichen Aufstieg.
Davon kann Europa derzeit nur träumen. Der Brexit wird im Vereinigten Königreich wie auch in der EU zu einem noch größeren Einbruch der Konjunktur führen. Aber selbst wenn die Trennung irgendwann vollzogen wird: Die Geschichte ist nicht vorbei. Länder wie Polen und Ungarn quittieren den Ausstieg der Briten mit Schadenfreude, das Feindbild Brüssel sitzt tief. Der Spaltpilz ist weit verbreitet. Das Bild der alten EU, die sich von Kompromiss zu Kompromiss hangelte, wird immer schwerer durchzuhalten sein.