Impfzentren in Deutschland melden sich einsatzbereit. Der Druck auf die Europäische Zulassungsbehörde ist enorm. Impfungen könnten wohl um Weihnachten starten.
Eigentlich steht alles bereit. Die Vorbereitungen der letzten Wochen sind auf Hochtouren gelaufen. Detaillierte Pläne legen sogar Laufwege fest, es sieht aus, als sei an alles gedacht, bis hin, natürlich, zur Frage der Entsorgung von medizinischem Abfall. Die Impfzentren sind bundesweit einsatzbereit, melden Gesundheitsministerien quer durch die Republik. Was fehlt, ist der Impfstoff.
Die erste Impfung einer betagten Patientin in Großbritannien hatte für weltweite Aufmerksamkeit gesorgt. Es folgten Zulassungen des Impfstoffs in den USA und weiteren Ländern. Der Antrag des deutschen Unternehmens Biontech liegt in Brüssel bei der zuständigen Behörde vor. Aber die Entscheidung der Europäischen Arzneimittelagentur Ema lässt auf sich warten.
Es geht um die bedingte Marktzulassung. Die hatte auch Biontech-Konkurrent Moderna (USA) für Europa beantragt. In der Bevölkerung aber auch in der Politik hat sich derweil zunehmend Unmut und Unverständnis breit gemacht, dass sich der EU-Prozess so lange hinzieht. Alle Hoffnungen hatte sich darauf gerichtet, deutlich vor Weihnachten mit dem Impfen zu beginnen. Nach intensiven Beratungen auch unter Beteiligung des Deutschen Ethikrats, der Akademie der Wissenschaften Leopoldina sowie der nationalen Impfkommission war eine Priorisierung entwickelt worden, also eine Reihenfolge, wer bei zunächst knappen Impfstoffen zuerst geimpft werden soll.
Dass jetzt ausgerechnet der von einer deutschen Firma entwickelte Impfstoff zwar in anderen Ländern, nicht aber quasi zu Hause zugelassen ist, und das bei einer Entwicklung, die zum zweiten echten Lockdown geführt hat, verstört. Eine Erklärung sind die unterschiedlichen Zulassungswege. Großbritannien und die USA haben den Weg über eine sogenannte Notfallzulassung gewählt. In Europa hat man sich auf einen gemeinsamen Weg einer „bedingten Zulassung" über die Ema verständigt.
Unterschiedliche Zulassungswege
Eine Notfallzulassung kann für ein noch nicht freigegebenes Medikament vorübergehend erteilt werden, dafür werden in den Staaten bestimmte Daten zugrunde gelegt. Das Verfahren bei der Ema schafft neben der Prüfung der üblichen Kriterien wie Wirksamkeit und Sicherheit die Grundlage für die europaweite Zulassung. Hersteller sind dabei in einer stärkeren Verantwortung, Daten zu liefern. Für die bedingte Zulassung müssen noch nicht alle notwendigen Daten vorliegen, diese müssen aber so schnell wie möglich und laufend nachgereicht werden.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verteidigt die Entscheidung. Dahinter steht auch die Hoffnung, durch ein intensiveres Verfahren das Vertrauen in den Impfstoff zu stärken. „Wir hatten von Anfang an den Ansatz: Vertrauen ist wichtig", so der Minister. Denn längst haben sich hierzulande Impfgegner mobilisiert, und längst sind irreführende und falsche Meldungen im Netz im Umlauf. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hatte sein Unverständnis für die Dauer der Prozedur bereits zu Protokoll gegeben. Es sei „erklärungsbedürftig, dass Großbritannien einen deutschen Impfstoff einsetzen kann, wir aber nicht". Nach seiner Einschätzung habe Deutschland „beim Impfen fünf Wochen verloren". Eine Reihe anderer Kritiker äußerte sich ähnlich. Dagegen verteidigt die Ema die Prozedur. Es werde rund um die Uhr gearbeitet, aber das Zulassungsverfahren sei kaum zu beschleunigen, wird Ema-Direktorin Emer Cooke zitiert. Allerdings würden die Fristen „ständig neu bewertet".
Die Europäische Arzneimittelagentur hat seit vergangenem Jahr ihren Sitz in Amsterdam. Zuvor war sie in London angesiedelt. Als Folge des Brexit war der Umzug im Jahr 2017 beschlossen worden. Die Agentur spielt eine zentrale Rolle bei der Zulassung in der Europäischen Union, sie definiert unter anderem Sicherheitsstandards und führt eine fortlaufende Überwachung der Sicherheit bereits zugelassener Arzneimittel durch.
Dass jetzt Jens Spahn mit dem Aufbau der Impfzentren verkündet, Deutschland sei impfbereit, wird als eine indirekte Kritik an der Ema interpretiert. Was wiederum zur Kritik an Spahn selbst führt, weil dieser damit das oft erlebte Schimpfen auf EU-Einrichtungen fortführt. Dabei war es unter den EU-Staaten gemeinsam abgestimmt, das Verfahren über diesen Weg laufen zu lassen. Mit gutem Grund nach dem Prinzip, dass Gründlichkeit vor Schnelligkeit zu gehen habe. Das mag nach diesem nervenzerreibenden Jahr und angesichts des vorweihnachtlichen Lockdowns zwar zu Verärgerung führen, es bleibt aber die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit und damit der Alternative.
Impfbereitschaft bei 70 Prozent
Natürlich ist der Druck auf die Ema, zu einer Entscheidung noch vor Weihnachten zu kommen, zuletzt massiv gestiegen. Das ursprünglich von der Agentur genannte Datum 29. Dezember scheint angesichts der derzeitigen pandemischen Entwicklung wie eine Ewigkeit hin. Nach dem letzten Stand der Dinge sollen Kanzleramt und Gesundheitsministerium den Druck auf die Zulassung verstärkt haben. Das Datum 23. Dezember steht nun im Raum.
Ungeachtet des Zulassungsstreits sind in den letzten Wochen bundesweit rund 400 Impfzentren aufgebaut worden. Dazu sind nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums 27 Verteilzentren mit am Start. Über diese soll die Verteilung je nach Bevölkerungsanteilen organisiert werden. Die Impfung erfolgt in den Zentren beziehungsweise über mobile Teams, die beispielsweise Senioreneinrichtungen aufsuchen sollen.
Nach der Priorisierung sollen zunächst sogenannte vulnerable, ältere Bevölkerungsgruppen geimpft werden sowie besonders gefährdetes medizinisches Personal. Eine im Detail konkrete Festlegung stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.
Die Pläne für die Impfzentren sind dagegen höchst detailliert, bis auf die Minute genau werden dort Abläufe skizziert, um eine möglichst große Zahl von Impfungen möglichst effektiv durchführen zu können. Die größte Herausforderung wird aber nach Stand der Dinge nicht das Impfen selbst sein, sondern die Koordination der Terminvergaben. Einerseits müssen Situationen mit größerem Andrang logischerweise verhindert werden, gleichzeitig muss die Terminvergabe mit der Zulieferung aus den Verteilzentren koordiniert sein. Das verlangt einiges an logistischer Leistung ab.
Die Impfbereitschaft in Deutschland hat in der jüngsten Zeit offenbar gelitten, ist aber immer noch auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Nach dem letzten Deutschlandtrend (Dezember) würden sich noch über 70 Prozent der Befragten auf jeden Fall oder höchstwahrscheinlich impfen lassen. Damit liegt die Zahl um ein paar Punkte unter der von vorangehenden Befragungen. Möglichweise steigt die Bereitschaft aber weiter, wenn die Impfungen erst angelaufen sind.
Für den Präsidenten des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, ist jedenfalls klar: „Der Impfstoff ist der entscheidende Game-Changer."