Sie waren einem Wechselbad der Vorschriften, der Öffnungen und Schließungen ausgesetzt. Die Schulen bleiben trotz allem eine Quelle der Ansteckungen.
Die Generalprobe fand im Frühjahr statt: Von Mitte März bis Mitte Mai wurden bundesweit alle Schulen und Kitas geschlossen. Sechs Wochen davor, am 30. Januar, hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite" festgestellt. Im Februar traten die ersten Todesfälle auf, an immer mehr Orten erkrankten die Menschen. Italien diskutierte über Schulschließungen. Am 13. März beschlossen dann die Bundesländer die Schließung von Schulen und Kitas bis zum Ende der Osterferien.
Die Bundesregierung kündigte Hilfen für die Wirtschaft an. Bundestag und Bundesrat beschlossen im Eilverfahren Erleichterungen für die Kurzarbeit. „Wir haben es mit einer sehr ernsten und komplexen Bedrohung zu tun", stellte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) an diesem Nachmittag klar und verkündete für sein Bundesland: „Die Schulen in Nordrhein-Westfalen werden durch das Vorziehen der Osterferien ab sofort geschlossen." Bereits am frühen Morgen war allerdings Bayern vorgeprescht, hatte Markus Söder (CSU) die gleiche Nachricht verkündet.
Damit sich Schulen und Familien auf die wochenlange Schließung einstellen konnten, gab es eine zweitägige Übergangsfrist. Denn der Lockdown traf die Schullandschaft unvorbereitet. Von einem Tag auf den anderen mussten sich die Kultusministerien der Länder, Schulämter, die Schulen selbst komplett umstellen. Eine riesige Maschinerie wurde in vollem Lauf gestoppt.
Überall begannen die Schulleiter und mit ihnen die Lehrkräfte zu experimentieren. Digitaler Unterricht hieß das Zauberwort: Der Lehrer hat zu Hause auf seinem Laptop per Zoom oder Webex die Klasse vor sich. Jeder Schüler ist online mit seinem Tablet, Smartphone oder Laptop verbunden. Der Unterricht kann beginnen. Das war die Idealvorstellung. In den wenigsten Fällen lief es so. Manche Schulen hatten gar keinen W-Lan-Anschluss, andere hatten zwar einen Computerraum, aber keinen Zugriff auf Lernprogramme. Wieder andere hatten von dem ganzen digitalen Geschäft keine Ahnung. Und zuletzt hing es natürlich auch an den sozialen Umständen: Schüler aus besser gestellten Bildungshaushalten hatten natürlich die entsprechende Ausrüstung, andere aus sozial schwachen Familien verfügten gerade mal über ein Prepaidhandy.
Kaum Planungen für zweite Welle
Kanzlerin Angela Merkel und das Corona-Kabinett berieten Mitte April über die Lage. Die Kulturministerien bekamen den Auftrag, bis Ende April ein Konzept vorzulegen, „wie der Unterricht unter besonderen Hygiene- und Schutzmaßnahmen, insbesondere unter Berücksichtigung des Abstandsgebots durch reduzierte Lerngruppengrößen, insgesamt wieder aufgenommen werden kann." Das Konzept sah einen gestuften Unterrichtsbeginn vor, geteilte Klassen, regelmäßiges und sorgfältiges Händewaschen und die Einhaltung eines Sicherheitsabstands von mindestens 1,5 Metern zu anderen Schülern, regelmäßiges Lüften, eine Regelung, die Pausen- und Essenszeiten entzerrt, und den Schutz älterer und vorerkrankter Lehrer. Jede Schule sollte einen eigenen Hygieneplan aufstellen. In der Öffentlichkeit galt ab Ende April bundesweit die Maskenpflicht. Ob sie auch in Schulen angewandt wurde, bestimmten die Länder.
Mitte bis Ende Mai wurden die Schulen und Kitas Schritt für Schritt wieder geöffnet. Zwar war der Wechsel zwischen Präsenzunterricht und Unterricht zu Hause möglich, aber insgesamt drängten die Länder darauf, dass die Kinder in ihre Schulen kamen. Insbesondere sollten jetzt die Abschlussprüfungen für das Abitur und die Mittlere Reife durchgezogen werden. Lehrer, Schüler und Eltern bemühten sich redlich, den Hygienevorschriften Genüge zu tun: Ein- und Ausgänge wurden markiert, auf den Fluren gibt es getrennte Wege, überall stehen Desinfektionsmittel für die Hände herum. Doch trotz allem gelang es nicht, zum Beispiel die Abstandsregeln für die Pausen durchzusetzen. Kinder lassen sich eben nicht auf 1,50 Meter Distanz zueinander festlegen, wenn es darum geht, miteinander zu spielen oder einfach nach dem langen Sitzen in der Klasse herumzurennen.
Anfang Juni kam es bei bestem Frühlingswetter zu ersten Lockerungen. Um Pfingsten herum (1. Juni) wurde Reisen wieder erlaubt, die Gastronomie durfte wieder aufmachen, auch die Ferienflieger starteten ins europäische Ausland – mit der Folge, dass zwei bis drei Wochen später alle Rückkehrer getestet werden mussten. Die Zahl der Neuinfizierten ging im Juni auf 200 bis 500 Fälle pro Tag zurück. Im März waren es noch 15.000 Infizierte. In den Wochen danach redete alles über den R-Wert, den sogenannten Reproduktionswert. Ist er kleiner als 1 bedeutet das, dass die Zahl der Infizierten zurückgeht, ist er größer, beschreibt er, wie viele Menschen ein Infizierter anstecken kann.
Das Gefühl, man habe die Seuche im Griff und vielleicht sogar schon überstanden, machte sich auch an den Schulen breit. Obwohl die Virologen davor warnten, dachte kaum jemand an eine zweite Welle. Zwar kam es zu einzelnen Ausbrüchen, etwa in Rheda-Wiedenbrück in einer deutschen Fleischfabrik. Der Kreis Gütersloh schloss Schulen und Kitas bis zu den Sommerferien und stellte mehr als 7.000 Menschen unter Quarantäne. Ähnliche Fälle ereigneten sich in Magdeburg, Bayern, Leer – Hotspots schienen auch die wilden Partys von Jugendlichen in Berliner Parks oder im Hamburger Schanzenviertel zu werden.
An den Schulen wurde derweil weiter aufgerüstet: In den meisten Bundesländern müssten die oberen Klassen Masken tragen, Spuckwände zwischen den Tischen wurden angeschafft, die Lehrer waren bemüht, die Klassen kleinzuhalten. Es galt: Durchhalten bis zu den Sommerferien, die in den Bundesländern zwischen Anfang Juli und Anfang August begannen. Am 18. Juli zog Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) eine positive Zwischenbilanz der Bekämpfung der Corona-Krise. „Derzeit kann man sagen: Wir haben Corona in Deutschland im Griff." Nur zehn Tage später warnte RKI-Chef Lothar Wieler: „Wir sind mitten in einer sich rasant entwickelnden Pandemie. Die neuen Entwicklungen machen mir große Sorgen." Man wisse nicht, ob dies der Beginn einer zweiten Welle sei.
Tatsächlich stiegen die Zahlen Ende August/Anfang September auf mehr als 1.000 Neuinfektionen. Von da an ging es kontinuierlich immer höher: 5.000, 7.000, 11.000 am 24. Oktober, über 23.000 am 7. November, so viele wie noch nie zuvor in Deutschland bis dahin.
Da hatte das neue Schuljahr nach den Ferien längst begonnen. Trotz der Corona-Pandemie sollte es so viel Normalität für Lehrer und Schüler geben wie möglich. Die Regelungen zwischen den Ländern unterschieden sich teils deutlich. Maskenpflicht im Schulgebäude und auf dem Schulgelände, die Abstandsregelung wurde in manchen Ländern aufgehoben, in anderen bestätigt, die Klassen blieben unter sich, es gab feste Lerngruppen, und für alle Lehrer waren Tests vorgesehen, Masken hingegen (noch) nicht überall vorgeschrieben. Neu hinzu kam das regelmäßige Lüften, was in vielen Schulen daran scheiterte, dass ab dem zweiten Stock die Fenster aus Sicherheitsgründen nicht zu öffnen sind.
Auch Kinder übertragen Viren
Ende Oktober beschlossen Bund und Länder einen Teil-Lockdown. Ab dem 2. November sollten soziale Kontakte auf zwei Haushalte begrenzt werden, die Gastronomie- und Tourismusbranche im gesamten Monat November schließen, ebenso Kultureinrichtungen. Die Verlängerung bis Ende Dezember folgte auf dem Fuße. Schulen, Handel und Wirtschaft sollten dagegen am Laufen gehalten werden. Niemand wollte eine Rückkehr zu den Schulschließungen wie zu Jahresanfang, die Kinder sollten sich nicht vereinzeln, sie brauchen ihre Freunde, sagten die Politiker. Und: Die Eltern sollen ihrer Arbeit nachgehen können. So saßen nun Schüler und Lehrer mit Masken vor dem Mund in dicken Thermojacken bei geöffneten Fenstern in ihren Klassenräumen und beschäftigten sich größtenteils mit Eigenarbeit, weil sie sich durch den Mundschutz nur schlecht untereinander verstanden.
Die Pandemie aber hält all dies nicht auf. Nach Angaben des Deutschen Lehrerverbandes waren Mitte November mehr als 300.000 Schüler wegen Corona in Quarantäne, plus Tausende Lehrer. Das klingt wenig bei rund zehn Millionen Schülern. Doch das Risiko lässt sich nicht von der Hand weisen: Auch Kinder übertragen das Virus. Es liegt wohl auch an den Infektionen, die von Schülern und Lehrern auch außerhalb der Schulen ausgehen, dass die Kurve im Dezember extrem angestiegen ist. Eine systematische Untersuchung, ob Schulen Infektionstreiber sind, gibt es bis heute nicht, sie fehlt auch für den öffentlichen Nahverkehr. Aber dass von ihnen ein Risiko ausgeht, sollte sich die Gesellschaft eingestehen – und damit verbunden, ob es sich lohnt, dieses Risiko weiter einzugehen. Ob der zweite Lockdown ab Mitte Dezember bis 10. Januar ausreichen wird oder zu spät kam, wird sich zeigen.