2020 hätte das Jahr des erneuten Triumphes für den noch amtierenden US-Präsidenten bedeuten können – hätte, denn dann kam das Virus. Wie denkt wohl Donald Trump über das vergangene Jahr? Der Versuch einer Annäherung.
Es hätte ein fantastisches Jahr für Donald Trump werden können. Die Wirtschaft boomte, auch mithilfe seiner immensen Steuererleichterungen von 2017, die vor allem den Banken, höheren und höchsten Einkommen sowie Unternehmen zugutekamen. Die Arbeitslosigkeit, die seit Oktober 2018 bei knapp vier Prozent lag, sank weiter. Die Mauer zu Mexiko wurde gebaut, indem der Präsident einfach Pentagon-Gelder aus „Gründen der nationalen Sicherheit" am Kongress vorbei umlenkte. Mehrere Hundert konservative Bundesrichter hatte der republikanisch dominierte Senat abgenickt. Den vakanten Sitz, den der verstorbene Supreme-Court-Richter Antonin Scalia 2016 hinterlassen hatte, blockierte der republikanische Mehrheitsführer Mitch McConnell mithilfe von prozeduralen Tricks solange vor dem damaligen Präsidenten Obama, bis sein Nachfolger Donald Trump einen Hardliner-Kandidaten, Neil Gorsuch, installieren konnte. Und dann das große Glück, einen zweiten Konservativen zum Obersten Gericht der USA zu schicken: Brett Kavanaugh, der trotz einer Schmutzkampagne, einer angeblichen Vergewaltigung und einer demütigenden öffentlichen Anhörung vom Senat ungerührt durchgewunken wurde.
Es hätte ein fantastisches Jahr werden können. Fantastisch, ein Land und 300 Millionen Bürger führen zu können vom Golfplatz aus, etwas, das er seinen Vorgängern im Amt per Twitter regelmäßig vorgeworfen hatte. 292-mal fuhr oder flog Trump in einen seiner Golfclubs, mehr als jeder seiner Vorgänger, natürlich mit Sicherheits-Entourage, zum Preis von bislang insgesamt 142 Millionen US-Dollar an Steuergeldern. Gleichzeitig checkten die Führer der restlichen Welt, Diplomaten und Politiker, in seinen Hotels ein, bescherten ihm laut „Forbes" 1,9 Milliarden US-Dollar an Einnahmen in den ersten drei Jahren seiner Präsidentschaft.
Ja, ein fantastisches Jahr für Trump, für „America first", in dem er die Truppen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak zurückgezogen hätte, ohne mit Verbündeten vorab darüber zu reden, warum auch, sind ja seine. Immerhin bezahlen einige ihre Nato-Beiträge nicht, und außerdem versuchte Außenminister Mike Pompeo die Taliban zu einer Regierungsbeteiligung in Kabul zu überreden, solange die US-Soldaten noch im Land sind. Abgesehen davon war das US-Militär nach Jahren des Sparens wieder großartig: 2020 verlangte das Weiße Haus 700 Milliarden US-Dollar Pentagon-Budget vom Steuerzahler. Gut, das Haushaltsdefizit steigerte sich schon 2019 auf fast eine Billion US-Dollar, die USA waren damals schon der größte Schuldner der Welt. Aber wenn erst mal die US-Wirtschaft wieder alles im eigenen Land produzierte statt sich von den gemeinen Kanadiern, Europäern und Chinesen über den Tisch ziehen zu lassen, würde sich das alles wieder einrenken.
300.000 Corona-Tote, 24 Billionen US-Dollar Schulden
Ja, die Chinesen. Sie haben Donald Trump das neue Coronavirus beschert, um ihm damit die Wiederwahl zu verwehren. Dabei hatte er doch so schnell reagiert, die Grenzen des Landes für Chinesen dichtgemacht. Und das Virus öffentlich immer wieder heruntergespielt. Nicht, um eine Panik zu vermeiden, wie Trump dem Journalisten Bob Woodward scheinbar freimütig eingestand, sondern, weil er keine schlechten Nachrichten und Tote mit seiner Person in Verbindung und dem Image des „ewigen Gewinners" bringen wollte. Darum sollte sich Vizepräsident Mike Pence kümmern. Die guten Nachrichten würde er, Trump, natürlich selbst verkünden. Schwiegersohn und Berater Jared Kushner baute gleichzeitig eine Art „Schatten-Taskforce" auf, die statt aus offiziellen Regierungsvertretern aus Freunden und Kollegen Kushners bestand. Sie sollten die Nachschubwege im Kampf gegen das Virus unternehmerisch leiten, den freien Markt entscheiden lassen und nicht den „Deep State", jene schattenhafte, bösartige Organisation aus Karrierebeamten, mit der Trump spätestens in seiner nächsten Amtszeit aufräumen wollte. Kushners Helfer mailten von persönlichen Googlemail-Accounts Freunde und Bekannte an, um Ausrüstung wie Masken und Beatmungsmaschinen zu kaufen, Priorität hatten dabei vor allem reiche Trump-Gönner, beschreiben Recherchen von BuzzFeed und der „New York Times". Wie diese bezahlt werden sollten, war zu keiner Zeit geregelt. Dass die Taskforce versagte, mangels Hierarchien, Absprachen und Budget, war vielleicht abzusehen, aber die USA waren zu diesem Zeitpunkt eben verzweifelt auf der Suche nach einer Lösung des Problems. Denn die Pandemie könnte zum Bumerang für den Präsidenten werden, hieß es schon damals. Im November stand seine Wiederwahl an. Tote und eine kaum vorhandene Corona-Strategie passten nicht ins Bild des erfolgreichen Geschäftsmannes, der internationale Deals zum Wohle der amerikanischen Kleinbürger abschließt, für sie in Washington kämpft, den „Sumpf trockenlegt" und das altehrwürdige politische Establishment in Washington verbal per Twitter abfackelt.
Ohnehin, der Wahlkampf. Je mehr Trump auf den Gegner eindrosch, desto enger schloss sich der Kreis seiner Bewunderer um ihn, den Nicht-Politiker, den Entertainer, der genauso sprach wie der unangenehm laute Onkel auf der Familienfeier. Einer von ihnen. Ein Bauchmensch, der sich von seinen Instinkten statt von diesen elitären Experten leiten ließ, die eh immer alles besser wissen. Ganz abgesehen davon, dass in Umfragen den Aussagen dieses Infektiologen Dr. Anthony Fauci sehr viel mehr vertraut wurde als ihm, dem Präsidenten. Wenn das kein Grund war, Fauci ins Seitenaus zu drängen, was dann? Niemand bekommt bessere Quoten als Donald Trump. Dass sein Herausforderer Joe Biden überhaupt Quoten bekommen sollte in diesem Wahlkampf, stand eh nicht zu befürchten – „Sleepy Joe" versteckte sich wegen des „China-Virus" in seinem Keller, hielt alle paar Wochen eine Ansprache, während die feigen Demokraten auf Online-Wahlkampf zogen und Zoom-Konferenzen abhielten. Die Republikaner aber, stark und frei, kamen zu Trumps Veranstaltungen, mussten unterschreiben, keinerlei Ansprüche an die Wahlkampagne zu stellen, falls sie sich Covid-19 einfingen und daran starben. Für den Fall, dass nach der Wahl ein anderer Ausgang als der eingeplante eintreten sollte, hatte Trump bereits vorgesorgt und das Gerücht in die Welt gesetzt, dass es bei der Wahl nur mit rechten Dingen zuginge, wenn er gewinnen würde. Eine Kommission, die Trumps Vorwürfe des Wahlbetruges schon 2017 erhärten sollte, wurde 2018 ergebnislos aufgelöst.
Zwar sagten die Umfragen einen deutlichen Vorsprung des moderaten, ruhigen, fast schon unsichtbaren Joe Biden voraus, aber auch hier wollte Trump es allen wieder zeigen. Und das tat er am 3. November. 74 Millionen Amerikaner stimmten für ihn, ein riesiger Triumph am Wahlabend, die zweite Präsidentschaftsperiode in greifbarer Nähe.
74 Millionen Stimmen für Trump waren am Ende zu wenig
Doch dann begann das Zählen der Briefwahlstimmen. Zwei Drittel der Amerikaner nutzten nach Angaben des öffentlich-rechtlichen US-Senders NPR die Möglichkeit zur Briefwahl, registrierte Republikaner wie Demokraten. Viele Staaten hatten ihre Wahlbestimmungen wegen der Pandemie geändert, um auch diesen Wählern eine Chance bis zur letzten Minute des 3. Novembers zu geben. Über die Wahlnacht hinweg schmolz der Vorsprung von Donald Trump in vielen Swing States ab, er verschwand „auf magische Weise", wie Trump fortan behauptete. Gut, dass er vorgebaut hatte: Hier waren Wahlbetrüger am Werk. Wahlmaschinen seien von Deutschland aus oder von China manipuliert, Hunderttausende von Wahlzetteln seien plötzlich in den Wahllokalen aufgetaucht, republikanische Wahlbeobachter seien mies behandelt worden, Tote hätten gewählt, Menschen seien über Staatsgrenzen gefahren, um woanders noch einmal zu wählen. Für Joe Biden natürlich. Wenige Stunden nach der Wahl setzte Trump wie versprochen seine Anwaltstruppe in Gang. Über 50 abgeschmetterte Klagen später sind die Ergebnisse von den jeweiligen Gouverneuren zertifiziert, die Elektoren ausgewählt, 306 für Joe Biden.
2021 wäre so fantastisch geworden: Trump hätte die Wirtschaft nach diesem Corona-Desaster im Handumdrehen wiederaufgebaut. Schüler hätten fortan „American Exceptionalism", amerikanische Außergewöhnlichkeit, gelernt. Das Militär wäre mit noch mehr Geld weiter ausgebaut worden. Man hätte Obamacare abschaffen und irgendeine andere, wunderschöne Gesundheitsversorgung schaffen können. Und so viel mehr.
Stattdessen bekommen die USA nun Joe Biden. Moderat, ein Freund der Europäer und des Multilateralismus, der Absprachen und Kompromisse, der Fürsorglichkeit. Ein Politiker. Kein legitimer Sieger, denn er kam laut Trump nur per Betrug an die Macht.
Aber die Show muss weitergehen. Die Republikaner wissen genau, welche Macht der autoritäre Populist noch immer hat. Schon in vier Jahren kann es wieder heißen: Donald J. Trump – Präsident der Vereinigten Staaten. Fantastisch.