Ost- und Nordsee statt Karibik oder Mittelmeer, bayerische Hütten statt türkischer Hotels, Vogelpark Walsrode statt Disneyland Paris: Wenn Urlaub möglich war im Corona-Reisejahr 2020, fand er zumeist in Deutschland statt.
Ein paar Deutsche reden übers Reisen. Der erste prahlt mit seinem Roadtrip durch die USA, die zweite schwärmt von ihrem Urlaub in Australien. Verschämt erklärt die dritte: „Wir waren nur im Harz." Unterhaltungen in dieser Art hat man früher oft erlebt. Die letzten davon dürften spätestens Anfang dieses Jahres stattgefunden haben. Dann plötzlich war das Virus da. Unter vielem anderen brachte es das Reisen zum Erliegen. Alles war auf einmal anders. Und Deutschlandurlaub wurde attraktiv wie nie zuvor – trotz Maske im Hotel oder Warten vor dem Restaurant.
Tobias Woitendorf, Geschäftsführer des Tourismusverbandes Mecklenburg-Vorpommern, schätzt dort den Anteil „neuer" Urlauber in diesem Jahr auf 15 bis 20 Prozent. „Das ist jedoch kein Corona-Phänomen", sagt er. Hätten sie wie auch die meisten anderen Gäste doch schon vor Beginn der Pandemie gebucht. Vielmehr zeige sich darin ein Trend, der sich schon seit Jahren abzeichne. Trotz der vergleichsweise hohen Zahl von fünf Millionen Gästen, die 2020 im Lande übernachteten, blieb am Ende eine wirtschaftliche Einbuße, die für viele Unternehmen das Aus bedeuten könnte.
Da man in Meck-Pomm von Ende März bis Ende August Tagesgäste aus anderen Bundesländern gar nicht erst einreisen ließ, tummelten sich an den Stränden, in den Orten sowie auf Rad- und Wanderwegen neben Übernachtungsgästen nur einheimische Ausflügler und Urlauber. Zu Spitzenzeiten wie zu Ferienbeginn oder an sonnigen Wochenenden während der Schulferien kam es hier und da zu überfüllten Parkplätzen und Strandabschnitten. Shuttle-Busse sorgten etwa in Boltenhagen für den entsprechenden Ausgleich.
Phasenweise nur Einheimische
Beim letztlich gut gelungenen Spagat zwischen Sicherheitsvorkehrungen und angemessenen touristischen Angeboten kamen den Akteuren im Nordosten ihre frühzeitig entwickelten gemeinsamen Strategien, Stufenpläne, Branchenplattformen und Infoangebote bis hin zur Telefon-Hotline zugute. Das Corona-Krisenmanagement des Tourismusverbandes Mecklenburg-Vorpommern (TMV) wurde vom Tourismusverband sogar ausgezeichnet.
Urlaubsregionen, die sich nach dem Lockdown mit offenbar unregulierbaren Anstürmen von Tagesgästen arrangieren mussten, hatten es dagegen deutlich schwerer, so zum Beispiel das voralpine Zwei-Seen-Land an der B 11, 70 Kilometer von München entfernt. Die idyllische Gegend rund um Walchensee und Kochelsee wurde an vielen Sommertagen regelrecht von Blechlawinen überrollt. Kilometerlange Staus und Parkchaos, wildes Campen und jede Menge Müll – selbst an Ufern oder Wanderwegen – frustrierten Einwohner wie Urlauber und schädigten Natur und Landschaft.
Das Engagement der bayerischen Wirtschaftslenker hielt sich in Grenzen. Mit dem Online-Angebot „ausflugsticker.bayern" sollte durch aktuelle Infos zu Parksituation und Wartezeiten bei beliebten Ausflugszielen sowie alternativen Tipps der Tourismus im Freistaat entzerrt werden. Geändert hat das gar nichts – zumal die Website gar nicht live bespielt wurde und damit niemals wirklich aktuell war.
Unter anderem an schleswig-holsteinischen Ostseestränden oder städtischen Bodensee-Strandbädern wurden Besucherzahlen mittels Tagestickets reguliert. Weitaus komplizierter war es, die Mindestabstände an frei zugänglichen Badegewässern zu kontrollieren.
Am Walchensee und Kochelsee im Tölzer Land waren dazu diesen Sommer regelmäßig Ranger im Einsatz. Das normalerweise für den Schutz der Isar-Ufer zuständige Personal hatte dort alle Hände voll zu tun. Dabei ging es längst nicht nur um Abstand, sondern ebenso um unerlaubte Feuerstellen und jede Menge Schmutz und Unrat.
Daniel Weickel, Tourismusleiter im Zwei-Seen-Land, will das nicht länger hinnehmen. Was der junge Tourismus-Fachmann für den Walchensee plant, könnte sich an dem Münchner Verein „Deine Isar e. V." orientieren. Der setzt sich seit fast zehn Jahren mit zahlreichen Aktionen für saubere Flussufer in der bayerischen Landeshauptstadt ein.
Begeistert beschreibt Weickel das Projekt: „Der jährliche Kinospot und die Plakataktionen sind Kult. Die witzige, originell verpackte Botschaft trifft den Nerv der Leute. So wächst die Bereitschaft, selbst aktiv zu werden. Bei jedem freiwilligen Aufräumeinsatz kommen mehr, um mitzumachen." Dabei gehe es nicht vordergründig um die Zahl der Teilnehmer als vielmehr um deren Bewusstsein und Identifikation mit einem ganz konkreten Stück Heimat, das es zu bewahren gilt.
Hohe Beteiligung gab es im Oktober auch an der erstmaligen Aktion „Wir putzen die Berge" auf dem Herzogstand. Die freiwillige Müllsammlung entlang der Wanderwege auf dem 1.731 Meter hohen Berg mit Blick auf Kochelsee und Walchensee war ein Gemeinschaftsprojekt des Bergreisemagazins Alpin, des DAV Summit Clubs und der örtlichen Tourismusorganisation.
Freiwillige Müllsammlung in Bayern
Neben Aufklärung und Werbung für mehr Eigenverantwortung der Gäste könnte nach Auffassung von Daniel Weickel auch helfen, den rechtlichen Status der Region auf stabile Füße zu stellen – etwa durch die Schaffung eines Naturparks. „Das würde nicht nur Landschaft, Fauna und Flora gesetzlich besser schützen, sondern wäre auch an eine sinnvolle touristische Vermarktung gebunden", so der Tourismusleiter aus Kochel am See.
Die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Tourismus sind auch in Baden-Württemberg dramatisch. Bis einschließlich September gingen die Übernachtungen landesweit um 43 Prozent zurück. „Grund dafür ist vor allem das Fehlen von Geschäftsreisenden und internationalen Gästen. Die tatsächlich gestiegene Nachfrage nach Urlaub im eigenen Land ist erfreulich, konnte aber die Ausfälle nicht kompensieren", sagt Dr. Martin Knauer, Pressesprecher der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg.
„Profitiert haben klassische Urlaubs-Destinationen, vor allem im ländlichen Raum", so Knauer. Besonders überdurchschnittlich habe sich die Bodenseeregion entwickelt. Dort lag der Zuwachs allein im September bei fast 17 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Besonders gefragt waren individuelle Unterkünfte. Im September ebenfalls im Plus lagen der südliche Schwarzwald sowie Oberschwaben und das Württembergische Allgäu.
Um überfüllte Wanderwege im Nordschwarzwald zu entlasten und Gäste auf weniger bekannte und einsamere und zugleich genügend breite Pfade zu locken, bietet die Hermann-Hesse-Stadt Calw seit diesem Sommer unter dem Stichwort „Freigang" eine Auswahl wunderschöner, coronatauglicher Wanderrouten an, die auch für Familien mit Kinderwagen geeignet sind.
Ein weiterer Weg, Besucherströme umzuleiten und damit unter anderem mehr Abstand für den Einzelnen zu gewinnen, wird in touristisch stark frequentierten Städten schon seit Längerem praktiziert. Er führt übers Umland oder besser gesagt, ins Umland hinein – und zwar auf Rad- und Wanderwegen, die sowohl geografisch als auch thematisch mit der Stadt korrespondieren.
Touristen entdecken „Neuseenland"
„Beim Blick über den Tellerrand entstehen so mitunter touristische Partnerschaften mit bekannten und weniger bekannten Städten der Umgebung, von denen beide Seiten profitieren. Leipzig kooperiert inzwischen mit rund 50 Kommunen", sagt Andreas Schmidt von der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH. So entdecken beispielsweise immer mehr Besucher der sächsischen Messemetropole auch das mitteldeutsche „Neuseenland", wo aus leeren Braunkohletagebauen wunderbare Wasserlandschaften für Naherholung und Naturschutz entstanden sind, oder schön gelegene Orte wie das nordsächsische Eilenburg. Dass die Verknüpfung von Citytrip und Aktivtourismus funktioniert, zeigt tendenziell das Leipziger Ergebnis. „Der Aufenthalt wird länger", so Schmidt.
Über den verstärkten Trend von der Kurz- zur Urlaubsreise in Deutschland freut man sich auch in Thüringen. „Vor allem in Ferienwohnungen und -häusern sowie Pensionen blieben viele Gäste bis zu zehn Tage", berichtet Mandy Neumann von der Thüringer Tourismus GmbH. Im malerischen Dermbach lag im August sogar der durchschnittliche Aufenthalt bei über einer Woche. Die Thüringer Rhön, zu der der Ort gehört, hatte im Sommer über elf Prozent mehr Gäste als im Vorjahr.
Außer Museen mussten in diesem Jahr auch Zoos und Freizeitparks mit strengen Besucherregeln arbeiten. Neben Einlassbegrenzung und Hygiene ging es dabei vor allem um genügend Abstand.
Eine Distance Radar App hilft im Europa-Park in Rust (Baden-Württemberg) bei Ticketkauf und Planung und animiert spielerisch, die Abstandsregeln einzuhalten – insbesondere, indem man sich mit ihr virtuell „in eine Warteschlange stellen" kann – mit Zeitgewinn und ohne Drängelei.
Ebenso touristisch nutzbar ist die App Digital-Queue des Tübinger Softwareunternehmens HB Technologies AG.