Schon vor Corona litt die Menschheit in den vergangenen 120 Jahren unter Pandemien, wobei die Spanische Grippe und Aids die meisten Todesopfer forderten.
Im historischen Rückblick lassen sich eine ganze Reihe von erstaunlichen Parallelen zwischen der aktuellen Corona-Pandemie und der vor gut 100 Jahren wütenden Spanischen Grippe ausmachen, der zwischen 1918 und 1920 nach neuesten Schätzungen weltweit bis zu 100 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Wenn man zunächst einmal davon absieht, dass die Spanische Grippe von Influenza-Viren und Covid-19 vom neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 ausgelöst wurde oder dass bei der Spanischen Grippe vor allem junge Menschen zwischen 20 und 40 Jahren gelitten hatten und bei Corona das Risiko für Schwersterkrankungen vor allem bei älteren Menschen jenseits der 60 Jahre am höchsten eingeschätzt wird, dann lassen sich viele Gemeinsamkeiten aufzeigen. Vor allem in den Bemühungen zur Eindämmung beider Seuchen.
Die von den Folgen des Ersten Weltkriegs ohnehin schwer gebeutelten Menschen hatten die Spanische Grippe als weiteren todbringenden Schicksalsschlag geradezu fatalistisch hingenommen, da der damalige Stand der medizinischen Forschung ihnen auch keinerlei Hoffnungen auf wirksame Gegenmittel gegen die Krankheit machen konnte. Das Influenza-Virus wurde erst 1933 entdeckt, obwohl Viren als potenzielle Gesundheitsgefahren bereits seit 1892 ermittelt worden waren. Eine vorzeitige Sterblichkeit infolge der in verschiedensten Weltregionen auftretenden Epidemien wie Typhus, Pest, Cholera, Europäische Schlafkrankheit oder auch Poliomyelitis gehörten in den ersten beiden Dekaden des 20. Jahrhunderts noch zum Lebensalltag. Die aktuell unter der Corona-Geißel leidenden Generationen sind im Vergleich deutlich besser dran, weil sie ihr Vertrauen bisher mangels verfügbarer Medikamente zumindest auf eine baldige Rettung durch jetzt verfügbare Impfstoffe setzen können.
Bei Covid-19 wie bei der Spanischen Grippe handelt es sich um Krankheiten, die über Tröpfchen- und Schmierinfektion zuerst die Atemwege befallen. Die Symptome können mild bis schwer oder sogar tödlich sein. Die Inkubationszeit war bei der Influenza mit etwa drei Tagen deutlich kürzer als bei Corona. Die Spanische Grippe begann mit Fieber, Husten, Kopf- und Gliederschmerzen und endete für Millionen von Menschen mit einer sich häufig in einer Blaufärbung der Haut als Zeichen von Sauerstoffmangel äußernden Lungenentzündung. Letztere führte meist bereits nach wenigen Tagen zum Tod.
Spanische Grippe hatte Ursprung in den USA
Der Ursprung der Spanischen Grippe wird auf den Bundesstaat Kansas im Mittleren Westen der USA zurückgeführt, wo sich das neue Virus wahrscheinlich durch Kreuzung eines Vogelgrippevirus mit einem menschlichen Virus gebildet hatte und erstmals im März 1918 in einem Truppen-Ausbildungslager namens Fort Riley nachgewiesen werden konnte. Mit infizierten und eingeschifften US-Soldaten gelangte das Virus dann sowohl nach Asien als auch über die französische Westfront nach ganz Europa. Die Spanische Grippe hatte keineswegs besonders stark auf der iberischen Halbinsel gewütet, sondern verdankte ihre Namensgebung nur dem Sachverhalt, dass im neutralen Spanien ohne kriegsbedingte Presse-Zensur über die neue Krankheit offen berichtet werden konnte.
Im Sommer 1918 gab es eine erste Welle mit global hohen Infektionszahlen, auf die dann im Winter ähnlich wie bei Corona eine noch schwerere und erheblich tödlichere zweite Welle folgte. Nach der dritten Welle verschwand die Grippe im Frühjahr 1920 wieder von selbst. Dass komplette Abschottung ein erfolgreiches Mittel gegen die Ausbreitung einer Pandemie sein kann, bewies damals Australien, das daher als einziger Kontinent von der Seuche verschont geblieben war. Die Australier hatten mit ihrer Abriegelung vom Rest der Welt nichts anderes getan, als die schon im Kampf gegen die Pest seit dem späten Mittelalter bewährten Quarantäne-Regeln konsequent umzusetzen. China konnte im Frühjahr 2020 mit der konsequenten Abriegelung des Corona-Infektionsherdes Wuhan einen ähnlichen Erfolg im Kampf gegen die Seuche erzielen.
Hochinteressant auch, wie sehr sich die von behördlicher Seite eingeleiteten Maßnahmen im Kampf gegen Corona und Spanische Grippe gleichen. Die Schweiz hatte es vor 100 Jahren sogar schon mal mit einem strikten Lockdown samt Meldepflicht, Sperrstunden und Verbot von Massenveranstaltungen versucht, ohne dadurch die Zahl der Kankheits- und Todesfälle im Vergleich zum in der Seuchenbekämpung wesentlich zurückhaltenderen Deutschen Reich prozentual wesentlich verbessern zu können. In den USA, einer der frühen Hotspots der Spanischen Grippe, wurden schon im Sommer 1918 Schließungen von Schulen, Kirchen oder Kinos verfügt sowie auch die Erlaubnis zur Abhaltung größerer Veranstaltungen eingeschränkt.
Im Deutschen Reich, wo zur Beschwichtigung der Menschen die Gefährlichkeit der Krankheit bewusst heruntergespielt wurde, wurden ähnliche Maßnahmen ergriffen. Die Zuständigkeit zur Umsetzung wurden – vergleichbar der aktuellen Corona-Krise – auf die kommunale Ebene verschoben. Damit konnte es zu keinerlei reichsweiter Einheitlichkeit kommen. Anfangs versuchte man, Schulschließungen möglichst zu vermeiden, doch schließlich musste man sich wegen dramatisch ansteigender Infektionszahlen doch zu diesem Schritt durchringen. Als Patentrezept wurde der deutschen Bevölkerung zu häufigem Händewaschen geraten, auch zum Gebrauch von Desinfektionsmitteln wurde aufgerufen. Nur von einer Maskenpflicht war hier niemals die Rede gewesen, wohl aber vom Gurgeln mit Salzwasser. Den Risikogruppen wurde das Fernbleiben von größeren Menschenansammlungen empfohlen.
Zwei Millionen Tote durch Asiatische Grippe
Bis heute ist noch unklar, warum ausgerechnet junge Menschen von der Spanischen Grippe besonders betroffen waren. Ein Erklärungsansatz geht davon aus, dass ältere Menschen damals über eine Restimmunität von früheren Grippe-Epidemien verfügt hatten. Es gibt aber auch die These vom sogenannten Zykotin-Sturm, wonach die Grippe das starke Immunsystem der jungen Menschen zu tragischen Überreaktionen veranlasst habe. Da es nach Verschwinden der Spanischen Grippe jahrzentelang weltweit keine Pandemien und so gut wie keine größeren Epidemien mehr gab, wähnte sich die Menschheit in einer trügerischen Sicherheit vor Seuchen. Deren endgültige Überwindung durch die Entdeckung von Antibiotika in den 1940er-Jahren und durch die Entwicklung immer besserer Impfstoffe schien damals nur noch eine Frage der Zeit. Doch mit der Epoche der internationalen Luftfahrt, wodurch sich Infektionskrankheiten in Windeseile über den ganzen Globus verbreiten konnten, lösten sich alle Hoffnungen auf ein Ende gefährlicher Menschheitsplagen in Luft auf.
Das Influenza-Virus kehrte in mutierter Form 1957/58 als Asiatische Grippe zurück, die ihren Ursprung wahrscheinlich in China hatte und der weltweit schätzungsweise zwei Millionen Menschen zum Opfer fielen. Es sollte nicht die letzte Influenza-Pandemie bleiben. Zwischen 1968 und 1970 folgte die Hongkong-Grippe mit geschätzten Opferzahlen von einer bis zwei Millionen Toten, in den Jahren 1977/1978 die Russische Grippe mit bis zu 700.000 Toten und 2009/2010 die Schweinegrippe mit rund 200.000 Todesfällen. Ohnehin erkranken inzwischen in den jährlichen Grippesaisons weltweit Millionen von Menschen. In Deutschland war die Grippewelle 2017/18 mit mehr als 25.000 Opfern die tödlichste der vergangenen 30 Jahre. Die hohe Anzahl von Opfern ist wohl nicht zuletzt dem Fakt geschuldet, dass die von der EU als Zielvorgabe geforderte Grippe-Impfquote von 75 Prozent der Bevölkerung noch lange nicht erreicht ist.
Neben den Influenza-Pandemien wurde die Welt in den vergangenen 60 Jahren noch von weiteren Seuchen heimgesucht. Die ursprünglich vom indischen Subkontinent stammende Cholera, eine bakterielle Infektionskrankheit, die vorwiegend den Dünndarm betrifft, ist die am längsten andauernde Pandemie der neuesten Zeitrechnung. Ausgebrochen ist sie bereits 1961, bis etwa 1990 wurden weltweit Ausbrüche mit einigen Millionen Toten registriert, danach wandelte sie sich zu einer Epidemie, die bis zum heutigen Tag immer wieder in manchen Regionen aufflammt und seit 2016 beispielsweise im Jemen wütet.
Forscher rechnen mit kürzeren Abständen
Anfang der 1980er-Jahre hielt Aids mit dem das Immunsystem zerstörenden HI-Virus die Welt in Atem, wobei die Krankheit inzwischen durch wirksame HIV-Medikamente behandelt werden kann und die Zahl der Aids-Toten 2018 bei 37,9 Millionen registrierten Infektionen auf 770.000 reduziert werden konnte. Insgesamt erlagen der Seuche bislang 32,7 Millionen Menschen.
Mit Sars tauchte Ende 2002 bis Mitte 2003 erstmals beim Menschen das über tierische Zwischenwirte übertragene und schwere Atemwegssyndrome auslösende Coronavirus namens Sars-CoV-1 auf. Es war die erste neue Pandemie des 21. Jahrhunderts mit Ursprung in Südchina. Sie breitete sich in 25 Ländern vorwiegend durch Tröpfcheninfektionen aus und forderte etwa 800 Todesopfer. In den hauptsächlich betroffenen asiatischen Ländern wurde damals das Tragen von Atemschutzmasken angeordnet, sodass nach Epidemie-Ende ein ausreichender Vorrat an medizinischer Ausrüstung und Schutzbekleidung angelegt worden war – was wiederum nach Ausbruch von Corona Ende 2019 sehr hilfreich war.
Corona hat der Menschheit nochmals nachdrücklich vor Augen geführt, dass Seuchen in einer globalisierten Welt wohl auch künftig eine akute Gefahr für die Zivilisation bleiben werden. Forscher gehen davon aus, dass die Abstände weiterer Pandemien kleiner werden dürften, denn durch die Zerstörung des Lebensraums von Wildtieren durch den Menschen werde die Menschheit immer häufiger mit Viren tierischen Ursprungs konfrontiert werden. Und es sei zu erwarten, dass es so häufiger Viren geben werde, die auch für den Menschen gefährlich werden können.